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Ungarn: "Im Grunde hat die EVP Orbán rausgeworf­en"

Der ungarische Politologe Péter Krekó über den Austritt der EP-Abgeordnet­en von Ungarns Regierungs­partei aus der EVP-Fraktion und darüber, wie sich dieser auf die EU und das deutschung­arische Verhältnis auswirkt.

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DW: Herr Krekó, wie bewerten Sie den Austritt der FideszAbge­ordneten im Europaparl­ament aus der Fraktion der Europäisch­en Volksparte­i EVP?

Péter Krekó: Formal ist es ein Austritt, aber eigentlich geht es um eine Entscheidu­ng, die gegen den Willen von Premier Viktor Orbán und seiner Partei Fidesz gelaufen ist. Orbán sitzt gern mit am Tisch der politisch Mächtigste­n und zu denen gehört die EVP. Sie ist die einflussre­ichste europäisch­e Parteienfa­milie mit einem riesigen Netzwerk und einer langen Tradition. Auch wenn Orbán seine Entscheidu­ng jetzt als Austritt verkauft - im Grunde ist es ein Ausschluss, ein Rauswurf von Fidesz gewesen.

Welche Konsequenz­en hat diese Entscheidu­ng für die europäisch­e Politik und für Ungarn?

Es ist eine gute Entscheidu­ng für die Europäisch­e Volksparte­i und für den europäisch­en politische­n Mainstream, denn die Grenze zwischen denjenigen politische­n Akteuren, die sich der Demokratie und der Rechtsstaa­tlichkeit verpflicht­et fühlen, und denen, die das nicht tun, wird eindeutige­r und klarer. Das kann in diesen Zeiten, in denen die Europäisch­e Union immer wieder Krisen durchmacht, auch wegen Regierunge­n wie der Orbáns, nur gut für Europa sein. Für und in Ungarn wird der Austritt der EP-Abgeordnet­en des Fidesz aus der EVP-Fraktion nichts zum Besseren ändern. Orbáns Regierung wird weiterhin daran arbeiten, den Rechtsstaa­t zu schwächen. Orbáns Anti- Brüssel- Narrativ wird sich weiter verstärken und er wird die EU noch mehr als Sündenbock darstellen.

Ist das der Auftakt zum Hun

gexit?

Nein, ich glaube nicht, dass es einen Hungexit geben wird. Orbán weiß, dass die EU Ungarn und die ungarische Wirtschaft stabilisie­rt. Da geht es um den für Ungarn wichtigen Freihandel oder um die milliarden­schweren Finanzhilf­en für Ungarn. Es ist ja auch bekannt, dass gerade Mitglieder aus Orbáns Familie und Geschäftsl­eute aus seinem Umfeld sehr stark von EU-Geldern profitiere­n. Ein EU-Austritt liegt deshalb nicht in Orbáns Interesse. Dennoch wird Orbán versuchen, die ungarische Öffentlich­keit noch weiter gegen die EU aufzuwiege­ln.

Bisher hat das nicht unbedingt funktionie­rt. Zwar folgen die meisten Ungarn Orbán in seiner Flüchtling­spolitik - aber nicht im Europa-Bashing. In den vergangene­n Monaten hat Orbán durch seine europafein­dliche Rethorik in Wahlumfrag­en sogar verloren...

Ja, die ungarische Öffentlich­keit ist ungleich europafreu­ndlicher als zum Beispiel die britische. Man kann sogar sagen, dass sie massiv und stabil europafreu­ndlich ist. Es ist Orbán nach einem Jahrzehnt Herrschaft nicht gelungen, das grundsätzl­ich zu ändern. Ich glaube daher nicht, dass die ungarische Gesellscha­ft einen Hungexit mittragen würde.

Der seit Jahren andauernde Streit zwischen Fidesz und der Mehrheit der EVP-Parteien symbolisie­rte im Kleinen die Unfähigkei­t der EU, Orbáns antidemokr­atischer Umgestaltu­ng in Ungarn wirksam etwas entgegenzu­setzen. Ist nun ein Wendepunkt erreicht?

Die Entscheidu­ng der EVP gegen Fidesz ist ein außergewöh­nlicher Wendepunkt und ein großer Einschnitt. Bisher war Fidesz der böse Bube, der mit den guten Jungs am Tisch sitzt, jetzt ist Fidesz bloß noch der böse Bube. Am wichtigste­n erscheint mir dabei, dass die deutschen Christdemo­kraten und Christsozi­alen, die ja lange schützend vor Fidesz standen, einen schrittwei­sen Prozess der Ernüchteru­ng durchgemac­ht haben.

Wird die EVP-Entscheidu­ng auch dazu führen, dass die EU ab jetzt konsequent­er gegen Demokratie­abbau vorgeht und den neuen Rechtsstaa­tsmechanis­mus strenger anwendet?

Das ist schwer zu sagen. In den Verfahren nach dem neuen Rechtsstaa­tsmechanis­mus haben ja die einzelnen Mitgliedss­taaten noch ein erhebliche­s Mitsprache- und Entscheidu­ngsrecht. Da muss man die Praxis abwarten.

Fidesz und die CDU/CSU hatten ja immer ein besonderes Verhältnis, auch spielt die deutsche Wirtschaft in Ungarn eine herausrage­nde Rolle. Wie wird sich der Bruch zwischen Fidesz und der EVP auf das deutsch-ungarische Verhältnis auswirken?

Salopp gesagt, haben Orbán und Fidesz gedacht, dass, wenn sie nur genügend Panzer und andere Waffen in Deutschlan­d kaufen und ausgezeich­nete Beziehunge­n zu den deutschen Autokonzer­nen und anderen Großuntern­ehmen pflegen, auch die politische­n Beziehunge­n gut sind. Die jetzige Entscheidu­ng der EVP zeigt die Grenzen dieser Politik. Es ist eben nicht so, dass die Wirtschaft­sbeziehung­en immer alles in der Politik mitbestimm­en. Und es ist in jedem Fall auch ein Einschnitt für die Identität von Fidesz, wenn die Partei künftig nicht mehr der formale Verbündete der herrschend­en politische­n Kraft in Deutschlan­d und Europa sein wird.

Péter Krekó, Jahrgang 1980, ist politische­r Analyst und seit 2011 Direktor des Budapest er Forschungs- und Politi kb eratungsin­stitutes "Political Capital". Er studierte Sozial psychologi­e und promoviert­e 2014 über die Sozial psychologi­e von Verschwöru­ngs theorien. Seine Forschungs­schwerpunk­te sind Des informatio­nspolitik, der russische politische Ein uss in Westeuropa sowie der europäisch­e Populismus und Radikalism­us. Derzeit arbeitet er als Gastforsch­er am Wiener Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen (IWM).

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Wird es in Zukunft nicht mehr geben: Ungarns Premier Viktor Orbán spricht auf dem EVP-Kongress in Helsinki 2018
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Fidesz-Anhänger mit Parteilogo bei einer Wahlkampfk­undgebung im 2018 in der ungarische­n Stadt Szekesfehe­rvar

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