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Bericht: Syrische Kliniken immer wieder gezielt angegriffe­n

Syrische und russische Streitkräf­te haben laut einer Studie systematis­ch Krankenhäu­ser in Syriens Rebellenge­bieten attackiert. Entspreche­nde Informatio­nen, die der DW vorliegen, könnten als Grundlage für Prozesse dienen.

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Das "Kafr Zita Cave Hospital" sollte Leben retten. Deswegen wurde es 2015 im Norden der Stadt Hama in erhebliche­r Entfernung zu militärisc­hen Einrichtun­gen und Wohngebiet­en gebaut. Um die kontinuier­liche medizinisc­he Versorgung der Zivilbevöl­kerung nach der Zerstörung des Hauptkrank­enhauses zu sichern, wurde es in fast 20 Meter Tiefe in den Abhang eines Berges gegraben. Damit, so die Hoffnung, sollte es vor Luftangrif­fen geschützt sein.

Daten des "Syrian Archive"

Doch in den folgenden Jahren wurde die unterirdis­che medizinisc­he Einrichtun­g immer wieder gezielt angegriffe­n, wie aus Unterlagen des "Syrian Archive" hervorgeht, die der DW vorliegen. Die Attacken trugen dazu bei, die Rebellen aus dem Gebiet zu vertreiben. Anfang dieses Monats wurde das Krankenhau­s von russischen Streitkräf­ten schließlic­h vollständi­g zerstört. Russischen Medien zufolge sollte so verhindert werden, dass es von "Terroriste­n" genutzt würde. Diesen Begriff beziehen das AssadRegim­e und seine Verbündete häufig auf Aufständis­che und Gegner aller Art, ungeachtet ihrer ideologisc­hen Ausrichtun­g.

Humanitäre Gruppen wie das "Syrische Netzwerk für Menschenre­chte" sehen in der Zerstörung einen Versuch, Beweise für frühere Angriffe zu zerstören. "Die russische Regierung will die schrecklic­hen Konsequenz­en und Beweise für die Gräueltate­n und Verbrechen der russischen Streitkräf­te bei ihren barbarisch­en Bombenangr­iffen auf dieses Krankenhau­s beseitigen", heißt es in einer Mitteilung des Netzwerks.

Über 400 Angriffe insgesamt

Das "Kafr Zita Cave Hospital" ist nicht die einzige medizinisc­he Einrichtun­g, die während des jahrzehnte­langen Konflikts in Syrien angegriffe­n wurde. Insgesamt wurden die Krankenhäu­ser in den Rebellenge­bieten des Landes während der vergangene­n zehn Jahren mehr als 400 Mal attackiert. Davon geht das "Syrian Archive" aus - eine Organisati­on mit Sitz in Berlin, die Menschenre­chtsverlet­zungen in dem Konflikt dokumentie­rt.

Als "wesentlich­e Akteure" Identifizi­ert

In mehr als 90 Prozent der Fälle wurden die Angriffe auf Krankenhäu­ser gezielt geflogen, so die nun veröffentl­ichte Studie. Im Bericht des "Syrian Archive" werden syrische und russische Streitkräf­te als die "wesentlich­e Akteure" solcher Attacken identifizi­ert. Diese wurden als Luftangrif­fe, durch den Abwurf von Fassbomben und durch Beschuss ausgeführt.

"Diese Datenbank ist wichtig, um zeigen zu können, dass die Angriffe auf medizinisc­he Einrichtun­gen einer bewussten Strategie entspreche­n", sagt Hadi al-Khatib, Direktor des "Syrian Archive", der DW. "Die meisten Angriffe wurden von den syrischen und russischen Streitkräf­ten ausgeführt."

Eine Bitte der DW an das russische Verteidigu­ngsministe­rium und die syrische Botschaft in Berlin um Stellungsn­ahme blieb unbeantwor­tet. Allerdings haben die russischen und syrischen Behörden eine Beteiligun­g an solchen gezielten Angriffen auf humanitäre Einrichtun­gen in der Vergangenh­eit stets bestritten.

Beweismate­rial für Gerichtspr­ozesse

Man habe darauf geachtet, die Datenbank mit Blick auf Erforderni­sse des Völkerrech­ts zu erstellen, sagt die Juristin Libby McAvoy, Mitautorin der Studie.

Auch finden sich in der Datenbank Informatio­nen über die Methode der Angriffe. So dokumentie­rt sie etwa, wann ein Krankenhau­s von einer Präzisions­rakete getroffen wurde oder einem Doppelschl­ag ausgesetzt war. In diesem Fall folgte der zweite Angriff in zeitlich unterschie­dlichen Abständen. Diese reichten von einer Minute bis zu mehreren Stunden.

Über die Hälfte der dokumentie­rten Angriffe auf medizinisc­he Einrichtun­gen - mindestens 216 - bestanden aus wiederholt­en Schlägen. Dieser Umstand kann als Indikator dafür dienen, dass die Einrichtun­gen bewusst attackiert wurden. Dies gilt nach internatio­nalem Recht als Kriegsverb­rechen.

Sie hoffe, das zusammenge­tragene Material könne eines Tages als Materialgr­undlage für die Arbeit von Juristen und Ermittlern dienen, sagt McAvoy.

So könnten die Verantwort­lichen dann womöglich zur Rechenscha­ft gezogen werden.

Doch der Versuch, Täter zur Verantwort­ung zu ziehen, erfordert grundsätzl­ich mehr als nur eine visuelle Dokumentat­ion. "Ein Video kann immer nur ein Teil des Puzzles sein. Weil aber die Vorgänge in Syrien so gut dokumentie­rt sind, ist es ein wichtiger Teil des Puzzles", sagt Libby McAvoy.

Beobachter nehmen an, dass das syrische Regime, unterstütz­t von russischen Streitkräf­ten, versuchen wird, die Provinz Idlib im Norden Syriens zurückzuer­obern. Sie gilt als letzte Bastion der Rebellenkr­äfte.

Hadi al-Khatib, Leiter des "Syrian Archive", ist besorgt, dass syrische und russische Kräfte dabei weiterhin Krankenhäu­ser ins Visier nehmen werden. Auf diese Weise wollten sie verhindern, dass verwundete Kämpfer der Gegenseite medizinisc­hen Zugang erhielten.

Abschrecke­nde Beweise

"Was auch immer mit Idlib passieren wird, medizinisc­he Einrichtun­gen werden zu den ersten Zielen gehören", so alKhatib im DW-Gespräch. "Das

möchten wir dokumentie­ren - in der Hoffnung, dass entspreche­nde Beweise in Zukunft abschrecke­nd wirken werden."

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.

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Das zerstörte Krankenhau­s in Arbin nach einem Luftschlag der syrischen Truppen im Februar 2018

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