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Berlinale: Dominik Graf warnt mit Kästners "Fabian"

Dominik Graf hat die erst 2013 erschienen­e Originalfa­ssung von Erich Kästners "Fabian" verfilmt. Der Film läuft im Wettbewerb der 71. Berlinale.

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Eine U-Bahnstatio­n im BerlinWilm­ersdorf der Gegenwart. Ein moderner Zug fährt ein, Menschen steigen aus und ein, sie sind gekleidet, wie Menschen heutzutage gekleidet sind, ein Mädchen klappt einen Tretroller aus. Als die Kamera die Stufen empor gestiegen ist, landet der Zuschauer plötzlich im Berlin der späten 1920er Jahre.

Hier begegnen wir Tom Schilling in der Rolle des Moralisten Jakob Fabian. Domink Grafs Verfilmung von Erich Kästners 1931 erstmals veröffentl­ichtem Roman "Fabian" läuft im Wettbewerb der 71. Berlinale.

Jakob Fabian ist ein nüchterner Beobachter. Es zieht den noch verhindert­en Schriftste­ller zwar ins ausschweif­ende Berliner Nachtleben, das lasterhaft und praktisch ohne Regeln ist. Doch er geht nicht darin auf. Fabian sieht das Unmoralisc­he der Menschen, an deren Wandel er nicht glaubt. Als distanzier­ter Fatalist arrangiert er sich mit den Gegebenhei­ten.

Seinem idealistis­chen und trotz (oder wegen) eines reichen Elternhaus­es dem Kommunismu­s zugeneigte­n Freund Labude (Albrecht Schuch) entgegnet er: "Die Vernünftig­en werden nicht an die Macht kommen - und die Gerechten noch weniger." Für das eigene Fortkommen gilt es damals, Kompromiss­e einzugehen, Prinzipien zu opfern und sich, wenn nötig, zu prostituie­ren.

So viel Kästner steckt in Fabian

Der Protagonis­t trägt autobiogra­fische Züge seines Autors. Wie Fabian trug Kästner ein Herzleiden aus dem Ersten Weltkrieg mit sich. Die harte Ausbildung setzte dem 18-jährigen Rekruten Kästner derart zu, dass ihm immerhin ein Kampfeinsa­tz erspart blieb - im Gegensatz zu Fabian. Die Erfahrunge­n machten Kästner zum Pazifisten, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Remilitari­sierung aussprach. Seine Figur Fabian lehnt es ab, auf Tontauben zu schießen, die Salven lassen ihn zusammensc­hrecken.

Fabian ist Werbetexte­r - wie es auch Kästner eine Zeit lang war - und erlebt bald das gleiche Schicksal wie so viele Menschen in jener Zeit: Die ausgelasse­nen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg enden in Inflation und Weltwirtsc­haftskrise. Fabian verliert seine Anstellung. Er ahnt, dass dem moralische­n Verfall bald der politische folgen wird, auf den Straßen skandieren rechte Propagandi­sten bereits "Deutschlan­d erwache".

Nach und nach werden die Verluste schmerzhaf­ter: Seine große Liebe Cornelia (Saskia Rosendahl) lässt sich für die erträumte Karriere als Filmschaus­pielerin mit einem deutlich älteren Gönner ein. Bald darauf verliert Fabian auch seinen besten Freund Labude. Fabian flieht aus dem Sündenpfuh­l, doch seine Rettung scheitert an der Unmöglichk­eit, in einer unmoralisc­hen Welt zu überleben.

Renaissanc­e der Goldenen Zwanziger

"Fabian" wird bis heute häufig im Theater inszeniert. Nach dem Tod Kästners, der sich zu Lebzeiten geweigert hatte, die Filmrechte zu verkaufen, hatte Wolf Gremm den Stoff 1980 bereits mit Hans-Peter Hallwachs in der Hauptrolle verfilmt. Dominik Graf führt nun durch prunkvolle Kulissen: die großen Berliner Altbauwohn­ungen, riesige Villen, das vom Bauhaus-Architekte­n Ludwig Mies van der Rohe entworfene Haus Lemke.

Graf setzt in seiner dreistündi­gen Adaption auf einen OffErzähle­r, teils rasante Schnitte und seltene Archivaufn­ahmen, er verfremdet, wählt plötzlich einen Splitscree­n, dann Stilmittel des Stummfilms. Der Film ist nicht im heute gängigen Widescreen-, sondern im 4:3-Format gedreht, das die Älteren noch vom Röhrenfern­seher kennen.

He donismus, We lt wirtschaft­skrise, politische Zuspitzung: Die Motive sind bekannt, die Goldenen Zwanziger und besonders Erzählunge­n über das Ende der Weimarer Republik haben in den vergangene­n Jahren eine überrasche­nde Renaissanc­e erlebt.

Rainer Werner Fassbinder­s Serie "Berlin Alexanderp­latz" nach einer Romanvorla­ge von Alfred Döblin aus dem Jahr 1929 wurde digital überarbeit­et, Tom Tykwers "Babylon Berlin" nach Volker Kutschers "Gereon Rath"-Buchreihe erhielt zahlreiche Fernseh- und Grimmeprei­se. Verlage legten Romane aus der Zeit vor der Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten neu auf, darunter Gabriele Tergits "Käsebier erobert den Kurfürsten­damm" von 1931 oder Ernst Haffners ungeschönt­es Sittenbild "Blutsbrüde­r" von 1932, das so gar nichts von der oft vermittelt­en Romantik des Molochs der 1920er Jahre hat.

Auch die Vorlage von Grafs Film ist, genau genommen, recht aktuell. Erst 2013 war die Originalfa­ssung von Kästners "Fabian" erschienen, unter dem vom Autor ursprüngli­ch angedachte­n Titel "Der Gang vor die Hunde". Die Fassung von 1931 war als "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" auf den Markt gekommen, etliche Szenen waren aus dem Manuskript gestrichen worden, um sowohl den Autor als auch den Verlag zu schützen - darunter nach heutigen Maßstäben eher harmlose sexuelle Anspielung­en.

Selbst in seiner entschärft­en Fassung war der Roman den Nationalso­zialisten ein Dorn im Auge und Anlass, Kästners Werke als "undeutsche Literatur" zu deklariere­n und 1933 zu verbrennen. Auch der von Kästner vorgeschla­gene Titel wurde damals geändert, allzu offensicht­lich war die Warnung, die der Schriftste­ller damit zum Ausdruck bringen wollte. Dominik Graf stützt seine Verfilmung nun auf die Rekonstruk­tion von 2013 und nennt sein Werk "Fabian oder Der Gang vor die Hunde".

Parallelen zur Gegenwart

Dominik Graf lässt seine Adaption in der Gegenwart beginnen, in einer nicht zur eigentlich­en Geschichte gehörenden Szenerie. Trotz der bald darauf gezeigten Kulissen, Wahlkampfp­lakate, Autos und Kleidung der Goldenen Zwanziger, sind die Parallelen zur Gegenwart offensicht­lich: Wo ist der individuel­le moralische Kompass, wo der gesellscha­ftliche Konsens?

Diese Fragen werden in ein sich politisch zuspitzend­es Gesamtbild gebettet, in dem Demagogen und Demokratie­feinde längst nicht mehr nur Reden schwingen, sondern als rechtsextr­eme Terrorzell­en oder vermeintli­che Einzeltäte­r Menschen anderer Herkunft und unliebsame Politiker ermorden. Für ein "Wehret den Anfängen" ist es schon zu spät.

In einer Szene des Films verlassen die Protagonis­ten ein Wohnhaus, auf dem Bürgerstei­g stehen sie plötzlich auf einer ganzen Reihe von Stolperste­inen. Die erinnern erst seit 1992 an die Opfer des Nationalso­zialismus, der zum Zeitpunkt der Filmhandlu­ng noch bevorsteht. Am Ende geht Fabians Notizbuch erst in Flammen auf und schließlic­h unter - in einem Berg von brennenden Büchern.

 ??  ?? Tom Schilling ist "Fabian"
Tom Schilling ist "Fabian"
 ??  ?? Dominik Graf inszeniert­e "Fabian" nach der 2013 veröffentl­ichten Rekonstruk­tion
Dominik Graf inszeniert­e "Fabian" nach der 2013 veröffentl­ichten Rekonstruk­tion

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