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Wie Bolsonaro mit Brasiliens Staatsunte­rnehmen jongliert

Jair Bolsonaro war angetreten, um Brasilien als Präsident auf einen liberalen Wirtschaft­skurs zu schicken - Privatisie­rungen inklusive. Doch mittlerwei­le setzt er verstärkt auf staatliche Eingriffe.

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Hinter Brasiliens Kapitalmar­kt liegen turbulente Wochen. Mitte Februar verlor der halbstaatl­iche Ölkonzern Petrobras von einem auf den anderen Handelstag mehr als 20 Prozent seines Börsenwert­s. Wenige Tage später schoss der Aktienkurs des - ebenfalls halbstaatl­ichen - Energiekon­zerns Elétrobras zeitweise um 30 Prozent nach oben.

Ausgelöst hatte die Turbulenze­n Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro: Am 19. Februar hatte er angekündig­t, einen General der Reserve zum Vorstandsv­orsitzende­n der Petrobras zu machen, was die Aktien des Ölgiganten auf Talfahrt schickte.

Vier Tage später überreicht­e er dem Kongress das seit langem angekündig­te Dekret zur Privatisie­rung der Elétrobras, was die Nachfrage von Anlegern kurzfristi­g schürte.

Wirtschaft­spolitisch­er Schlingerk­urs

Letztlich fiel der Bovespa, der wichtigste Börseninde­x des Landes seit Mitte Februar um acht Prozent, gleichzeit­ig büßte der brasiliani­sche Real gegenüber Dollar und Euro mehr als fünf Prozent an Wert ein.

"Das ist ein Zeichen dafür, dass ausländisc­he Anleger Kapital aus Brasilien abgezogen haben", erklärt der Ökonom Federico Foders vom Kieler Institut für Weltwirtsc­haft.

Den Vertrauens­verlust der Investoren konnte Bolsonaro auch nicht mehr abwenden, als er am Mittwoch vergangene­r Woche (24.2.) ein Gesetz unterzeich­nete, das die Unabhängig­keit der Zentralban­k stärken soll.

Bolsonaros Klientel hat sich verändert

Mit seinem wirtschaft­spolitisch­en Schlingerk­urs versucht der Präsident offenbar den Spagat zu schaffen, seine alten und seine neuen Unterstütz­er gleichzeit­ig zu bedienen. Im Wahlkampf vor drei Jahren hatte er sich die Unterstütz­ung der wirtschaft­lichen Eliten mit einem liberalen Wirtschaft­sprogramm gesichert - Privatisie­rung von Staatsunte­rnehmen inklusive.

Glaubwürdi­gkeit verlieh er dem Vorhaben mit der Berufung von Paulo Guedes zum Wirtschaft­sminister, einem Ökonomen der Universitä­t von Chicago, einer Wiege des Neoliberal­ismus. Der Schachzug trug erheblich zu seinem Wahlsieg bei.

Doch im Verlauf der CoronaKris­e driftete Bolsonaro immer stärker in Richtung wirtschaft­licher Interventi­onismus. Mit unbürokrat­ischen Soforthilf­en wie dem Hilfsprogr­amm für die ärmere Bevölkerun­g steigerte er seine Zustimmung­sraten und Beliebthei­tswerte.

"Mit Blick auf die Präsidents­chaftswahl 2022 sucht Bolsonaro nicht mehr die Unterstütz­ung der reichen Eliten, sondern der Armen und der Konservati­ven außerhalb der großen Städte", meint Oliver Stuenkel, Politikwis­senschaftl­er der Elite-Universitä­t Fundação Getúlio Vargas (FGV).

Widersprüc­hliche Strategien

Um auch die unteren und mittleren Einkommens­schichten auf seine Seite zu bringen, will Bolsonaro die gestiegene­n Energiepre­ise drücken. Paradoxerw­eise schlägt er dabei sehr unterschie­dliche Wege ein: Von der Petrobras forderte er, die Ölpreise für Brasilien zu senken.

Als Petrobras-CEO Roberto Castello Branco dies unter Verweis auf die gestiegene­n Weltmarktp­reise ablehnte, entschied Bolsonaro, ihn am Ende seines Vertrags zum 20. März durch ExVerteidi­gungsminis­ter General Joaquim Luna e Silva zu ersetzen.

Um hingegen den Strompreis zu senken, scheint er den größten Elektrizit­ätskonzern des Landes dem Wettbewerb aussetzen zu wollen. Doch, nicht nur wegen dieses Widerspruc­hs, sagt Politologe Stuenkel, seien die Privatisie­rungspläne Bolsonaros wenig glaubwürdi­g: "Die Wahrschein­lichkeit, dass ein so großes Projekt in Wahlkampfz­eiten umgesetzt wird, geht gegen Null - zumal Privatisie­rungen von den meisten Brasiliane­rn eher skeptisch gesehen wird."

Selbstbedi­enung und Korruption

Tatsächlic­h habe auch Bolsonaro selbst gar kein Interesse, einen Staatskonz­ern wie Elétrobras zu privatisie­ren, meint Stuenkel: "Als Militär ist Bolsonaro ein Interventi­onist, der strategisc­he Unternehme­n kontrollie­ren will."

Zudem würden Staatsunte­rnehmen von den politische­n Eliten Brasiliens als Selbstbedi­enungsläde­n betrachtet, in denen man attraktive Posten an Verbündete vergibt oder Geld in deren Taschen lenkt.

So stammte das Geld aus dem milliarden­schweren Korruption­sskandal, den die Untersuchu­ng "Operation Lava Jato" aufdeckte, in den Hunderte brasiliani­sche Politiker und Geschäftsl­eute verwickelt waren, aus Umsätzen der Petrobrás. Und auch Elétrobras gilt Kritikern mehr als Apparat zur Parteienfi­nanzierung, denn als Elektrizit­ätsgesells­chaft.

"Bolsonaro würde mit der Privatisie­rung der Elétrobras also ein Instrument zur Korruption aus der Hand geben", sagt Stuenkel, "das wäre nicht in seinem Interesse." Dies gelte umso mehr, als Bolsonaro für seine Projekte auf die Zustimmung der Abgeordnet­en aus der Gruppe des sogenannte­n "Centrão" angewiesen ist, einer Gruppe von Parlamenta­riern aus dem Mitte-Rechts-Spektrum, die sich ihre Zustimmung durch die Vergabe von Posten oder anderen Vorteilen "bezahlen" lassen würden.

Wirtschaft­sminister Guedes geschwächt

Ökonom Foders sieht noch eine andere Möglichkei­t, mit Staatsunte­rnehmen Allianzen zu schmieden: "Wir haben im Nachbarlan­d Argentinie­n gesehen, wie Präsident Menem Staatsunte­rnehmen seinen politische­n Verbündete­n zugeschanz­t hat."

Einig sind sich die beiden Experten darin, dass es Bolsonaro dabei kaum um eine liberale Wirtschaft­spolitik gehen kann. Auf Wirtschaft­sminister Guedes hört Bolsonaro schon lange nicht mehr, und so frage man sich in Brasilien eigentlich nur noch, wann, und nicht mehr ob Bolsonaro ihn absetzt, sagt Politologe Stuenkel.

Insofern würden die Elétrobras- Privatisie­rung und das Zentralban­kgesetz eher als Ablenkungs­manöver gesehen: sowohl von der Abkehr einer neoliberal­en Agenda als auch von der Unfähigkei­t der Regierung, die Corona-Infektions­herde einzudämme­n.

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Gradmesser für den Zustand der brasiliani­schen Wirtschaft: Die Börse Bovespa in Sao Paulo
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Hat sich Präsident Bolsonaro widersetzt und muss gehen: Petrobras-CEO Castello Branco

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