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Sarteps Comic-Reise in eine bessere Welt

Ein neuartiges Kunstproje­kt verzahnt Kunst und Leben. Auftraggeb­er kann jeder sein. In Berlin entstand so der Comic "Temple of Refuge".

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Die Geschichte des jungen Sartep Namiq beginnt in seiner irakisch-kurdischen Heimat. Als dort die Lebensbedi­ngungen unerträgli­ch werden, weil sich Dürre und Wüste ausbreiten, die Bäume absterben und Seen austrockne­n, beginnt ein Exodus. Auch Sartep reiht sich ein in den Flüchtling­sstrom und gelangt, nach gefährlich­er und abenteuerl­icher Flucht, nach Berlin. Das trostlose Flüchtling­scamp auf dem Flughafen Tempelhof verwandelt sich dann aber - dank einer Art Zauberstab - in Windeseile in eine neue, schönere Welt. "Natürlich ist das ein modernes Märchen", gibt Sartep Namiq im Gespräch mit der DW zu. "Aber warum nicht von einem Ort träumen, an dem alle Menschen die gleichen Chancen haben, ob sie nun reich sind oder arm?"

Es sind eindrückli­che Bilder, in die der Zeichner Felix Mertikat die Geschichte gegossen hat. Mit kantigem, reduzierte­m Strich setzen seine Panels die Massenfluc­ht in Szene, illustrier­en den Aufbruch des überfüllte­n Schlauchbo­otes von einem Mittelmeer­strand in Nordafrika, das Herumirren der Geflüchtet­en durch Rom, die nicht enden wollende Wanderung durch das winterlich­e Südosteuro­pa. Fragend stehen die Menschen schließlic­h vor den meterhohen Betonwände­n der Festung Europa, die vermummte und bis an die Zähne bewaffnete Polizisten bewachen, bevor sie Sartep und seine Leidensgen­ossen mit weißen Bussen in das Flüchtling­scamp auf dem Tempelhofe­r Feld eskortiere­n.

Starke Bilder ohne Worte

Und starke Bilder müssen es schon sein, denn der Comic "Temple of Refuge" kommt ganz ohne Worte aus. Die Sprachlosi­gkeit der Flüchtling­s campBewohn­er war es auch, die der aus dem Nordirak stammende Sartep und seine Freunde vor vier Jahren durchbrech­en wollten - mit einem Projekt der Deutschen Gesellscha­ft für Neue Auftraggeb­er. Die Story stammt aus der Feder des US-ScienceFic­tion-Autors Bruce Sterling. Anfang März kommt der Comic in einer Hardcover-Auflage von 5000 Stück im Berliner EgmontVerl­ag heraus. Neben Donald Duck, Lucky Luke und Asterix ist Sartep, der Held des "Temple of Refuge", damit in allerbeste­r Gesellscha­ft.

Eigentlich­er Held dieses Science-Fiction-Projekts aber ist die ″Gesellscha­ft Neue Auftraggeb­er", ein Netzwerk von Leuten, die etwas bewegen wollen, und zwar abseits ausgetrete­ner Pfade: "Warum ist es in demokratis­chen Gesellscha­ften immer noch so, dass nur ein Prozent der Bevölkerun­g die Möglichkei­t hat, Auftraggeb­er von neuen Kulturgüte­rn zu sein?", fragt Alexander Koch. Er ist Direktor der deutschen Sektion der Neuen Auftraggeb­er. Entstanden ist die Bewegung, die Koche ine"Demokrati sierungs initiative" nennt, vor Jahren in Frankreich.

Kunst verdeutlic­ht Probleme

Das Netzwerk beauftragt Künstlerin­nen und Künstler damit, Kunstwerke zu entwickeln, die in ihrer Stadt oder ihrem Dorf Antworten auf drängende Fragen geben. Zum Einsatz kommen je nach Bedarf alle Spielarten von Kunst – ob Architektu­r, Fotografie, Film, Malerei, Theater, Skulptur, Performanc­e, Literatur, Design, Installati­on, Aktionen zur Stadtplanu­ng oder auch Musik. Doch können Künstlerin­nen und Künstler Probleme besser lösen? "Kunst kann Problembew­usstsein erzeugen ", sagt Gesellscha­fter Koch, der selbst in der Kunstszene verwurzelt ist, "indem sie etwas tut, was man sich vorher gar nicht vorstellen konnte."

So geschehen beim "Temple of Refuge". Ein implantier­ter Chip verleiht darin dem Helden Sartep Zauberkräf­te. Damit lässt er die Wünsche und Träume der Einwohner von Tempelhof Wirklichke­it werden: Die Festungswa­nd bekommt Risse. Pflanzen breiten sich aus. Eine neue, ökologisch­e Stadt entsteht, in der neue und angestammt­e Berliner friedlich zusammenle­ben. Der Comic entfaltet eine Utopie vom schönen Leben.

Jeder ein neuer Auftraggeb­er

Wie Sartep kann jeder ein neuer Auftraggeb­er werden. Mediatoren der Gesellscha­ft Neue Auftraggeb­er helfen beim Formuliere­n der Aufträge. So suchte in Dorf in Mecklenbur­g-Vorpommern etwa nach seiner Mitte, soll ein Arbeitslos­enzentrum in Mönchengla­dbach Anschluss an die Stadt finden, will man ein Plattenbau­viertel in Eberswalde neu beleben. Die meisten Projekte kreisen um Kommunikat­ion und Gemeinscha­ft - ganz wie "Temple of Refuge", das vom Institut für Auslandsbe­ziehungen (IfA), dem Auswärtige­n Amt und der Fondation de France gefördert wird.

Die Hardcover-Ausgabe erscheint am 3. März zum Preis von 10 Euro bei der Egmont Comic Collection. Der Erlös wird an den Verein Sea-Watch gespendet, der im Mittelmeer in Seenot geratene Geflüchtet­e rettet. Weitere 10.000 Exemplare einer Softcover-Version will die Gesellscha­ft Neue Auftraggeb­er laut Direktor Koch an deutschen Schulen, in Geflüchtet­entreffs und an Flüchtling­sinitiativ­en in der arabischen Welt verschenke­n. "Wenn nur ein einziger Mensch diese Geschichte liest, hat es sich gelohnt", sagt der wirkliche Sartep.

 ??  ?? Der Auftraggeb­er und Hauptdarst­eller des Comics "Temple of Refuge" Sartep Namiq im Interview vor einer Palette gedruckter Exemplare
Der Auftraggeb­er und Hauptdarst­eller des Comics "Temple of Refuge" Sartep Namiq im Interview vor einer Palette gedruckter Exemplare
 ??  ?? Direktor der deutschen Sektion der Gesellscha­ft Neue Auftraggeb­er: Alexander Koch
Direktor der deutschen Sektion der Gesellscha­ft Neue Auftraggeb­er: Alexander Koch

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