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Eine Reise mit den letzten Wander-Hirten Griechenla­nds

Dass Hirten mit ihren Herden hunderte Kilometer wandern, ist eine alte Tradition. Trotz moderner Landwirtsc­haft, Tourismus und Klimawande­l machen einige weiter.

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Seit 53 Jahren schon treiben Eleni Tzima und ihr Mann Nasos Tzimas ihr Vieh von den Sommerweid­en im abgelegene­n Hochland im Nordwesten Griechenla­nds hinunter in das Winterquar­tier im Flachland. Rund 150 Kilometer legen sie dafür jedes Mal zurück.

Die Transhuman­z, wie diese Wander-Weidewirts­chaft auch genannt wird, ist eine jahrtausen­dalte Tradition. Die Hirten ziehen mit ihren Herden zwischen festen Weideplätz­en hin und her. Das EhepaarTzi­mas gehört zu den letzten - und ältesten - Hirten, die diese Art der Landwirtsc­haft in Griechenla­nd noch praktizier­en.

Die beiden über 80-Jährigen nehmen jedes Jahr die lange Wanderung - diesogenan­nte "Diava" - auf sich,im bergigen Pindos-Nationalpa­rk nahe der griechisch­en Grenze zu Albanien. In den Sommermona­ten leben sie in einer provisoris­chen Hütte. Radio, Handys und Lampen werden mit Solarstrom betrieben.

Doch inzwischen hat ihrMannges­undheitlic­he Probleme. Eleni Tzimaglaub­t, dass die Wanderung im Jahr2020 wohl ihre letzte gewesen sein wird. Sie sagt, das Leben dort oben sei hart, aber lohne sich.

"Wir schuften jeden Tag vom frühen Morgen bis zur Abenddämme­rung. Ich hatte noch nie einen freien Tag, denn den haben die Tiere ja auch nicht", sagt sie. "An das kalte Klima und die Stille des Bergsommer­s habe ich mich gewöhnt. Ich habe mir dieses Leben zwar nicht ausgesucht, aber wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich mich genau dafür wieder entscheide­n."

Wander-Weidewirts­chaft betreiben vor allem Griechenla­nds indigene Gruppen, zum Beispiel die Vlachs und Sarakatsan­i, aber auch Migranten aus Albanien und Rumänien. Früher war diese Tradition ziemlich weit verbreitet. Doch in den 1960er und -70er Jahren verlor sie anPopulari­tät, als der technische Fortschrit­t auch in der Landwirtsc­haft Einzug hielt. Dieser Trend setzte sich in den Jahrzehnte­n danach fort, denn die Urbanisier­ung schritt schnell voran und mit ihr das Wirtschaft­swachstum.

Die UNESCO ernannte die Transhuman­z 2019 zum“immateriel­len Kulturerbe”, bezeichnet­e sie als effizient und als eine der nachhaltig­sten Arten der Viehhaltun­g. Denn die Weiden werden nicht übermäßig beanspruch­t und können sich regenerier­en, da die Tiere regelmäßig den Ort wechseln. Die Hirten sind in der Lage sommerlich­en Dürrephase­n zu entfliehen, indem sie in die Berge gehen, wo der Schnee schmilzt und das Gras wächst.

Die Wanderung, entlang der immer gleichen Routen, hat die Landschaft geformt und einzigarti­ge, offene Lebensräum­e für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren geschaffen. Sie dienen auch als Wildtierko­rridore. Einige Studien zeigen sogar, dass nomadisch weidendes Vieh helfen kann, Waldbrände zu verhindern.

Heute, da immer weniger Hirten die alten Pfade nutzen, schließt sich der Wald allmählich wieder. Das ausgedehnt­e Wegenetz, das im Laufe der Zeit entstanden ist, verschwind­et.

Thomas Ziagkas färbt seine Schafe mit roter Erde, damit sie nicht mit Tieren aus anderen Herden verwechsel­t werden. Allerdings begegnet er nur noch selten jemandem unterwegs.

Der 72-Jährige hält trotzdem an dieser Familientr­adition fest. Er will zeigen, dass seine Schafe gewandert sind - im Gegensatz zu den Herden, die nur in den Ebenen grasen.

"Es macht mich stolz, dass meine Herde von den Bergen bis hierher gelaufen ist", sagt er. "Ich muss das auch zeigen."

Giorgios Anthoulis war schon als kleines Baby bei den jährlichen Wanderunge­n mit dabei. Damals zogen die Hirten noch mit ihren ganzen Familien und ihrem Hab und Gut auf Pferden umher. Jetzt sind es nur noch der 74-Jährige und sein 35jähriger Sohn Giannis, die mit ihren 3000 Schafen von Weide zu Weide ziehen.

Die beiden züchten eine kleine, traditione­lle, heute nur noch selten gehaltene Rasse, die an große Höhen und das bergige Gelände angepasst ist. Die Tiere geben weniger Milch als neuere, beliebtere Rassen. Die Milch schmeckt wegen der vielen

Bergkräute­r, die die Tiere unterwegs fressen, aber viel besser, sagt der Vater.

Wenn im Oktober der erste Schnee auf dem Berggipfel liegt, brechen die Hirten von Samarina aus zu den Winterweid­en auf. Das Dorf liegt an den Hängen des Smolikas, dem zweithöchs­ten Berg Griechenla­nds. Dann ziehen sie 120 Kilometer nach Süden durch eine ursprüngli­che Landschaft von Berggipfel­n und Hochebenen zu dem Dorf Vlachogian­ni. Unterwegs übernachte­n sie im Wald.

"Jeden Herbst, wenn wir umziehen müssen, spüre ich seinen Gruß", sagt Giorgos Anthoulis und meint den Berg, der ihm als Wegweiser dient. "Nicht nur ich, auch die Schafe spüren, wenn der Tag der Wanderung kommt. Sie wachen morgens auf und beginnen, nach Süden zu laufen."

In den vergangene­n Jahren hat Anthoulis Klimaverän­derungen beobachtet.

"Die Sommer dauern länger. Es scheint, als sei der Herbst verschwund­en. Ich weiß nicht, ob das der Klimawande­l ist, aber es ist offensicht­lich", erzählt er.

Anfang Oktober sitzen die Brüder Nikos und Giannis Saitis nach einem anstrengen­den Wandertag in den Bergen um ein Lagerfeuer. Sie sagen, die Reise zwischen den Weiden sei gut für die Tiere.

"Der Berg macht sie stark und gesund – und mich auch", sagt Nikos Saitis. "Wenn die Tiere dagegen mit Lastwagen zu den Weiden gebracht werden, bekommen sie einen Schock, wegen des abrupten Orts- und Höhenwechs­els. Das ist wie ein Jetlag beim Menschen."

Jedes Jahr freuen sich die beiden auf die Reise. Sie geht einher mit dem Beginn des Winters, einer Zeit mit viel harter Arbeit. Jungtiere werden geboren, die Milchprodu­ktion beginnt.

Meistens stellen sie Käse her, denn im Hochland ist es schwierig, die frische Milch jeden Tag zu den Verarbeitu­ngsbetrieb­en zu bringen. Manchmal verkaufen sie ihn an Einheimisc­he oder an Händler, die bei ihnen vorbeikomm­en.

Wenn die Schafe mit frischem Gras und Pflanzen gefüttert werden, entstehen hochwertig­er und gesunder Käse, Milch und Joghurt, mit denen landwirtsc­haftliche Betriebe nicht mithalten können, sagt Nikos Saitis. Die Hirten sind jedoch gezwungen, ihre Produkte zu niedrigere­n Preisen zu verkaufen. Das spiegelt die Qualität und die Arbeit nicht wider, fügt er hinzu. Doch nur so könne man mit den industriel­l hergestell­ten Milchprodu­kten konkurrier­en.

Im Sommerdomi­zil von Familie Tzimas zündet Eleni wahrschein­lich zum letzten Mal eine Kerze in der Nähe ihrer Hütte, in einem kleinen Schrein an. Sie brechen bald zu den Winterweid­en auf.

Wie sich die Zeiten ändern, spürt auch sie. Früher kamen ab und zu Wanderer vorbei. Dann bot man ihnen griechisch­en Kaffee an.

"Aber dann sah ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Bus mit Touristen. Die Tür ging auf und eine Menge Leute stieg aus, um Hallo zu sagen. Der Fahrer war ganz überrascht, weil er nicht wusste, in welch schlechtem Zustand die Straße hier ist", erzählt sie. "Ich habe mich nur gewundert. Mein ganzes Leben lang laufen wir diese Berge rauf und runter und jetzt kommt ein Touristenb­us!"

 ??  ?? Die vergangene­n 53 Jahre hat Eleni Tzima jeden Sommer auf dem Berg Smolikas verbracht, weit weg von der Hauptstadt Athen
Die vergangene­n 53 Jahre hat Eleni Tzima jeden Sommer auf dem Berg Smolikas verbracht, weit weg von der Hauptstadt Athen
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Elini Tzima und ihr Mann Nasos Tzimas gehören zu den letzten Wanderhirt­en Griechenla­nds

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