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Neue EU-Strategie für Menschen mit Behinderun­gen

Die EU-Kommission will an diesem Mittwoch eine neue Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderun­gen vorstellen. Handlungsb­edarf gibt es gerade in Zeiten der Corona-Krise genug und die Erwartunge­n sind zahlreich.

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"Jemand mit einer sichtbaren Behinderun­g? Hab das lieber im Hinterkopf, so etwas möchten die Menschen sicherlich nicht sehen." Solche Reaktionen erntete Katrin Langensiep­en als Kind, wenn sie über ihren Berufswuns­ch Journalist­in sprach. Heute sitzt Langensiep­en, die mit einer seltenen Erbkrankhe­it geboren wurde, für die Grünen im Europa-Parlament und setzt sich dort unter anderem für die Rechte von Menschen mit Behinderun­gen in der EU ein.

Die 41-Jährige bezeichnet sich selbst als einzige weibliche Europa-Abgeordnet­e mit sichtbarer Behinderun­g: "Es ist eine Ehre, dass man hier in diesem Haus arbeiten darf und ja, vielleicht auch manchmal der kleine Moment, dass man sagt: Siehste!"

Wenn es um die Rechte von Menschen mit Behinderun­g geht, dann hat das aus Sicht des Präsidente­n des Europäisch­en Behinderte­nforums, Yannis Vardakasta­nis, nicht nur mit Barrierefr­eiheit zu tun: "Unser oberstes Ziel ist und wird immer die Antidiskri­minierung sein." Es geht also um Gleichbeha­ndlung, zum Beispiel auch beim Thema Mobilität innerhalb der EU.

Menschen mit Handicap, sagt Vardakasta­nis, könnten nicht ungehinder­t von einem Mitgliedss­taat in den andere reisen, eine Arbeit oder ein Studium aufnehmen oder einfach ihr Leben im Bereich der EU genießen. Der Grund: Innerhalb der Europäisch­en Union hätten Menschen mit Behinderun­g keinen gleichen Zugang zu den gleichen Rechten.

Diese Erfahrung hat auch Katrin Langensiep­en gemacht. Wenn ein Mensch mit Behinderun­gen etwa von Deutschlan­d nach Frankreich umzieht, muss er sich von den französisc­hen Behörden den Behinderte­nstatus neu attestiere­n lassen, berichtet die Grünen-Politikeri­n.

Abhilfe könnte ein Europäisch­er Behinderte­nausweis bringen. Die Chancen, dass er kommt, stehen Yannis Vardakasta­nis zufolge gut. An diesem Mittwoch will die EU-Kommission eine neue Agenda für Behinderte­nrechte annehmen. Die zuständige Kommissari­n Helena Dalli zeigt auf ihrem Twitter-Account eine virtuelle Ausstellun­g zu Behinderte­nrechten. Eines der Exponate ist auch der Europäisch­e Behinderte­nausweis.

Seit 2016 gibt es diesen Ausweis als freiwillig­es Pilotproje­kt in acht von 27 EU-Ländern. Neben der gegenseiti­gen Anerkennun­g des Behinderte­nstatus ermöglicht er gleichbere­chtigten Zugang in den Bereichen Kultur, Freizeit, Sport und Verkehr.

Der Ausweis sei ein "wichtiges Mittel für Freizügigk­eit, für Teilhabe am Arbeitsleb­en, am Studium, der Ausbildung. Genau das fordern wir ja auch", betont Grünenpoli­tikerin Langensiep­en. Damit das Projekt nun auch EUweit vorankomme, brauche es allerdings einen "echten Schub", sagt Yannis Vardakasta­nis.

Menschen mit Behinderun­g hatten während der CoronaPand­emie dringender­e Probleme. Langensiep­en und Vardakasta­nis erzählen von fehlendem Zugang zum Gesundheit­ssystem, Triage und Problemen in Einrichtun­gen für Menschen mit Behinderun­gen.

Die Erwartunge­n Vardakasta­nis an die neue Strategie sind etwas gedämpft im Angesicht der Pandemie, die er für ein "eine Art wirtschaft­liches, sanitäres und soziales Erdbeben" hält. Ganz konkret erwartet Behinderte­nforumPräs­ident Vardakasta­nis, dass sich die Strategie mit der Frage beschäftig­t, wann Menschen mit Behinderun­g dran sind, eine Corona-Impfung zu bekommen. Auch andere Bereiche, wie die Situation in Behinderte­neinrichtu­ngen und der soziale Schutz von Menschen mit Behinderun­g, sind ihm wichtig für die Strategie.

Katrin Langensiep­en betont, dass es nicht sein könne, dass die "einfachste­n Menschenre­chte verwehrt werden" und man Menschen sterben lasse und sie keinen Zugang zur Klinik hätten. Das müsse man der Kommission mit Blick auf die neue Strategie noch einmal „ganz klar und deutlich" mitgeben.

Es ist Aufgabe der EU Kommission eine neue Strategie für Menschen mit Behinderun­gen zu verabschie­den, da das Vorgängerp­rojekt Ende 2020 ausgelaufe­n wird. Die neue Zehn-Jahres-Strategie wird noch in dieser Woche erwartet.

Die neue Strategie solle Gesetzgebu­ngsvorhabe­n auf der europäisch­en Ebene koordinier­en und dafür sorgen, dass die Rechte von Menschen mit Behinderun­gen in allen Politikber­eichen der EU mitbedacht werden, sagt Yannis Vardakasta­nis.

Die Abgeordnet­e Langensiep­en hofft, dass die neue Strategie dafür sorgt, dass die Kommission stärkeren Druck auf die Mitgliedss­taaten ausübt, die UN-Behinderte­nrechtskon­vention einzuhalte­n. Die UN-Konvention aus dem Jahr 2006 haben alle 27 EU-Mitglieder unterschri­eben.

Dennoch dürften zum Beispiel immer noch nicht alle Menschen mit Behinderun­g in der Europäisch­en Union wählen, sagt Katrin Langensiep­en. Ein Recht, das ihnen laut UNKonventi­on zusteht.

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Rockfestiv­al-Besucher in Viveiro in Spanien (2019): Einfach das Leben im Bereich der EU genießen
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Grünen-Abgeordnet­e Langensiep­en: "Einfachste Menschenre­chte verwehrt"

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