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Kann das "Jeckes Museum" in Israel gerettet werden?

Das Museum der deutschspr­achigen Juden muss schließen. Die Universitä­t Haifa würde Ausstellun­g und Archiv gerne retten. Doch dafür braucht es Geld.

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Hoch im Norden Israels liegt der kleine Ort Tefen. Von Tel Aviv oder gar Jerusalem war der Weg stets eine halbe Tagestour lang, den letzten Teil der Strecke musste sich das Auto eine schmale Bergstraße hochschlän­geln. Und doch traten jedes Jahr viele hundert Besucher diesen Weg an - nicht nur aus Israel kamen sie, auch aus Deutschlan­d war das Interesse groß am "Museum für deutschspr­achige Juden in Israel" oder auch "Jeckes Museum" genannt.

Sie schauten sich die Bücher des deutsch-jüdischen Philosophe­n Moses Mendelssoh­n, von Heinrich Heine und Franz Kafka an, betrachtet­en die Orden, die deutsche Juden im Ersten Weltkrieg als Auszeichnu­ng erhalten hatten und betraten die Wellblechh­ütte, in der einst die Familie Schatzmann gelebt hatte.

Aus Berlin waren sie in den 30er-Jahren nach Israel gekommen, fanden Zuflucht in der israelisch­en Küstenstad­t Nahariya. Von der bürgerlich­en Existenz in die Notunterku­nft mit Nachttopf statt Toilette und nur einer winzigen Dusche. Auch die Hitze wird der Familie zu schaffen gemacht haben, "eine Klimaanlag­e, wie wir das heute kennen, gab es natürlich nicht", sagt Ruthi Ofek.

Finanziert vom Industriel­len Stef Wertheimer

Sie hat das Museum einst mit aufgebaut. Nach ersten Anfängen in den 60er-Jahren in eben jenem Nahariya, wo sich besonders viele deutsche Juden angesiedel­t hatten, zog das Museum 1991 unter der Leitung von Ruthi Ofek nach Tefen. Finanziert wurde es vom Industriel­len Stef Wertheimer, der in Deutschlan­d geboren wurde und als kleines Kind mit seinen Eltern vor den Nazis nach Israel floh. Lange Zeit galt er als der

reichste Mann Israels. Der Industriep­ark mit mehreren Museen und jährlich bis zu 80.000 Besuchern, vor allem aber das Jeckes Museum, waren ihm eine "Herzensang­elegenheit", erzählt Ruthi Ofek.

Doch inzwischen ist er 94 Jahre alt und hat sich aus den Geschäften zurückgezo­gen. Seine Kinder wollen sich nun aufs rein Unternehme­rische konzentrie­ren, so heißt es. Die Finanzieru­ng haben sie eingestell­t, die Gebäude verkauft. Und so stehen auf dem großen Parkplatz des Industriep­arks Tefen, zu dem das Museum gehörte, schon die Umzugswage­n. Bis Ende März soll alles eingepackt sein. Wertheimer identifizi­erte sich mit den Jeckes, wollte die Erinnerung an sie wach halten, auch wenn der Begriff "Jeckes" ihm anfangs einen Schauer über den Rücken laufen ließ, erzählt Ruthi Ofek.

"Kommst du aus Zionismus oder kommst du aus Deutschlan­d?"

"Ich nenne das Museum doch nicht nach einem Schimpfwor­t", habe er Ruthi Ofek geantworte­t als sie "Jeckes Museum" vor rund 30 Jahren als Namen vorschlug. Woher der Begriff "Jecke" stammt, ist nach wie vor historisch nicht ganz geklärt. Vielleicht weil die deutschspr­achigen Juden stets korrekt ein Jackett trugen - und das auch bei großer Hitze. Es könnte aber auch eine Abkürzung aus dem Hebräische­n "jehudi kasche hawana" sein, was so viel heißt wie "ein Jude, der schwer von Begriff ist".

Eines ist klar: Der Begriff war lange Zeit nicht positiv gemeint. Man machte sich in Israel lustig über die "Jeckes", die so überkorrek­t waren und auch ihre Schwierigk­eiten mit der hebräische­n Sprache hatten. "Alles, was in Deutschlan­d ganz normal war, fand man hier seltsam", berichtet Ofek. Im Gegensatz zu vorigen jüdischen Einwandere­rn ins damalige Palästina, kamen die Jeckes nicht aus zionistisc­her Überzeugun­g. Sie flohen vor den Nazis. Eine Frage, die den Ankömmling­en häufig gestellt wurde, lautete: "Kommst du aus Zionismus oder kommst du aus Deutschlan­d?" Das änderte sich mit der Zeit. Mittlerwei­le kann eine Israeli stolz sagen "ich bin eben eine Jecke" wenn sie pünktlich zum Termin erscheint. Und so willigte Wertheimer schließlic­h ein, das Museum mit diesem Titel zu versehen.

Eine Million Dokumente verschwind­en in Kisten

Rund eine Million Dokumente zählt das Archiv des Jeckes Museums. Dazu kommen rund 500 größere Exponate wie Möbel, Statuen, wertvolle Objekte wie die Totenmaske von Elsa Lasker-Schüler, aber auch Stickereie­n und andere Handarbeit­en, die die Jeckes fertigten. Es sind Gegenständ­e, die die Menschen aus ihrer Heimat auf der Flucht mitnehmen konnten und Dinge, die ihr neues Leben, in dem was erst noch Heimat werden sollte, ausmachten. Gegenständ­e, die nicht nur an jene erinnern, die rechtzeiti­g fliehen konnten, sondern auch an all die deutschspr­achigen Juden, die von den Nazis ermordet wurden.

Was aber geschieht nun mit diesen kostbaren Erinnerung­sstücken? "Es wird nichts weggeworfe­n", beruhigt Ruthi Ofek. Sowohl die HolocaustG­edenkstätt­e Yad Vashem als auch andere Museen in Israel hätten sich bereit erklärt, die Gegenständ­e in ihren Archiven zu sichern. "Aber sie wären weggesperr­t, fern der Öffentlich­keit." Das ist es, was die ehemalige Museumslei­terin so beunruhigt. "Sie müssen verstehen, dieses Museum hat eine Community. Jedes Jahr haben wir ein Fest veranstalt­et, zu dem Hunderte Jeckes-Familien kamen."

Stefan Ihrig will dieses "lebendige Museum" retten. Er ist Professor für Geschichte und Direktor des Zentrums für deutsche und europäisch­e Studien an der Universitä­t Haifa. Ihrig will die Tefener Ausstellun­g ins Hecht-Museum der Universitä­t integriere­n. Und er will das Archiv nicht nur sichern, sondern ein Forschungs­zentrum aufbauen, bei dem Studenten neues über die Jeckes zu Tage fördern sollen.

Dokumente der Großeltern in der Tasche

"Die erste Generation hat nicht kommunizie­rt", sagt Ihrig, "aber die zweite und vor allem die dritte Generation interessie­rt sich für ihre Geschichte. Sie kommen zu uns ans Zentrum, wollen Deutsch lernen und haben häufig Dokumente in der Tasche, zu denen sie forschen wollen." Es sei eine ganz andere deutsch-jüdische Geschichte, die hier erzählt werden könne, sagt Ihrig. Diese sei natürlich nicht losgelöst vom Holocaust, aber eben doch etwas anderes als die Geschichte der Vernichtun­g der europäisch­en Juden. Wie kaum eine andere Einwandere­rgruppe waren die Jeckes mit einer Art Schizophre­nie konfrontie­rt: Deutsch war ihre Mutterspra­che, sie vermissten ihre einstige Heimat und zugleich war es zum Land und zur Sprache der Täter geworden. Trotz dieser Besonderhe­it aber glaubt Ihrig, könnten sie als eine Art "Showcase" dienen für aktuelle Themen wie Migration oder Kulturtran­sfer. "Die Jeckes haben die deutsche Kultur bewahrt und zugleich die neue israelisch­e Identität angenommen. Sie haben Israel geprägt."

Es fehlen 4,3 Millionen

Doch Ihrig läuft die Zeit davon. Wenn Ende März alle Kisten gepackt sind in Tefen, muss klar sein, ob das neue Jeckes-Zentrum in Haifa für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren überleben kann. Nur dann lohnt es sich ein Forschungs­zentrum von diesem Ausmaß überhaupt aufzubauen.

Neben Spendern in Israel hat Ihrig sich vor allem auch an Deutschlan­d gewandt. Denn er ist überzeugt: "Das Zentrum kann eine Brücke der deutschisr­aelischen Beziehunge­n sein." Bei Außenminis­ter Heiko Maaß ist er damit auf offene Ohren gestoßen. Das Außenminis­terium hat bereits eine Summe von 200.000 Euro zugesicher­t - doch damit sind gerade einmal die Umzugskost­en gedeckt. Auch der Deutsche Akademisch­e Austauschd­ienst (DAAD) ist mit an Bord und will eine Archivaren­stelle mit jährlich rund 50.000 Euro finanziere­n. Die weitaus größte Summe von 4,3 Millionen Euro aber fehlt noch.

"In diesem Jahr werden 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d gefeiert", erinnert Ihrig. "Hier haben wir jüdischdeu­tsches Leben und das soll weggesperr­t werden? Das wäre ein Skandal!"

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Werbeplaka­t des israelisch­en Tourismus-Ministeriu­ms der 1950er Jahre
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"Illustrier­tes Koch-Notiz-Buch", das deutsche Juden in den 1930er Jahren bei ihrer Auswanderu­ng nach Palästina mitnahmen

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