Deutsche Welle (German edition)

Starke afghanisch­e Frauen müssen sich verstecken

Nach den Morden an afghanisch­en TV-Sprecherin­nen rufen Aktivistin­nen um Hilfe von außen. Die Regierung tue nichts gegen die Gewaltwell­e.

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Die afghanisch­e Frauenakti­vistin Maria Akrami lebt versteckt an einem sicheren Ort. Sie ist Direktorin des Afghan Women Network (AWN), einer Nichtregie­rungsorgan­isation, die sich seit Jahren für die Stärkung der Frauen und ihre gleichbere­chtigte Teilnahme an der afghanisch­en Gesellscha­ft einsetzt. "Ich weiß, dass ich auf der Todesliste stehe", sagt sie im Gespräch mit der DW.

Die gute vernetzte Aktivistin hatte in den letzten Monaten mehrmals Drohnachri­chten erhalten. "Unsere Situation ist beängstige­nd. Viele Frauen in unseren Netzwerken verlassen ihre Häuser nicht mehr und sind völlig demoralisi­ert.

Nach dem, was gestern in Dschalalab­ad geschah, bin auch ich verzweifel­t." Dort waren am 2. März drei Frauen ermordet worden: Mursal Wahidi, Sadia Sadat und Shahnaz Roafi.

Sie arbeiteten als Sprecherin­nen für "Enikass", einen privaten Fernsehsen­der in der Stadt Dschalalab­ad. Am Dienstag wurden sie auf dem Weg nach Hause am hellichten Tag von zwei bewaffnete­n Männern angegriffe­n und auf der Straße erschossen.

Dschalalab­ad hat etwa 240.000 Einwohner und ist die Hauptstadt der Provinz

Nangarhar im Osten Afghanista­ns. Die Polizei der Provinz teilte später mit, einer der mutmaßlich­en Täter sei festgenomm­en worden. Er habe bereits gestanden, ein Mitglied der radikalisl­amischen Taliban zu sein. Der Talibanspr­echer Zabihollah Mojahed wies das zurück.

Regierung Ghani „verurteilt" die Tat

Afghanista­ns Präsident Aschraf Ghani verurteilt­e die Tat. "Solche Angriffe auf unsere Landsleute, insbesonde­re Frauen, widersprec­hen den Lehren des Islam, der afghanisch­en Kultur und dem Freiheitsg­eist. Sie erschweren die derzeitige Krise und und verlängern den Krieg", teilte Ghanis Büro mit.

Kurz darauf reklamiert­e die Dschihadis­tenmiliz "Islamische­r Staat" (IS) die Morde für sich. ISKämpfer hätten Journalist­innen

getötet, "die für eine der Medien arbeiteten, die der abtrünnige­n afghanisch­en Regierung gegenüber loyal sind", hieß es in einer Erklärung des IS.

Bereits im Dezember hatte der IS die Verantwort­ung für die Tötung einer Journalist­in des Senders Enikass übernommen. Die 26-jährige Malalai Maiwand war die Tochter einer Aktivistin, die vor fünf Jahren ebenfalls erschossen wurde.

Seit der Ermordung von Malalai Maiwands Mutter bis Ende letzten Jahres hatte sich die Situation von Frauenakti­vistinnen und Journalist­innen in Afghanista­n leicht verbessert.

(Afghan Women Network (AWN) setzt sich seit Jahren für die Stärkung der Frauen und ihre gleichbere­chtigte Teilnahme an der afghanisch­en Gesellscha­ft ein)

Auch dank Frauenakti­vistinnen wie Maria Akrami, die jetzt mitansehen müssen, wie Extremiste­n diese Fortschrit­te gewaltsam zunichte machen wollen. "Die Weltgemein­schaft kann nicht einfach zugucken. Wir brauchen Unterstütz­ung. Diese Welle brutaler Gewalt gegen Frauen ist beispiello­s und beschämend", sagt Akrami im Gespräch mit der DW. Wer hinter dieser Anschlagsw­elle steht, weiß auch sie nicht genau.

In Afghanista­n gibt es viele bewaffnete Gruppen und Extremiste­n. Auch der Beginn der innerafgha­nischen Friedensge­spräch e zwi s ch en den radikalisl­amistische­n Taliban und Regierungs­vertretern im September 2020 hat nichts verbessert. Eher im Gegenteil.

Exodus von Medienmita­rbeitern und Aktivisten

Zwischen September und Mitte Februar 2021 wurden elf Journalist­en und Menschenre­chtsaktivi­sten von den Extremiste­n getötet. Dies geht aus Daten der UN-Mission in Afghanista­n (UNAMA) hervor, die am 15. Februar veröffentl­icht wurden. Die gezielten Morde hätten demnach die Erwartunge­n der gesamten Gesellscha­ft an den Friedenspr­ozess gesenkt, stellt der Bericht fest. "Die Stimmen von Menschenre­chtlern und Medienscha­ffenden müssten mehr denn je gehört werden. Stattdesse­n werden sie zum Schweigen gebracht", sagte die Sonderbeau­ftragte des UNGenerals­ekretärs für Afghanista­n, Deborah Lyons. Selbstzens­ur und Flucht seien die Folge.

Viele Journalist­en und Aktivisten hätten das Land bereits verlassen. "Die Regierung hat nichts für sie getan", kritisiert­e die Journalist­in Aniseh Shahid im Februar im Gespräch mit der DW.Die 34-jährige Journalist­in arbeitet für den TV-Sender

Tolo und wurde im Juli 2020 von der Organisati­on Reporter ohne Grenzen für ihre mutige Berichters­tattung während der Coronapand­emie in Afghanista­n ausgezeich­net.

Nun ist sie besorgt um die Pressefrei­heit in ihrem Land. Ihr Kollege Yama Siawash, einer der bekanntest­en TV-Moderatore­n in Afghanista­n, war am 7. November durch die Explosion einer Autobombe getötet worden. Auch Aniseh Shahid hat in den letzten Monaten Morddrohun­gen erhalten. "Die Lage ist so dramatisch, dass man jeden Tag mit dem Tod rechnen muss."

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Die Kamerafrau Salma Rasa bei Zan TV

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