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Pandemie im Kino: Die Berlinale-Filme und COVID-19

Die meisten Beiträge der Berlinale behandeln das Virus nicht - die von Radu Jude, Denis Côté und Natalie Morales sind die Ausnahme und finden kreative Zugänge.

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Einen Film zu realisiere­n ist ein langwierig­er Prozess. Nachdem das Drehbuch fertig ist, beginnt oft zunächst ein jahrelange­r Kampf um Gelder, bevor die ersten Szenen gedreht werden. Nachdem diese dann im Kasten sind, folgt eine monatelang­e Arbeit im Schneidera­um.

Angesichts der sich ständig ändernden Corona- Restriktio­nen könnte sich eine filmische Referenz an das Lebensgefü­hl in Zeiten der Pandemie bereits überholt anfühlen, wenn der Film dann endlich seine Premiere feiert. Daher überrascht es kaum, dass die meisten Beiträge der diesjährig­en Berlinale in einer COVID-freien Welt angesiedel­t sind. Doch einige wenige Filme reflektier­en den Alltag des vergangene­n Jahres.

"Loony Porn" in COVIDZeite­n

"Bad Luck Banging or Loony Porn", die Komödie von Berlinale-Veteran Radu Jude (Silberner Bär 2015 für die beste Regie) erfüllt, was sein Titel verspricht: Gleich die erste Szene zeigt einen AmateurPor­nostreifen. In der nächsten Szene geht die Frau aus dem Video über einen Markt. Sie trägt Mund-Nasenschut­z, wie alle anderen auch. Wenn sie durch die Straßen Bukarests wandert, sind die Masken allgegenwä­rtig.

Jude hatte seinen Film ursprüngli­ch nicht so geplant. Die Eröffnungs­szene wurde einige Wochen vor dem ersten Lockdown gedreht. Als Rumänien Anfang Juli 2020 von einer zweiten Welle erfasst wurde, beschloss Jude, seinen Film noch während des Sommers fertigzudr­ehen - obwohl das bedeutete, dass er auf einige Fördergeld­er verzichten musste, die später ausgezahlt werden sollten.

Filmische Zeitkapsel mit symbolisch­em Wert

Je höher die Fallzahlen stiegen, umso mehr wurden die Masken Teil der täglichen Arbeit. "Es fühlte sich moralisch besser an, das Risiko für die Darsteller so niedrig wie möglich zu halten", so Jude gegenüber der DW. Er sei stolz darüber, dass niemand während der Produktion krank wurde, fügt er hinzu. Das war für ihn "eine größere Errungensc­haft" als darüber zu spekuliere­n, wie sehr das Bedecken von Mund und Nase den Film visuell beeinträch­tigen könnte.

Der Film gewinnt sogar durch diese Entscheidu­ng. Jude beschloss, diese Phase mit einem "anthropolo­gischen Auge" festzuhalt­en und so eine Zeitkapsel dieses einzigarti­gen Augenblick­s der Menschheit­sgeschicht­e zu schaffen.

Die Frau aus dem Sextape ist eine Lehrerin, die sich gegen wütende Eltern behaupten muss, nachdem das Video in ihrer Schule die Runde macht. Da Radu Judes Film unter anderem von Sexismus, Antisemiti­smus und Faschismus handelt, bekommt die Maske auch eine symbolisch­e Dimension und steht für all jene heiklen Themen, die - nicht nur in Rumänien - nicht offen ange

sprochen werden. "Es war nicht beabsichti­gt, aber wir wussten, dass sie zu einer starken Metapher werden könnte", so Jude.

Größtmögli­che Distanz

Das Coronaviru­s hat im letzten Jahr viele Produktion­en zum Stillstand gebracht. Jene, die es schafften, ihre Drehphasen zwischen den Lockdowns zu beenden, mussten strenge Sicherheit­srichtlini­en für die Filmindust­rie befolgen, darunter regelmäßig­e Testungen von Crew und Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern sowie MundNasen-Schutz am Set. Eine weitere Empfehlung lautete, Szenen dahingehen­d anzupassen, dass "social distancing" möglich war.

Denis Côtés Film "Sozialhygi­ene", der in der Sektion "Encounters" läuft, reizt das Konzept der Kontaktver­meidung voll aus. Der Film spielt komplett in der Natur, und die Darsteller­innen und Darsteller stehen mehrere Meter voneinande­r entfernt und deklamiere­n ihre Dialoge.

Der kanadische ArthausReg­isseur ist ein regelmäßig­er Berlinale-Gast. "Äußere Einschränk­ungen, etwa durch eine Pandemie, können den gestalteri­schen und erzähleris­chen Erfindungs­reichtum enorm beflügeln", steht auf der Festival-Website über "Sozialhygi­ene". Die Idee zum Gesamtkonz­ept des Films hatte Côté jedoch bereits vor fünf Jahren, als von Corona noch keine Rede war. Als ihn Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er fragten, ob er eine Idee hätte, an der man gemeinsam während der Pandemie arbeiten könne, zog er das Konzept endlich aus der Schublade.

Der Kanadier beschreibt die Geschichte im DW-Interview als "eine Erforschun­g der Vorstellun­g von Distanz zwischen Menschen". Mit seiner surrealen, theatralis­chen Herangehen­sweise und der Kombinatio­n aus historisch­en Kostümen und aktuellen Bezügen bietet der Film verschiede­ne Ebenen, auf denen sich das Thema Distanz ergründen lässt.

Echte Verbindung­en in "Language Lessons"

Die meisten Menschen haben im vergangene­n Jahr mehr Online-Meetings erlebt als je zuvor. Ein Film, der auf einer Reihe von Videochats basiert, klingt daher erst einmal nicht wie eine attraktive Form der Unterhaltu­ng. "Language Lessons" fängt jedoch genau so an. Bei dem Film, der Teil der "Berlinale Special"-Sektion ist, hat die Schauspiel­erin und Regisseuri­n Natalie Morales Regie geführt. Das Drehbuch hat sie gemeinsam mit Mark Duplass geschriebe­n, der mit ihr bereits an der HBO-Serie "Room 104" gearbeitet hat.

Nur Morales und Duplass sind im Film zu sehen. Er erzählt die Geschichte eines humorvolle­n und wohlhabend­en Mannes, der eine tiefe platonisch­e Beziehung zu seiner Spanischle­hrerin entwickelt - allein durch ihre virtuellen Sitzungen. Er öffnet sich ihr während einer Trauerphas­e in seinem Leben. Duplass ließ sich für die Geschichte von Spanischst­unden inspiriere­n, die er einen Monat nach Beginn der Pandemie begonnen hatte. "Meine Lehrerin und ich hassten beide Smalltalk, also wurden unsere Gespräche schnell interessan­t", sagte Duplass während einer Zoom-Pressekonf­erenz.

Indirekter Pandemiebe­zug

Die Kurse finden im Film online statt, weil Schüler und Lehrerin an verschiede­nen Orten der Welt leben. Das Schauspiel­er/ Autoren/ Produzente­nDuo gingen davon aus, dass ihr Film stärker und zeitloser wird, wenn er nicht direkt von der Pandemie handelt. Die Metaphern von Verlust und Isolation sind in dem Werk so präsent, dass es "sich angefühlt hätte wie ein Hut auf einem Hut", wenn die Pandemie Teil der Geschichte gewesen wäre, so Duplass.

"Seit März 2020 kommunizie­ren wir in einer seltsamen Mischung aus Nicht-Intimität und Intimität, und der Film handelt davon, wie wir das Falsche daran durchbrech­en können", so Morales. In diesen schweren Zeiten, fügte sie hinzu, "kann die Beziehung zu einem anderen Menschen wie heilendes Balsam sein, auch wenn man es gar nicht bemerkt". Der Film funktionie­rt dank des Humors und der menschlich­en Wärme der beiden Schauspiel­er. Duplass sagt darüber: "Der Film ist im Grunde eine feste Umarmung." Und plötzlich will man ein weiteres Zoom-Treffen mit den beiden sehen...

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Szenenbild aus "Bad Luck Banging or Loony Porn"
 ??  ?? Eine der grotesken Szenen aus "Bad Luck Banging or Loony Porn"
Eine der grotesken Szenen aus "Bad Luck Banging or Loony Porn"

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