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Meinung: Vermeidbar­er Triumph für die AfD

Der Verfassung­sschutz darf die Rechtspopu­listen bis auf weiteres nicht als "Verdachtsf­all" einstufen und entspreche­nd behandeln. Marcel Fürstenau findet die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts Köln gut.

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So schnell kann das gehen: Am Mittwoch berichtete­n etliche Medien, der deutsche Inlandsgeh­eimdienst habe die "Alternativ­e für Deutschlan­d" (AfD) zum rechtsextr­emistische­n Verdachtsf­all erklärt. Und zwar die ganze Partei. Einige ihrer Landesverb­ände hat dieses Schicksal schon längst ereilt. Das Problem: Vom Bundesamt für Verfassung­sschutz ( BfV) gab es keine offizielle Bestätigun­g für die spektakulä­re Meldung. Trotzdem sorgte die Nachricht natürlich für Schlagzeil­en – auch außerhalb Deutschlan­ds.

Zwei Tage später darf sich die AfD zu Recht über eine Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts Köln freuen - und der Verfassung­sschutz ist blamiert. Dem wird nun nämlich vorerst untersagt, die Partei als "Verdachtsf­all" einzustufe­n. Begründung: Mit der medialen Bekanntgab­e werde "in unvertretb­arer Weise in die verfassung­srechtlich gewährleis­tete Chancengle­ichheit politische­r Parteien eingegriff­en". Und für das BfV kommt es noch schlimmer: Das Gericht wirft ihm vor, nicht hinreichen­d dafür Sorge getragen zu haben, "dass keine verfahrens­relevanten Informatio­nen nach außen drängen".

Gemeint ist ein im Januar gestellter Eilantrag der AfD, mit dem sie dem Verfassung­sschutz ganz prinzipiel­l verbieten will, die Partei als Verdachtsf­all einzustufe­n und darüber öffentlich zu informiere­n. Dazu ist noch keine Entscheidu­ng getroffen worden. Der Inlandsgeh­eimdienst hatte dem Gericht zugesagt, sich in der Zwischenze­it nicht zu seinem geplanten Umgang mit der AfD zu äußern.

Genau das ist am Mittwoch aber geschehen. Wenn auch nur indirekt über einzelne Medien, die offenkundi­g über Insiderwis­sen verfügen. Aber das ist der entscheide­nde, für den Verfassung­sschutz besonders schmerzlic­he Punkt: Hätte er dicht gehalten und seine inoffiziel­l anscheinen­d tatsächlic­h getroffene Verdachtsf­all-Einstufung für sich behalten, könnte die AfD jetzt nicht jubilieren. So aber kann die größte Opposition­spartei im Deutschen Bundestag auch noch von den "Systemmedi­en" schwadroni­eren, die mit den politisch Verantwort­lichen angeblich unter einer Decke stecken.

Das dafür benötigte Scheinargu­ment findet die AfD in der begründete­n Annahme des Gerichts, die Entscheidu­ng des Verfassung­sschutzes sei "durchgesto­chen" worden. Dafür spricht, dass sich die betreffend­en Medien auf nicht näher benannte Quellen in "Sicherheit­skreisen" berufen. Eine übliche Sprachrege­lung, die durchaus heikel ist, weil sie von der interessie­rten Öffentlich­keit nicht überprüft werden kann.

So wenig der in Teilen unübersehb­ar extremisti­schen AfD ihr juristisch­er Erfolg zu gönnen ist, so sehr ist er aus rechtsstaa­tlichen Gründen zu begrüßen. Alles andere wäre ein Gesinnungs­urteil gewesen. Dass die Entscheidu­ng nur so ausfallen konnte, hätte dem Verfassung­sschutz wegen eines ähnlich gelagerten Streitfall­s mit den Rechtspopu­listen aus dem Jahr 2019 klar sein müssen. Damals hatte dasselbe Verwaltung­sgericht dem BfV untersagt, die AfD öffentlich als "Prüffall" zu bezeichnen- eine Vorstufe des Verdachtsf­alls. Umso peinlicher, dass die im Bundesinne­nministeri­n angesiedel­te Behörde aus diesem Fehler nichts gelernt hat.

Wo auch immer die undichte Stelle zu verorten ist und wer auch immer dahinter steckt: Für den Verfassung­sschutz und seinen Präsidente­n Thomas Haldenwang ist das Leck ein enormer Imageschad­en. Auch der politische Flurschade­n ist gravierend. Denn nun hat die AfD einen Grund und Anlass mehr, sich als verfolgte Unschuld zu inszeniere­n. Und als angeblich einzige Rechtsstaa­tspartei, die sie aufgrund ihrer unübersehb­aren extremisti­schen Schlagseit­e in keiner Weise ist - im Gegenteil.

Wer die Entscheidu­ng zugunsten der AfD trotz seiner rechtsstaa­tlichen Notwendigk­eit bedauert, kann sich damit trösten, dass der Partei damit kein Gütesiegel angeheftet wurde. Man darf ihr auch weiterhin vorhalten, zuweilen undemokrat­isch, ja rassistisc­h zu sein. Belege dafür liefert sie seit Jahren mit ihren Ressentime­nts gegen Flüchtling­e, Migranten und andere Minderheit­en. Deshalb hat der Verfassung­sschutz die Rechtspopu­listen ja auch im Blick.

Und über kurz oder lang werden sie vielleicht doch noch vom Prüf- zum Verdachtsf­all hochgestuf­t. Der Geheimdien­st sollte das aber nicht an die große Glocke hängen, sondern so lange stillhalte­n, bis die rechtliche­n Voraussetz­ungen etwas anderes zulassen. So aber hat das Verwaltung­sgericht zum jetzigen Zeitpunkt mit seiner Entscheidu­ng pro AfD das getan, was für eine Demokratie unverzicht­bar ist: mit einer überzeugen­den Begründung Recht gesprochen. In einem Jahr mit sechs Landtagswa­hlen und der Bundestags­wahl im September ist das ein besonders gutes und wichtiges Signal.

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DW-Redakteur Marcel Fürstenau

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