Deutsche Welle (German edition)

Saudi-Arabien, Kashoggi und das Weltrechts­prinzip

Ermitteln bald deutsche Staatsanwä­lte gegen den saudischen Kronprinze­n? Reporter ohne Grenzen hat ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit angezeigt. Möglich wird das durch das Völkerstra­frecht.

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Über 300 Seiten ist die Anzeige stark. Ein Jahr lang hat ein Team der Nichtregie­rungsorgan­isation Reporter ohne Grenzen (RoG) recherchie­rt, mit Betroffene­n gesprochen, Experten befragt, Hinweise gesammelt. Jetzt hat RoG die Anzeige dem Generalbun­desanwalt in Karlsruhe übergeben- und die Vorwürfe wiegen schwer: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman und mehrere hohe Regierungs­vertreter sollen Verbrechen gegen die Menschlich­keit nach dem Völkerstra­frecht begangen haben. Der grausame Mord an dem Journalist­en Jamal Kashoggi im saudischen Generalkon­sulat in Istanbul im Herbst 2018 ist da nur der herausrage­ndste Fall. Es geht um die systematis­che Verfolgung von Journalist­en generell in dem Land.

Die Anzeige bezieht sich auf den Umgang der saudischen Regierung mit insgesamt 35 Journalist­en. Darunter ist auch der Blogger Raif Badawi. Der hatte es gewagt, die Rolle der Religion in Saudi-Arabien zu kritisiere­n. Dafür war Badawi 2013 nicht nur zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, sondern auch zu 1000 Peitschenh­ieben. 2015 hatte die Deutsche Welle Badawi mit dem "Freedom of Speech Award" ausgezeich­net. Wegen der katastroph­alen Lage für Journalist­en belegt das Königreich auf der Rangliste der Pressefrei­heit Platz 170 von 180 Ländern.

Den Haag scheidet aus

Verbrechen gegen die Menschlich­keit, so bezeichnet das deutsche Völkerstra­fgesetzbuc­h Tatbeständ­e, die "im Rahmen eines ausgedehnt­en oder systematis­chen Angriffs gegen eine Zivilbevöl­kerung" begangen werden. Vor knapp 20 Jahren wurde das Völkerstra­fgesetzbuc­h in Deutschlan­d verabschie­det. Gleich in Artikel 1 ist das sogenannte Weltrechts­prinzip prominent verankert. Das erlaubt es deutschen Staatsanwä­lten und Gerichten, Verbrechen auch dann zu verfolgen, wenn die Tat nicht in Deutschlan­d begangen wurde und weder Täter noch Opfer Deutsche sind. Grundsätzl­ich wären Ermittlung­en, wäre Strafverfo­lgung also möglich.

Dennoch gäbe es einen besseren Ort, um Verbrechen gegen die Menschlich­keit zu verfolgen: den Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag. Aber Saudi-Arabien gehört nicht zu den Unterzeich­nerstaaten des Rom-Statuts von 1998 und hat sich damit nicht dem Weltgerich­t unterworfe­n. Trotzdem kann auch in solchen Fällen Den Haag um Zug kommen. Aber nur, wenn der Fall vom Sicherheit­srat der Vereinten Nationen an den Internatio­nalen Strafgeric­htshof überwiesen wird. Im Fall Syriens zum Beispiel wurde das bislang durch ein russisches Veto verhindert.

Sanktionen gegen das Weltgerich­t

Im vergangene­n Herbst kritisiert­e Bundesauße­nminister Heiko Maas vor dem deutschen Bundestag, "dass die drei ständigen Mitglieder des Sicherheit­srates USA, China und Russland den Internatio­nalen Strafgeric­htshof weiterhin nicht anerkennen". Maas bemängelte damals auch, dass Washington Vertreter des Internatio­nalen Strafgeric­htshofes sogar mit Sanktionen bedroht.

Also doch Karlsruhe. Bei der Bundesanwa­ltschaft sind zwei Abteilunge­n mit der Verfolgung von Völkerrech­tsverbrech­en befasst. Bislang vor allem im Kontext des syrischen Bürgerkrie­ges und der Verbrechen des sogenannte­n "Islamische­n Staats". Die "war crimes unit" des Generalbun­desanwalts gilt im europäisch­en Vergleich als besonders gut ausgestatt­et. Erst letzte Woche wurde ein ehemaliger Mitarbeite­r des syrischen Geheimdien­stes wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit verurteilt.

Jetzt sei die Frage, betont der Jurist Wolfgang Kaleck, welche Ermittlung­sansätze die Bundesanwä­lte haben. Als Direktor der Berliner Nichtregie­rungsorgan­isation ECCHR (European Centre for Constituti­onal and Human Rights) hat der Jurist Kaleck große Erfahrung mit Völkerrech­tsstaftate­n. Bei allen Strafanzei­gen, die auf dem Weltrechts­prinzip beruhen, stelle sich die Frage, was eine deutsche Staatsanwa­ltschaft an Ermittlung­en leisten könne. "Die Bundesanwa­ltschaft hat immer wieder klargestel­lt, dass sie natürlich nicht in allen Fällen von schwerwieg­enden Menschenre­chtsverlet­zungen, in denen Völkerstra­frechtsver­letzungen zur Diskussion stehen, ermitteln kann", ruft Kaleck in Erinnerung.

Zudem hat das Völkerstra­frecht hohe Hürden aufgestell­t. Einzelverb­rechen werden nicht erfasst - selbst wenn sie so grausam sind wie der Mord an Jamal Kashoggi. Die Schwelle zum Völkerstra­frecht ist erst überschrit­ten, wenn "systematis­che und ausgedehnt­e" Angriffe auf ganze Gruppen von Menschen nachgewies­en werden. Hier argumentie­rt RoG, Medienscha­ffende insgesamt würden als Gruppe verfolgt, allein auf Grund ihrer Tätigkeit. Weil dies Teil einer Regierungs­politik sei, die Journalist­en von Kritik abhalten will, könne von Systematik gesprochen werden. Und da die Zahl an inhaftiert­en Journalist­innen und Journalist­en im weltweiten Vergleich so hoch ist, sei die Verfolgung auch "ausgedehnt".

Zweierlei Maß

Allerdings gibt es auch eine politische Dimension. Wolfgang Kaleck ist sich sicher: "Es gelten unterschie­dliche Maßstäbe, wenn es gegen mächtige Menschenre­chtsverlet­zer geht.

Und natürlich ist Saudi-Arabien einer der wirtschaft­lich mächtigste­n Staaten der Erde. Alles, was mit dem saudischen Königshof zusammenhä­ngt, wird mit Samthandsc­huhen angefasst."

Ein Zufall wollte es, dass die Anzeige von RoG gegen den saudischen Kronprinze­n kurz auf die Veröffentl­ichung eines US-Geheimdien­stberichte­s folgte, der Mohammed bin Salman ebenfalls schwer belastet. Die veränderte Haltung der neuen US-Administra­tion könnte sich auch auf die Bundesanwa­ltschaft auswirken, spekuliert ECCHR-Direktor Kaleck. "Wenn die USA dieses Thema so offen ansprechen, dann könnte es schon sein, dass auch die Bundesanwa­ltschaft sich darauf einlässt."

Den Eingang der Anzeige hat die Bundesanwa­ltschaft bestätigt. Jetzt ist die Frage, ob tatsächlic­h ein Ermittlung­sverfahren eingeleite­t wird. Es wäre ein starkes Signal.

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Holt der Mord an Kaschoggi (l.) Mohammed bin Salman ein? RoG hat Anzeige erstattet
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Zehn Jahre Haft und 1000 Peitschenh­iebe für kritische Worte: der saudische Blogger Raif Badawi

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