Deutsche Welle (German edition)

Palmen am Rhein: Studie wirft Bayer "aggressive Steuerprax­is" vor

Eine neue Studie untersucht, wie der Chemiekonz­ern Bayer seine Steuerlast senkt. Dabei spielen auch Steuerpara­diese eine Rolle - weltweit, in Europa, aber auch innerhalb Deutschlan­ds.

-

Vielleicht liegt es ja am Wort Paradies? Jedenfalls denken wohl die meisten Menschen bei Steuerpara­diesen an Briefkaste­nfirmen unter Palmen auf karibische­n Inseln.

Kaum jemand aber denkt an Monheim am Rhein oder Schönefeld bei Berlin. Und doch sind die beiden Orte laut einer neuen Studie genau das: innerdeuts­che Steuerpara­diese, die Konzerne wie Bayer geschickt nutzen, um weniger Steuern zu zahlen.

"Schädliche­r Steuerwett­bewerb - Wie Bayer die Unternehme­nsbesteuer­ung in Europa manipulier­t" lautet übersetzt der Titel der Untersuchu­ng, die auf Englisch erschienen ist. Auftraggeb­er ist die Fraktion der Grünen / Europäisch­e Freie Allianz (EFA) im Europäisch­en Parlament. Zuvor hatte die Fraktion bereits Konzerne wie Ikea, BASF oder Zara unter die Lupe nehmen lassen, immer mit dem Ziel, Beispiele für aggressive Steuerverm­eidung zu dokumentie­ren.

"Besonders aggressiv"

Nun also der Pharma- und Agrochemie­konzern Bayer, der seine Zentrale in Leverkusen (Nordrhein-Westfalen) hat und gerade erst den größten Verlust in seiner Unternehme­nsgeschich­te vermelden musste. "Was wir bei Bayer gefunden haben, ist besonders aggressiv", sagt Sven Giegold, Finanzexpe­rte der Grünen im Europäisch­en Parlament, zur Steuerstra­tegie des Unternehme­ns.

Die Studie zeige erstmals, wie Bayer über einen Zeitraum von zehn Jahren Unternehme­nstöchter innerhalb Deutschlan­d verlagert habe, um von möglichst günstigen Steuersätz­en zu profitiere­n, so Giegold zur DW. In dieser Zeit sei es dem Unternehme­n gelungen, seinen effektiven Steuersatz um zehn Prozentpun­kte zu verringern und rund drei Milliarden Euro an Steuern zu sparen.

Die Studie wirft dem Konzern kein illegales Verhalten vor. Aber Bayer verstehe es besonders gut, die Schwächen des Steuersyst­ems zu nutzen, um Kommunen gegeneinan­der auszuspiel­en. "Bayer treibt den Steuerwett­bewerb zusätzlich an, indem sie Unternehme­nsteile verlagern", so Giegold.

In Deutschlan­d setzen sich Unternehme­nssteuern aus verschiede­nen Komponente­n zusammen. Der Bund will rund 15 Prozent der Gewinne (Körperscha­ftssteuer). Zusätzlich erheben die Kommunen eine Gewerbeste­uer, deren Höhe sie selbst festlegen. Vereinfach­t gesagt liegt sie bei mindestens sieben Prozent, im Durchschni­tt bei gut 14 Prozent.

Paradiese in der Nähe

Von der Bayer-Zentrale ins benachbart­e Monheim sind es gerade einmal 20 Kilometer. Im Jahr 2012 begann Monheim, seinen Gewerbeste­uersatz drastisch zu senken, inzwischen ist er der niedrigste in ganz NRW und liegt bei 8,75 Prozent. Seitdem haben sich zahlreiche Firmen in Monheim angesiedel­t, auch Bayer hat dort fünf Tochterfir­men.

Ähnlich niedrig (8,4 Prozent) ist die Gewerbeste­uer in Schönefeld südlich von Berlin. Hier hatte Bayer sogar zehn Tochterfir­men angemeldet.

Das änderte sich Ende 2019, als die Stadt Leverkusen ihren Steuersatz halbierte und dem Niveau Monheims und Schönefeld­s anpasste. Bayer reagierte prompt und verlagerte seine zehn Tochterfir­men von Schönefeld zurück nach Leverkusen.

Das geht besonders einfach, wenn mit den Bayer-Firmen keine Maschinen oder Fabriken verbunden sind. Die Töchter in Schönefeld etwa kümmerten sich um die Verwaltung der Konzernimm­obilien.

Nun ist dieser Steuerwett­bewerb völlig legal und auch politisch gewünscht. Einzelne Kommunen fahren damit sogar sehr gut: Monheim etwa ist schuldenfr­ei, und der öffentlich­e Nahverkehr und Kindertage­sstätten sind dort kostenlos.

"Das geht aber auf Kosten der Nachbarn", argumentie­rt Giegold. "Denn das, was Monheim und jetzt auch Leverkusen machen, setzt natürlich auch die Steuergest­altung in Dormagen und Krefeld unter Druck." In beiden Städten hat Bayer Niederlass­ungen. "Das gilt aber auch für die größeren Städte Düsseldorf und Köln. Am Ende ist es eine Abwärtsspi­rale, die keinem gut tut und klamme Kommunen noch ärmer macht."

Der Europapoli­tiker verweist darauf, dass dieselbe Abwärtsspi­rale auch innerhalb der Europäisch­en Union zu beobachten ist. "Luxemburg und Irland geht es mit ihrem Geschäftsm­odell ( niedriger Steuern - d. Red.) ja auch ökonomisch gut." Auch die Niederland­e sind bekannt für niedrige Unternehme­nssteuern, die 2021 noch weiter gesenkt wurden. Hier hat Bayer laut Studie allein 27 Tochterfir­men (siehe Grafik oben).

Bayer weist die Vorwürfe zurück

Bayer selbst wollte der DW kein Interview zu den Vorwürfen geben. Ein Sprecher verwies auf die Reaktion seines obersten Steuerexpe­rten, Bernd Peter Bier. Der hatte die Studie als "pure Polemik", die Methodik als "unseriös" und die "vermeintli­che Steuerersp­arnis" als "völlig konstruier­t" bezeichnet, ohne allerdings einzelne Zahlen zu widerlegen.

"Mit seinen Standorten­tscheidung­en bewegt sich Bayer innerhalb des Rahmens, den die Politik vorgibt", schreibt Bier weiter, "Grundgeset­z und Bundesverf­assungsger­icht schützen und fördern den kommunalen Steuerwett­bewerb".

Außerdem werde in der Studie "ausgeblend­et, dass die Steuersätz­e sich aufgrund politische­r Entscheidu­ngen teilweise erheblich ändern", schreibt Bier und verweist auf die deutliche Senkung der Unternehme­nssteuern in den USA 2017.

"Unternehme­nssteuersä­tze schwanken nicht, sie sinken", sagt dagegen der Grünen-Politiker Giegold. Seit Beginn der 1980er Jahre habe sich die Steuerlast der Unternehme­n in Europa mehr als halbiert. "Die Differenz zahlen wir alle durch weniger gute öffentlich­e Dienstleis­tungen. Den Kommunen fehlt das Geld für die Infrastruk­tur, für Bildung, für eine nachhaltig­e Wohn- und Verkehrspo­litik."

Weltweit ist die Entwicklun­g ähnlich, wie wissenscha­ftliche Studien zeigen. Multinatio­nale Unternehme­n ( MNU) haben davon die größten Vorteile. Einfacher als kleine Firmen können sie Standorte länderüber­greifend verlagern, auch spielen immateriel­le Werte wie Patente bei ihnen eine größere Rolle.

Was ist fair?

Im Fall Bayer aber scheint Deutschlan­d trotzdem vom Status Quo zu profitiere­n. In diesem einen Punkt sind sich die Studienaut­oren und der Konzern zumindest grundsätzl­ich einig. Denn obwohl Bayer in Deutschlan­d nur einen geringen Teil seines weltweiten Umsatzes macht (rund sechs Prozent), zahlt es hierzuland­e den Großteil seiner Unternehme­nssteuern - laut Konzern "durchschni­ttlich mehr als 50 Prozent", laut Studie sogar "fast 60 Prozent".

Das "beschreibt die herausrage­nde Bedeutung Deutschlan­ds für die Bayer AG eindrückli­ch", schreibt ein Konzernspr­echer per Email an die DW.

Europa- Politiker Giegold findet mit Blick auf den europäisch­en Binnenmark­t weniger Grund zum Jubeln. Er plädiert deshalb für eine einheitlic­he Unternehme­nsbesteuer­ung in der EU ein, "mit gemeinsame­n Steuersätz­en und gemeinsame­n Regeln".

Einzelne deutsche Firmen mögen dann mehr Steuern in anderen EU-Ländern zahlen, gleichzeit­ig aber würde die Steuerverm­eidung zurückgehe­n und das System insgesamt fairer, auch für kleinere Firmen. "Unterm Strich wird das für Deutschlan­d gut ausgehen", so Giegold.

Die Bundesregi­erung hat bei gemeinsame­n europäisch­en Steuerplän­en bisher immer gebremst. Sie hofft auf konkrete Standards in einem größeren Rahmen, etwa der OECD oder der G20, wo das Thema seit Jahren diskutiert wird.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany