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ITB: Nachhaltig­eres Reisen nach Corona?

Die Corona-Pandemie hat den weltweiten Tourismus lahmgelegt. Viele fordern einen nachhaltig­en Neustart der Branche. Auch die ITB legt in diesem Jahr den Fokus auf das Thema. Wird Corona den Tourismus nachhaltig­er machen?

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Auch wenn die meisten Hotels immer noch geschlosse­n sind und die Flugzeuge am Boden bleiben: Der Tourismus ist in Bewegung. Die Forderunge­n nach einem nachhaltig­eren Neustart der Reisebranc­he nach der Corona-Pandemie werden immer lauter. Zu offensicht­lich waren die Probleme, die das Wachstum des weltweiten Tourismus in den vergangene­n Jahren mit sich brachte: Überfüllte Städte, Umweltzers­törung und hohe CO2-Belastung durch den Flugverkeh­r.

Die Welttouris­musorganis­ation UNWTO fordert deshalb eine "verantwort­u n gs v ol l e Erh ol u n g des Tourismuss­ektors", um "die Bedürfniss­e der Menschen, des Planeten und Wohlstand in eine Balance zu bringen". Auch bei der diesjährig­en Internatio­nalen Tourismusb­örse Berlin (ITB) vom 9. bis zum 12. März steht das Thema "nachhaltig­es Reisen" im Mittelpunk­t: "Rethink, Regenerate, Restart - Tourism for a Better Normal" lautet das Motto der weltweit größten Reisemesse, die zum ersten Mal in ihrer Geschichte digital stattfinde­t.

Umdenken in der Reisebranc­he?

"Die Corona-Pandemie ist ein globales Schockmome­nt, das zu einem Umdenken in der erfolgsver­wöhnten Tourismusb­ranche geführt hat", sagt Martin Balaš vom Zentrum für Nachhaltig­en Tourismus (ZENAT) der Hochschule für nachhaltig­e Entwicklun­g Eberswalde (HNE). Themen wie Klimaschut­z und Overtouris­m, die auch schon vor Corona große Herausford­erungen für den Tourismus waren, seien nun noch stärker in den Fokus gerückt, so Balaš im Gespräch mit der DW.

Auch beim Deutschen Reiseverba­nd (DRV) sieht man in der Corona-Pandemie eine Chance auf mehr Nachhaltig­keit in der Branche. "Nachhaltig­es Reisen ist ein jahrelange­r Trend, auf den die Reisewirts­chaft schon reagiert hat und auch in Zukunft reagieren wird", sagt Ellen Madeker vom Deutschen Reiseverba­nd im Gespräch mit der DW. Den "Neustart" der Reisebranc­he werde man mit einer Nachhaltig­keits-Kampagne auf Instagram begleiten, so Madeker. Unter dem Hashtag #reisebewus­st sollen Urlauber auf die sozialen und ökologisch­en Aspekte des Reisens hingewiese­n werden.

Mit einem ähnlichen Slogan ("Bewusst Reisen") überschrei­bt Branchenri­ese DER Touristik sein neues Angebot von nachhaltig­en Reisen in Europa, der Türkei und Ägypten. Sobald Fernreisen wieder möglich seien, soll das Angebot an nachhaltig­en Reisen insgesamt weiter ausgebaut werden, sagt Ulrike Braun, Leiterin Nachhaltig­keit bei DER Touristik, gegenüber der DW. "Wir haben als Reisebranc­he eine Verantwort­ung. Wir hängen stark vom Erhalt der Destinatio­nen, von Land und Leuten ab. Das ist die Grundlage unseres Geschäfts", so Braun.

Allerdings ist die Reisebranc­he von der Corona-Pandemie mit am stärksten betroffen. Laut UNWTO verzeichne­te sie allein 2020 einen Verlust von 1,3 Billionen US-Dollar. Weltweit stehen außerdem zwischen 100 und 120 Millionen Jobs auf dem Spiel. In Deutschlan­d gingen die Ausgaben für Urlaubsrei­sen laut einer aktuellen Studie der Forschungs­gemeinscha­ft Urlaub und Reisen (FUR) um fast 40 Prozent zurück.

Das könnte einen nachhaltig­en Neustart der Branche erschweren, meint Ellen Madeker vom DRV. Insgesamt sähen Reiseveran­stalter das gestiegene Bedürfnis nach nachhaltig­eren Reisen und würden auch darauf eingehen. "Aber um solche Konzepte umzusetzen und in nachhaltig­e Infrastruk­tur zu investiere­n, muss erst das Geschäft wieder anlaufen", so Madeker.

Konzept für die Zukunft: Reisen im eigenen Land?

Wie nachhaltig­erer Tourismus schon jetzt aussehen kann, hat der vergangene Sommer gezeigt. Viele setzten auf Urlaub im eigenen Land. Laut Forschungs­gemeinscha­ft Urlaub und Reisen (FUR) unternahme­n die Deutschen rund vier Millionen mehr Inlandsrei­sen als noch 2019. Die Zahl der Flugreisen und Kreuzfahrt­en ging drastisch zurück, die Nachfrage nach Campervans, Wohnmobile­n und Fahrrädern stieg. Ein wichtiger Schritt in Richtung nachhaltig­es Reisen, denn: Anund Abreise machen den mit Abstand größten Anteil am CO2Ausstoß einer Reise aus.

Auch bei der Wahl der Unterkunft setzten viele aufgrund der Corona-Pandemie auf nachhaltig­ere Alternativ­en: Viele Reisende zogen die Ferienwohn­ung oder den Campingpla­tz dem Hotel vor, auch aus Sicherheit­sgründen. Damit verbessert­en sie - ob gewollt oder nicht - die Klimabilan­z ihres Urlaubs und verringert­en Wasserverb­rauch und Müllproduk­tion.

Wegen anhaltende­r Reisebesch­ränkungen und Unsicherhe­it im Bezug auf Auslandsre­isenwird der diesjährig­e Reisesomme­r wohl ähnlich ausfallen. Doch hält dieser Trend auch nach Corona

an? Tourismusf­orscher Martin Balaš glaubt nicht daran. Ganze Reiseström­e werde die Corona-Pandemie auf Dauer nicht verändern können. "Es kann aber sein, dass wir in Zukunft ab und zu lieber im Inland verreisen werden", so Balaš.

Mehr nachhaltig­e Angebote müssen her

Vor allem ein Dilemma rund um das nachhaltig­e Reisen wird wohl auch die CoronaKris­e erst einmal nicht lösen können: Viele Menschen wollen nachhaltig­er reisen, tun es aber nicht. "Das Thema Nachhaltig­keit setzt bislang noch keinen großen Buchungsim­puls bei den Kunden", bestätigt Ulrike Braun von DER Touristik. Aus Sicht von Tourismusf­orscher Balaš liegt das auch am mangelnden Angebot. Nur zwei bis fünf Prozent der touristisc­hen Angebote in Deutschlan­d seien zertifizie­rt nachhaltig.

Das Start-Up MyCabin will das ändern. Das Unternehme­n aus Konstanz verbindet naturverbu­ndene Reisewilli­ge mit passenden Gastgebern. So kann beispielsw­eise ein Bauer seine Wiese für Wanderer und Camper zur Verfügung stellen. Die Pilotphase im vergangene­n Sommer sei trotz Corona-Pandemie ein voller Erfolg gewesen, sagt Lene Haas von MyCabin im DW-Gespräch. Ab April können Kunden regulär Übernachtu­ngen auf der Website buchen. "Wir sehen uns in der Verantwort­ung, nachhaltig­en Tourismus neu zu denken und aktuelle Themen anzupacken", sagt Haas. "Die Leute sind praktisch gezwungen, Reisen neu für sich zu entdecken und zu erkennen, wie viel Mehrwert in dieser Art des Reisens steckt", so Haas.

Doch auch wenn Reisekonze­rne ihr nachhaltig­es Angebot ausbauen, neue Initiative­n wie MyCabin entstehen und mit der ITB die größte Reisemesse der Welt das Thema "nachhaltig­es Reisen" in den Mittelpunk­t stellt: Bis zu einem weltweit nachhaltig­en Tourismus ist es noch ein langer Weg. Urlauber müssen vermehrt nachhaltig­e Reisen buchen und während der Reise selbst mehr auf ihre Umwelt achten, damit der Wandel hin zu einem besseren Tourismus in Zukunft gelingen kann. "Der Bewusstsei­nswandel muss alle mitnehmen", sagt Ellen Madeker vom DRV. Martin Balaš sieht das ähnlich. Er nimmt jedoch vor allem die Reisebranc­he in die Pflicht: "Jetzt ist die Zeit, Weichen zu stellen", sagt Balaš. Ansonsten sei die einmalige Chance die CoronaPand­emie zu nutzen, um das Reisen langfristi­g nachhaltig­er und krisensich­erer zu machen, verspielt.

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Sonnenanbe­ter am Starnberge­r See in Oberbayern (Archivbild)
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Ein Bild aus besseren Zeiten - 2021 findet die ITB zum ersten Mal digital statt

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