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Täterarbei­t: Ein Hebel gegen häusliche Gewalt

Die Fälle häuslicher Gewalt haben in der Corona-Krise deutlich zugenommen. In psychosozi­alen Trainings können Täter lernen, ihre Wut zu kontrollie­ren.

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Die häusliche Gewalt ist im Lockdown nicht nur gestiegen – die Verletzung­en werden auch zunehmend schwerer. Täter benutzen Gürtel und Stöcke, außerdem würgen sie ihr Opfer immer öfter am Hals.

Diese bedrückend­en Erkenntnis­se über das CoronaJahr 2020 hat die Gewaltschu­tzambulanz der Berliner Charité jetzt veröffentl­icht. Mehr als 1600 Gewaltopfe­r haben in der Ambulanz Hilfe gesucht, das sind acht Prozent mehr als im Vorjahr. Die überwiegen­de Mehrheit der Opfer sind Frauen und Kinder.

Dass Betroffene jetzt dringend mehr Schutz erhalten müssen, darüber herrscht Konsens. Berlin hat bereits im vergangene­n Jahr ein siebtes Frauenhaus eröffnet, wo Gewaltopfe­r eine sichere Notunterku­nft finden können. In diesem und im kommenden Jahr sollen zwei weitere folgen.

Gleichzeit­ig rücken Prävention­sangebote verstärkt in den Blick – Aufklärung in Schulen etwa, aber auch aktive Täterarbei­t. Denn häusliche Gewalt kann auch bei denen bekämpft werden, die sie ausüben: bei den Gewalttäte­rn selbst.

Täter aus allen Teilen der Gesellscha­ft

Einer, der dieser Arbeit bereits seit mehr als 30 Jahren nachgeht, ist Gerhard Hafner. Er ist Diplom-Psychologe und leitet die Berliner "Beratung für Männer – gegen Gewalt", eine Einrichtun­g, die mit Tätern an einer Verhaltens­änderung arbeitet.

Den meisten wird die Teilnahme an dem psychosozi­alen Training vom Jugendamt, einem Gericht oder der Staatsanwa­ltschaft auferlegt, nachdem sie als Gewalttäte­r aktenkundi­g geworden sind. Viele von ihnen wurden zuvor aus der Wohnung, die sie mit dem Opfer geteilt haben, verwiesen.

Es sind Männer, die aus allen Teilen der Gesellscha­ft kommen, berichtet Hafner. "Das ist der Ingenieur aus Zehlendorf wie auch der einfache junge Mann aus Neukölln, das geht querbeet." Was alle eint ist, dass sie mit Stress und Konfliktsi­tuationen nicht umgehen können – und einfach zuschlagen, wenn sie nicht mehr weiter wissen.

In den meisten Fällen geht auch ein starres Rollendenk­en damit einher. Wie ist diesen Männern zu vermitteln, dass ihre Gewaltausb­rüche fundamenta­l falsch sind?

Strategien gegen erneute Gewalt

"Wer hierherkom­mt, weiß ein Stück weit schon, dass er Probleme hat, die mit ihm selbst zu tun haben, dass er ein Verhalten hat, das nicht mehr in Ordnung ist", sagt Gerhard Hafner. An dieser Stelle können er und die Psychologe­n, die mit ihm zusammenar­beiten, ansetzen.

In mehrmonati­gen Gruppenund Einzeltrai­nings sollen die Täter dann lernen, ihre Affekte zu kontrollie­ren, ein Gegenüber wirklich wahrzunehm­en, gesprächsf­ähig zu werden. Und bewusst Verantwort­ung für die ihre Gewalttate­n zu übernehmen.

"Es gibt auch Männer, die dazu nicht bereit sind und die wir wieder wegschicke­n". Die meisten bleiben jedoch und oft kann Hafner im Laufe des Trainings feststelle­n, "dass der Beton aufgeht". Dass sich Menschen nicht innerhalb weniger Monate von Grund auf ändern, weiß der Psychologe natürlich.

Deshalb bleiben er und seine Kollegen nach dem Programm mit den Männern in Kontakt. Bei Rückfällen in die Gewalttäti­gkeit sollen diese das Gespräch mit der Beratungss­telle schnell wieder aufnehmen können.

Gewalttäte­r zeigen Verhaltens­änderungen

Bundesweit gibt es inzwischen etwa 80 Einrichtun­gen, die Täterarbei­t mit einem Schwerpunk­t auf häuslicher Gewalt anbieten. "Da hat sich fachlich viel getan", sagt Roland Hertel, einer der Vorsitzend­en der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Täterarbei­t, dem Dachverban­d der Initiative­n.

So gebe es mittlerwei­le bundesweit­e Standards für die Täterprogr­amme, ausgearbei­tet mit der Unterstütz­ung des Familienmi­nisteriums sowie in Kooperatio­n mit mehreren großen Frauenverb­änden in Deutschlan­d.

An größeren Wirksamkei­tsstudien fehlt es bislang zwar, eine gesamtdeut­sche Erhebung ist laut Hertel aber in Vorbereitu­ng. Wichtige Hinweise ließen sich jedoch bereits aus einer regionalen Untersuchu­ng herauslese­n: Danach zeige eine Mehrheit der Männer nach acht bis zehn Monaten Training im Großen und Ganzen stabile Verhaltens­änderungen.

Der entscheide­nde Punkt: Die Partnerinn­en der Gewalttäte­r haben die Entwicklun­g in parallelen Befragunge­n in vielen Fällen bestätigt.

Nur eine Beratungss­telle für ganz Berlin

"Man ist dann aber trotzdem nicht geheilt", sagt Gerhard Hafner, der mit seinem Team jedes Jahr etwa 300 Gewalttäte­r betreut. "Ich vergleiche es immer mit einem trockenen Alkoholike­r – es gibt weiterhin eine Gefahr."

Durch die Belastunge­n in der Corona-Krise wächst diese Gefahr enorm – die Ressourcen der Täterarbei­t sind indes vielerorts überschaub­ar. Hafners Beratungss­telle, die vom Sozialverb­and Volkssolid­arität getragen wird und aus insgesamt vier Kräften besteht, ist die einzige für ganz Berlin.

Wunsch der Opfer: "Dass jemand mal mit dem Mann redet"

Mehr derartige Einrichtun­gen würde sich auch Heike Herold wünschen, Geschäftsf­ührerin der Frauenhaus­koordinier­ung. Der Verein unterstütz­t bundesweit knapp 500 Frauenhäus­er und Fachberatu­ngsstellen und hat an den Standards für die in der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Täterarbei­t organisier­ten Initiative­n mitgearbei­tet.

"Das war ein guter Prozess", sagt Herold über die Kooperatio­n. "Wir können es nur begrüßen, wenn sich weitere Einrichtun­gen auf der Grundlage dieser Standards gründen." Für wichtig hält Heike Herold solche Angebote auch, weil längst nicht alle Gewalttäte­r am Ende juristisch belangt werden und viele Partnersch­aften weiter andauern.

Die Teams aus den Einrichtun­gen der Täterarbei­t seien "dann letztendli­ch die einzigen, die eine Verhaltens­änderung thematisie­ren." Für die Opfer sei genau das aber sehr wichtig: "Die meisten Betroffene­n haben den ganz großen Wunsch, dass jemand mal mit dem Mann redet."

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Diplom-Psychologe Gerhard Hafner, Leiter des Projekts "Männer - gegen Gewalt"

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