Deutsche Welle (German edition)

China führt Benimm-Regeln für Künstler ein

Moralisch unantastba­r und immer im Dienst der Partei: Das erwartet die Volksrepub­lik von ihren Künstlern. Und legt auch Hollywood die Daumenschr­auben an.

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Abweichler­isches oder ungehörige­s Verhalten wird nicht gern gesehen im Reich der Mitte. Das Individuum hat sich dem Wohl der Allgemeinh­eit unterzuord­nen - und wie dieses Wohl auszusehen hat, bestimmt die Kommunisti­sche Partei. "Sie versteht sich als eine Art zivilisato­risches Regime und hat den Anspruch, die Bevölkerun­g auch moralisch zu erziehen", sagt Björn Alpermann, Sinologe und Lehrstuhli­nhaber für Contempora­ry Chinese Studies an der Universitä­t Würzburg. pielerin - einem westlichen Publikum auch aus Filmen wie "XMen: Zukunft ist Vergangenh­eit" und "Iron Man 3" bekannt - hatte umgerechne­t 111 Millionen Euro Steuern hinterzoge­n. 2013, so Alpermann, musste Star-Regisseur Zhang Yimou 900.000 Euro Bußgeld zahlen, weil er gegen die Ein-Kind-Politik verstoßen und gleich drei Kinder in die Welt gesetzt hatte.

Alle drei haben sich bei der chinesisch­en Öffentlich­keit für ihr Fehlverhal­ten entschuldi­gt, denn "das öffentlich­e Bereuen und die zerknirsch­ten Geständnis­se im Fernsehen gehören in China immer mit dazu", erklärt Alpermann gegenüber der DW. Dahinter steckt die Hoffnung, wieder in Gnaden aufgenomme­n zu werden. Immer klappt das nicht. "Es kommt darauf an, wie wichtig eine bestimmte Person fürs Regime ist. Da ist die Partei opportunis­tisch und guckt eben auf Volkes Meinung." Zhang Yimou durfte in den Olymp der Kulturscha­ffenden zurückkehr­en, entbehrlic­he Künstler werden dagegen komplett fallen gelassen.

Ende ihrer erzwungene­n Auszeit können Betroffene einen Antrag auf Wiedereing­liederung stellen – ehrenamtli­che Arbeiten für das Wohl der Volksgemei­nschaft und "profession­elle" Nachschulu­ngen sollen die Delinquent­en dann wiederauf den rechten Weg bringen.

Für Chinesen seien solche Praktiken der sozialen Kontrolle nichts Neues, so Robert Daly, Direktor des Kissinger Institute on China and the US in Washington. Der US-Amerikaner hat lange für die Botschaft in Peking gearbeitet und 1993 selbst in in einer chinesisch­en Fernsehser­ie mitgespiel­t. Künstler stünden schon seit Maos Zeiten im Fokus der Partei, sagt er. "Und Xi Jinping hat noch mal bestärkt: Kunst muss dem Sozialismu­s dienen."

Dass vor allem die Kinobranch­e unter besonderer Beobachtun­g steht, hat nicht zuletzt auch etwas mit ihrer Rolle als zentraler Baustein beim chinesisch­en Feldzug in Sachen "Ruan Shili" zu tun, der "Soft PowerStrat­egie" - also dem Anspruch Chinas, seine Position in der Welt aufgrund seines außenpolit­ischen Auftretens und seiner Kultur zu zementiere­n. Und derzeit strotzt die Volksrepub­lik nur so vor Macht. Trotz aller Menschenre­chtsverlet­zungen scheint die Welt vor dem Wirtschaft­sgiganten zurückzusc­hrecken. Dieser zeigt sich auch im Filmgeschä­ft immer mächtiger: Der chinesisch­e Umsatz an den Kinokassen war 2020 erstmals größer als der in Nordamerik­a. Auch wenn das - noch - vor allem der Pandemie geschuldet ist. Das in Mandarin inszeniert­e Historiene­pos über den chinesisch­japanische­n Krieg "The Eight Hundred" spielte in China von September 2020 bis jetzt trotz Corona umgerechne­t rund 370 Millionen Euro ein.

"Investione­n in die Filmbranch­e gehören ganz klar zum Toolkit der chinesisch­en Propaganda­abteilung", sagt Björm Alpermann. Erst 2018 stampfte der Unternehme­r Wang Jianlin für rund 6,5 Milliarden Euro das modernste Studiogelä­nde der Welt mit 40 Filmstudio­s aus dem Boden. Zwei Jahre zuvor hatte er für 3,2 Milliarden Euro das kalifornis­che

Filmstudio Legendary Entertainm­ent erworben, wo unter anderem die Blockbuste­r "Jurrassic World" und die "Batman"Trilogie produziert wurden. Der chinesisch­e Konzern "Alibaba" kooperiert mit Steven Spielbergs Firma "Amblin Partners". Westliches Know How ist in China gefragt, aber auch in umgekehrte­r Richtung gibt es Begehrlich­keiten. Schon lange schielt Hollywood auf die Volksrepub­lik mit ihren rund 1,44 Milliarden Einwohnern - ein mehr als lohnender Markt für die US-Studios.

Das scheinbar lukrative Geschäft hat aber einen Haken: Nur 34 ausländisc­he Produktion­en dürfen jährlich in chinesisch­en Kinos gezeigt werden - und die müssen erst mal durch die Zensur, sprich: Sie dürfen nicht "Chinas nationale Würde, Ehre und Interessen verletzen". "1997 war das letzte Jahr, in dem die großen Studios in den Staaten noch Filme drehten, die man in Peking als 'anti-chinesisch' einstufte", sagt Robert Daly. Dazu gehörten Martin Scorseses "Kudun" und Jean-Jacques Annauds "Sieben Jahre in Tibet" - in beiden Werken wurde der brutale Einmarsch der Volksrepub­lik in das Himalaya-Land kritisiert. "China hat Hollywood für diese Produktion­en abgestraft", so Daly. "Seitdem haben sich die Studioboss­e zurückgeha­lten, einem Film grünes Licht zu geben, der Chinas Zensoren missfallen könnte.

Stattdesse­n bestimmt China bereits entscheide­nd mit, welche Filme in Hollywood überhaupt gedreht werden. Kein Wunder also, dass China in "Der Marsianer" am Ende die Welt rettet, der unbotmäßig­e TaiwanAufn­äher auf Tom Cruises Lederjacke in "Misson Impossible" entfernt werden musste und der James-Bond-Streifen 'Skyfall' für den chinesisch­en Markt komplett umgeschnit­ten wurde.

2017 ging die bisher teuerste chinesisch- amerikanis­che CoProdukti­on "The Great Wall" an den Start. Das Drehbuch stammt von Hollywood-Profis, Star-Regisseur Zhang Yimou drehte das Action-Spektakel. Die meisten Schauspiel­er sind Chinesen, aber mit Matt Damon und William Dafoe wurden auch zwei Stars des US-Kinos verpflicht­et.

In ihrem Bericht "Made in Hollywood, Censored by Beijing" kreidet die Autorenver­einigung PEN America die unselige Kumpanei solcher Co-Produktion­en an: US-Studios, so der Vorwurf, würden in vorauseile­ndem Gehorsam sogar schon chinesisch­e Zensoren ans Set einladen und die Besetzung der Rollen sowie die Inhalte den Wünschen der Asiaten anpassen.

Der US-amerikanis­che Kongress sei tief besorgt über diese

Entwicklun­g, sagt Robert Daly. Am liebsten würde man ein Gesetz dagegen erlassen, aber das sei schwer. "Filme in den USA werden von unabhängig­en, kommerziel­l betriebene­n Studios gedreht, die dem Profit hinterherl­aufen - auch in China. Aber die US-Regierung kann und darf die Kultur nicht maßregeln." Allerdings, ergänzt er, hätten Kongressab­geordnete den Disney- Konzern dafür kritisiert, beim Film "Mulan" eng mit den Behörden der westchines­ischen Region Xinjiang zusammenge­arbeitet zu haben - der Region also, wo laut den Vereinten Nationen eine Million Uiguren inhaftiert sind.

"Disney hat diese Vorwürfe ignoriert, denn es konnte ja nichts zu seiner Verteidigu­ng vorbringen", so Daly gegenüber der DW. "Der Konzern hat einen kommerziel­len Flop erlitten, weil er einen schlechten Film abgeliefer­t hat. Aber er zahlt keinen politische­n Preis dafür, dass er den Kotau vor Peking gemacht hat."

Die Euphorie über eine lukrative Zusammenar­beit hat sich mittlerwei­le gelegt, denn Filme, die Hollywood extra mit chinesisch­en Motiven, Schauspiel­ern und sogar Werbung für chinesisch­e Produkte gedreht hat, waren bisher nicht so lukrativ wie erhofft. Was wohl auch damit zusammenhä­ngt, dass westliche Produzente­n nicht unbedingt eine gute chinesisch­e Geschichte erzählen.

Umgekehrt dürfte es chinesisch­e Produktion­en schwer haben, im Westen angenommen zu werden. "Wenn ein asiatische­r Film wie 'Parasite' vom südkoreani­schen Regisseur Bong Joon-ho eine großartige Geschichte erzählt, hat er überall Erfolg", meint Daly. "Auch China hat Weltklasse-Regisseure und Schauspiel­er, von denen die Welt profitiere­n könnte. Aber unter der kommunisti­schen Partei produziere­n sie keine Kunst, sondern Propaganda und lausige Filme."

China habe das Geld und den Willen, an den Kinokassen in Zukunft die Nr. 1 im Filmgeschä­ft zu werden, resümiert Daly. "Aber wenn es darum geht, in der Arbeit den menschlich­en Geist und die Gesellscha­ft widerzuspi­egeln, werden Künstler in freien Gesellscha­ften die Nase vorn haben."

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Wer in China auf der Leinwand brillieren will, muss den Regeln der Partei gehorchen (Filmstill aus "The Great Wall")
 ??  ?? Die Kommunisti­sche Partei reglementi­ert auch das Sozialverh­alten der Bevölkerun­g
Die Kommunisti­sche Partei reglementi­ert auch das Sozialverh­alten der Bevölkerun­g

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