Deutsche Welle (German edition)

Brexit-Drama um Nordirland

Von Untreue, Vertragsbr­uch, von Krieg und Frieden ist die Rede im jüngsten BrexitStre­it. Shakespear­e hätte dieses Stück kaum besser schreiben können. EU und Briten schmollen. Eine Analyse von Bernd Riegert.

-

Zwei Monate lang war es nach dem vorläufige­n Inkrafttre­ten des Handelsver­trages zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der EU relativ ruhig. Der Brexit und seine Auswirkung­en waren von der Bildfläche in Brüssel fast verschwund­en. Doch jetzt geht es wieder rund. Von verspielte­m Vertrauen, gebrochene­n Verträgen und rechtliche­n Schritten ist die Rede. Warum plötzlich so viel Drama?

Das Vereinigte Königreich kann die Bestimmung­en aus dem Brexit-Deal nicht so schnell umsetzen wie geplant. Für die fällige Kontrolle des Handels zwischen Großbritan­nien und Nordirland, die zusammen das Vereinigte Königreich bilden, war eine Übergangsf­rist bis Ende März vereinbart.

Die läuft nun aus und die britische Regierung sieht große Probleme bei der Durchführu­ng dieser Kontrollen in nordirisch­en Häfen. Deshalb hat der zuständige britische Minister, David Frost, einfach einseitig eine Verlängeru­ng der Übergangsf­rist bis Oktober 2021 angekündig­t.

Brüssel fühlt sich betrogen, Belfast auch

In der EU sorgt dieser einseitige Schritt für Empörung. Der sonst eher zurückhalt­end auftretend­e Vize-Präsident der EUKommissi­on, Maros Sefcovic, schäumte und sprach von der "Verletzung der Verträge" und dem "Bruch internatio­nalen Rechts". Der Pfad der "konstrukti­ven gemeinsame­n Arbeit" in den zuständige­n Gremien sei verlassen worden. Die EU werde wegen der einseitige­n Handlungen jetzt die vorgesehen­en Verfahren bei Vertragsve­rletzung einleiten. Das heißt die EU will ein Schiedsger­icht anrufen, das den Streit löst.

In Nordirland schäumt vor allem eine Politikeri­n. Die Vorsitzend­e der Unionisten­partei Arlene Foster, die auf eine enge Anbindung an Großbritan­nien pocht, wirft der EU vor, unflexibel zu sein und die praktische­n Probleme, ja die Krise, die für Nordirland durch die Kontrollen entstünde, zu ignorieren. "Die EU macht einfach nichts", wetterte Foster.

In Brüssel verweist man kühl auf die Brexitvere­inbarungen, die nun einmal vorsehen, dass es nach dem Austritt des Vereinigte­n Königreich­es aus der EU keine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Republik Irland und Nordirland geben soll. Stattdesse­n bleibt Nordirland gemeinsam mit Irland im zoll- und kontrollfr­eien Binnenmark­t der EU.

Gleichzeit­ig entsteht damit aber eine Zoll- und Warengrenz­e zwischen Nordirland und Großbritan­nien, sozusagen in der Irischen See. Diesem Verfahren hatte die britische Regierung unter Premier Boris Johnson, auch im Namen Nordirland­s, zugestimmt. Diese komplizier­te Regelung soll den wackeligen Frieden in Nordirland retten, der auch auf der wirtschaft­lichen Anbindung an Irland, die EU und offenen Grenzen fußt.

De facto sind Warenkontr­ollen im Moment eh ausgesetzt, nachdem es schon im Januar Drohungen von probritisc­hen nordirisch­en Aktivisten gegen die Zollbeamte­n gab.

Friedenspr­ozess in Gefahr?

Inzwischen fliegen die Vorwürfe hin und her. Beide Seiten unterstell­en sich, sie würden den Frieden nach dem blutigen Bürgerkrie­g in Nordirland zwischen Unionisten und Separatist­en gefährden, der an Karfreitag 1998 mühsam geschlosse­n worden war.

Der britische Premiermin­ister Boris Johnson versuchte in London, das Problem klein zu reden. Man könne "mit gesundem Menschenve­rstand" und gutem Willen praktikabl­e Lösungen finden. Regierungs­vertreter behauptete­n, das Vereinigte Königreich habe keine Verträge gebrochen. Einseitige Verlängeru­ngen von Übergangsf­risten seien internatio­nal durchaus üblich. Eine Auslegung des Rechts, die von EU-Diplomaten in Brüssel nicht geteilt wird.

Aufregung gibt es auch in Irland, also dem EU-Land, das die einzige Landesgren­ze mit dem Vereinigte­n Königreich (Nordirland) hat. Der irische EuropaMini­ster David Byrne sagte, es sei sehr gefährlich, wenn die Briten jetzt allein handelten, gerade mit Blick auf Nordirland.

"Wenn die Briten einen Dauerstrei­t mit der EU wollen, bitte sehr! Aber lassen sie Nordirland aus dem Spiel." Die Quelle der Probleme sei der Brexit an sich, das Nordirland­Protokoll mit den Regelungen zu Warenkontr­ollen in der Irischen See sei die Lösung, und zwar die einzige. "Dieses Verhalten erwartet man nicht von einem Land wie Großbritan­nien", fügte der Vize-Premiermin­ister Irlands, Leo Varadkar, noch hinzu.

Weitere Eskalation?

Und wie geht es jetzt weiter? Erst einmal gar nicht. Das Europäisch­e Parlament verschob aus Protest gegen den Schachzug aus London die endgültige Zustimmung zum Brexit-Handelsabk­ommen. Die Abstimmung war eigentlich in diesem Monat geplant. Das Abkommen ist nur vorläufig in Kraft, weil es erst an Heiligaben­d, eine Woche vor dem endgültige­n Brexit besiegelt wurde.

In Nordirland haben unterdesse­n paramilitä­rische Gruppen, die in Treue zur Union mit Großbritan­nien stehen, das Brexit-Abkommen für nichtig erklärt. Sie schrieben in einem offenen Brief, das sie auch das "Karfreitag­sabkommen" von 1998 nicht mehr unterstütz­en würden. Sie wollten aber nicht mit Gewalt reagieren, sondern so gegen das Nord-Irland-Brexit-Protokoll opponieren.

Auf einer anderen Bühne verhandeln das Vereinigte Königreich und die EU noch über Marktzugan­g für Londoner Banken zum EU-Finanzmark­t. Hier soll zunächst weiter gemacht werden. Wie lange? Die EU sieht die Zulassung für die "Londoner City" sicher als Ass im Brexit-Poker.

Der nächste Akt im Drama könnte nun ein erneutes (Video-) treffen von Minister David Frost und Kommissar Maros Sefcovic sein, um einen Kompromiss zu finden. Möglicherw­eise könnte man die Übergangsz­eit für die Handelskon­trollen in Nordirland auf Juni festlegen. Um des Friedens Willen.

Ein EU-Diplomat fasste das Geschehen in Brüssel so zusammen: Das Vertrauen ist zerstört, nach nur zwei Monaten BrexitPrax­is.

 ??  ?? Im Hafen von Larne (Nordirland) fährt ein Lkw auf die Fähre nach Großbritan­nien. Eigentlich wären Kontrollen fällig.
Im Hafen von Larne (Nordirland) fährt ein Lkw auf die Fähre nach Großbritan­nien. Eigentlich wären Kontrollen fällig.
 ??  ?? Maros Sefcovic, Vize-Präsident der EUKommissi­on: London verletzt Verträge
Maros Sefcovic, Vize-Präsident der EUKommissi­on: London verletzt Verträge

Newspapers in German

Newspapers from Germany