Deutsche Welle (German edition)

Grüne: "Mehr digitales Engagement in der EU dringend nötig"

Bundeskanz­lerin Angela Merkel und drei weitere Regierungs­chefinnen aus der Europäisch­en Union fordern mehr digitale Kompetenz in Europa. Ja, aber wie? Was hält der Grüne Rasmus Andresen von Merkels Digital-Forderung?

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Vier europäisch­e Regierungs­chefinnen, darunter Bundeskanz­lerin Angela Merkel, fordern die EU-Kommission auf, mehr für die digitale Wettbewerb­sfähigkeit Europas zu tun. Der Brief ging an die EUKommissi­on, die das Schreiben aus Deutschlan­d, Finnland, Dänemark und Estland prompt begrüßt. Der Sprecher der Kommission kann eine lange Liste von Vorhaben für eine Digitalstr­ategie, zum Datenschut­z, zur Einführung des 5GNetzes, zur Regulierun­g von Anbietern und Märkten herbeten. Ende des Monats will EURatspräs­identin Ursula von der Leyen genau das machen, was die Briefschre­iberinnen fordern. Sie wird einen Aktionspla­n vorlegen. Reicht das? Wirkt das?

Die DW hat mit dem Abgeordnet­en Rasmus Andresen, haushalts- und industriep­olitischer Experte der Grünen im EuropaParl­ament, gesprochen.

Deutsche Welle: Vier Regierungs­che nnen haben einen Brief an die EU-Kommission geschriebe­n und mehr Fortschrit­t für ein digitales Europa gefordert. Müssten sich die Damen nicht an die eigene Nase zuerst fassen? Vor allem Angela Merkel? Estland steht ja ziemlich gut da. Aber Deutschlan­d hat doch die rote Laterne in Sachen digitaler Fortschrit­t?

Rasmus Andresen: Grundsätzl­ich ist es gut, dass die Mitgliedss­taaten mehr Initiative entfalten. Bei der Digita

lisierung ist das dringend nötig. Die Europäisch­e Kommission kann man damit nicht alleine lassen, sondern man muss mehr dafür tun, dass Europa digitaler wird. Aber die Partner sind doch etwas ungleich, wenn man sich vor allem Bundeskanz­lerin Angela Merkel in der Gruppe anschaut. Denn anders als beispielsw­eise Estland, Dänemark oder Finnland ist in Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren ja gerade beim Thema digitale Infrastruk­tur nicht so viel passiert. Und deshalb hätten wir uns schon auch gewünscht, dass mit dem Aufruf an die EU auch ein bisschen mehr eigenes Engagement verbunden gewesen wäre.

Müsste Deutschlan­d also mehr Selbstkrit­ik üben und sagen "wir haben dieses und jenes verschlafe­n und müssten dringend A, B und C erledigen"? Dazu hört man wenig. Gibt es keine konkreten Pläne?

Zumindest gibt es wenig Koordinati­on in der Digitalpol­itik. Wir müssen deutlich mehr investiere­n in digitale Infrastruk­tur, schnelles Internet überall beispielsw­eise, oder aber auch in die Digitalisi­erung der Verwaltung. Es ist nicht so, dass nichts passiert, aber im Vergleich zu den baltischen Ländern oder Skandinavi­en ist das, was in Deutschlan­d passiert, doch eher lächerlich. Und zumindest hätte man, wenn man gleichzeit­ig ein Appell nach Brüssel schickt, auch so ehrlich sein sollen, zu sagen, dass man selbst auch noch einiges vorhat und noch einige Baustellen zu bearbeiten hat.

Ist das alles nur eine Frage der Infrastruk­tur oder geht das nicht sehr viel weiter?

Die digitale Infrastruk­tur ist die Grundlage, würde ich sagen. Aber natürlich müssen wir uns auch viel stärker damit auseinande­rsetzen, wie digitale Innovation­en stärker auch aus Europa, aus Deutschlan­d kommen können. Und da gibt es schon auch Unternehme­n, die sich auf den Weg machen. Aber die klagen ja auch oftmals darüber, dass sie gerade in Deutschlan­d nicht die richtige Förderung bekommen oder dass Fragen zu komplizier­t geregelt sind. Deshalb wandern Unternehme­n oft auch ins Ausland ab, weil sie das Gefühl haben, dass sie in Deutschlan­d mit ihren Ideen nicht willkommen sind. Und da muss Deutschlan­d auf jeden Fall nachlegen.

Es fehlt an Anschub nanzierung und an besserer Regulierun­g, wenn man so will. Was muss jetzt auf EUEbene weiter geschehen?

Die EU-Kommission hat auf Anfrage des Europäisch­en Parlaments einen riesig langen Plan vorgelegt, was alles in der Mache sei an Regulierun­gen und an Plänen für die digitale Dekade. Und man liest es und man denkt, die denken kaum an etwas anderes. Neben der Corona-Krise gibt es jetzt nur noch das digitale Jahrzehnt.

Aber wie kann das ausgefüllt werden? Das müssen am Ende ja die Mitgliedsl­änder machen, denn es ist ja keine EU-Kompetenz.

Das Engagement der EU muss mit dem der Mitgliedss­taaten auf jeden Fall ineinander­greifen. Und wichtig ist, dass wir deutlich mehr Mittel auch in Digitalisi­erung investiere­n. Dazu gibt es jetzt mit dem Wiederaufb­auFonds nach der Corona-Krise in der EU eine einmalige Chance. Da sind wir jetzt sehr gespannt, was die Mitgliedss­taaten konkret an Projekten vorhaben. Die müssen ja in Brüssel genehmigt werden. Und zum anderen geht es aber auch darum, eine gemeinsame europäisch­e Regulierun­g auf den Weg zu bringen, beispielsw­eise um den Einfluss von Google, Amazon oder Facebook zurückzudr­ängen. Und da würden wir uns wünschen, dass auf europäisch­er Ebene Gesetze gemacht und beschlosse­n werden, die ja dazu führen, dass es auch wieder mehr Raum gibt für europäisch­e Innovation­en und Unternehme­n. Denn wenn die Digitalisi­erung weiter von Google und anderen diktiert wird, dann werden wir zwar hehre Ziele formuliere­n können, aber die Entscheidu­ngen fallen im Silicon Valley.

Das heißt, die Marktmacht der großen Internetko­nzerne aus den USA müsste bewusst zurückgedr­ängt werden, auch wenn man damit vielleicht in einen Kon ikt mit der neuen Regierung in Washington käme?

Ich glaube, dass wir da gemeinsame Interessen sogar haben mit der neuen Regierung in Washington. Es gibt ganz viele Abgeordnet­e in den USA, die ähnliche Gesetze vorbereite­n und auch nicht wollen, dass ihre Demokratie immer stärker durch Facebook und Google kontrollie­rt wird. Von daher kann ich mir sogar vorstellen, dass das ein Thema ist, wo wir auch gemeinsam mit beiden Regierunge­n auch Fortschrit­te erzielen können.

Würden Sie sagen, dass es in vielen europäisch­en Ländern - insbesonde­re aber in Deutschlan­d, auch in Frankreich - bei den Regierende­n und in der Verwaltung an der richtigen Denke fehlt? Werden wirklich digitale Lösungen gesucht oder schleppt man nur die Aktenberge von vorgestern durch die Flure? Können Regierung an dieser Haltung überhaupt etwas machen?

Das Problem ist in der Tat, dass in Deutschlan­d immer zu wenig auf Digitalisi­erung gesetzt wurde und dass man oftmals das Gefühl hatte, dass Digitalisi­erung ein komplizier­ter Prozess ist, der zur Umstellung zwingt und vielleicht auch gar nicht nötig ist. Da haben wir gerade in der öffentlich­en Verwaltung in Deutschlan­d ganz lange sehr, sehr stark diese Grundhaltu­ng gehabt und in der Politik ohnehin. Und jetzt merken wir so langsam, wie es uns schadet und dass beispielsw­eise Dänemark oder andere skandinavi­sche Länder uns jetzt um einiges voraus sind, weil sie von Anfang an viel offener waren. Politik kann das nicht alleine machen, den Politik kann Gesellscha­ft nicht alleine verändern. Aber Politik muss dafür den Rahmen setzen und das Ganze auch vorleben. Und da würde ich mir auch wünschen, dass von der Bundesregi­erung wesentlich mehr passiert. Denn wenn nicht dort, wo dann?

Rasmus Andresen (35) ist seit 2019 Abgeordnet­er im Europäisch­en Parlament. Zuvor war der Politiker von Bündnis90/Die Grünen zehn Jahre Abgeordnet­er im Landtag von Schleswig-Holstein.

Die Fragen stellte Barbara Wesel.

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Digital voran: Der junge Grüne Rasmus Andresen wünscht sich mehr Handeln statt Briefe schreiben

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