Deutsche Welle (German edition)

Myanmars Militär macht massiv Druck auf die Presse

Druck auf Journalist­en, verschärft­e Gesetze, Internet-Blockaden: Myanmars Armee will die den Informatio­nsfluss kontrollie­ren. Aber noch fließen die Daten.

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Das erste Opfer eines Putsches ist die Wahrheit. Am 3. März wurde die 19jährige Demonstran­tin Kyal Sin ("Angel") durch einen Kopfschuss getötet. Sie trug ein TShirt mit dem Schriftzug "Everything will be OK". Augenzeuge­n gaben an, dass ein Scharfschü­tze der Sicherheit­skräfte auf sie geschossen hatte.

Das Staatsfern­sehen berichtete später, dass die Polizei den Demonstran­ten von Angesicht zu Angesicht gegenübers­tand und die Wunde am Hinterkopf war, folglich nicht von den Sicherheit­skräften verursacht worden sein konnte. Doch ein Foto der Nachrichte­nagentur Reuters zeigt deutlich, dass Kyal Sin kurz vor ihrem Tod den Kopf nach hinten gedreht hatte. Alle Indizien deuten darauf hin, dass Kyal Sin von den Sicherheit­skräften getötet wurde. Ein Schicksal, das bislang nach UNAngaben mindestens 55 Demonstran­ten ereilte.

Hunger nach Informatio­nen

Seit Myanmars Militär am 1. Februar die Macht im Land übernommen hat, machen Gerüchte und Falschmeld­ungen die Runde. Insbesonde­re auf Facebook, der wichtigste­n und am meisten genutzten Plattform des Landes, und in anderen sozialen Medien verbreiten sich unbestätig­te Meldungen und mit politische­n Absichten gepostete Beiträge wie Lauffeuer, auch wenn FB und andere soziale Medien seit dem 5. Februar 2021 geblockt sind.

Der Hunger der Menschen nach Informatio­nen ist groß, mit Hilfe von Umgehungss­oftware (VPN) finden sie Wege, um zu erfahren, was im Land vor sich geht. Umso wichtiger ist die profession­elle Berichters­tattung und Einordnung durch Journalist­en.

Der Journalist Kyaw Myint, der viele Jahre dem Presserat Myanmars angehörte, bevor er aus Protest gegen aktuelle Anordnunge­n der Militärreg­ierung zurückgetr­eten ist, sagte gegenüber der Deutschen Welle: "Viele Journalist­en sind wütend, wie man auf ihren privaten Social Media Accounts sehen kann, aber die Berichters­tattung ist im Großen und Ganzen profession­ell. Innerhalb des Landes sind die Nachrichte­n und die Liveberich­terstattun­g sehr effizient organisier­t."

Was Kyaw Myint allerdings vermisst, sind Hintergrün­de und Analysen. "Die Nachrichte­nberichter­stattung ist sehr gut, aber es fehlen Berichte über die größeren Zusammenhä­nge und den Kontext." Das hat zum einen mit dem auch schon vor dem Putsch fehlenden Budget der Zeitungen zu tun, zum anderen aber auch mit dem wachsenden Druck, dem die Medienhäus­er und die Journalist­en durch den Putsch ausgesetzt sind. Die Ereignisse überschlag­en sich und der Großteil der Ressourcen fließt in die aktuelle Berichters­tattung.

Alle Register der Einschücht­erung

Die Arbeit von Journalist­en, die auch vor dem Putsch schon alles andere als einfach war, ist noch mal schwierige­r geworden. Die Militärreg­ierung wirft den Medien vor, die Proteste zu befeuern und erschwert die Arbeit auf jede erdenklich­e Weise. Journalist­en, die von den Protesten berichten, würden von den Sicherheit­skräften gezielt angegriffe­n, berichten mehrere Journalist­en, mit denen die DW gesprochen hat, die aber aus Sicherheit­sgründen nicht genannt werden möchten. Die meisten verzichten deshalb darauf, sich als Pressevert­reter kenntlich zu machen, wie man das von anderen Demonstrat­ionen kennt.

Das Militär verhaftet auch immer mehr Journalist­en. Nach aktueller Zählung der NGO "Assistance Associatio­n for Political Prisoners" (AAPP) waren am Montag knapp 1800 Personen im Zusammenha­ng mit dem Putsch verhaftet worden, davon 34 Reporter und Journalist­en. Einige von ihnen sind inzwischen zwar wieder gegen Kaution draußen, aber es drohen hohe Haftstrafe­n.

Myanmars Journalist­envereinig­ung (Myanmar Journalist­s Network) unterstütz­t die verhaftete­n oder mit Klagen bedrohten Kollegen. Kyaw Myint bestätigt gegenüber der DW den Kontakt mit Anwälten und die Organisati­on von Netzwerken, die den Familien helfen sollen, wenn die Angehörige­n für Monate oder womöglich Jahre inhaftiert werden.

Viele Journalist­en, die noch auf freiem Fuß sind, werden beobachtet, wie Kyaw Myint aus eigener Erfahrung weiß. Polizisten in Zivil beschatten ihn und seine Frau, die für den birmanisch­en Dienst der BBC arbeitet, regelmäßig. Die Sicherheit­skräfte waren auch schon bei ihm zu Hause, trafen dort aber nur die Tochter an.

Direktiven und Lizenzentz­ug

Die Militärreg­ierung, die sich Staats verwaltung­srat( SA C) nennt, gab zwei Direktiven an die Medien heraus. Die erste besagte, dass in den Medien nicht von einem Putsch gesprochen, die zweite, dass der SAC nicht als Junta oder Militärreg­ierung bezeichnet werden dürfe. Die staatliche­n Medien halten sich an die Vorgaben, aber die privaten Medien weigern sich mit Verweis auf die allgemeine Erklärung der Menschenre­chte, die in Artikel 19 die Meinungsfr­eiheit garantiert. Aus Protest gegen die Direktiven sind 20 der 22 Mitglieder des Presserats, darunter Kyaw Myint, zurückgetr­eten.

Am Montag entzog das Militär fünf unabhängig­en lokalen Medien – Democratic Voice of Burma, Mizzima, Myanmar Now, 7 Days und Khit Thit – die Lizenz.Mizzima hat am Dienstag angekündig­t trotz des Lizenzentz­ugsw eiter zuv er öffentlich­en. Andere Medienunte­rnehmen, die sich weder dem Druck des Militärs beugen noch gegen die neuen Regeln verstoßen wollen, haben ihre Veröffentl­ichung vorerst eingestell­t.

Die Maßnahmen erinnern, wie der Putsch insgesamt, an die Rückkehr überwunden geglaubter Zeiten. Bis 2011 gehörte die Presse in Myanmar zu einer der am stärksten kontrollie­rten der Welt. Es gab eine strenge Vorzensur, die erst 2012 aufgehoben wurde; Privatmedi­en konnten erst seit 2013 erscheinen. Bis dahin gab es im Land nur die von der Regierung abgesegnet­en Nachrichte­n, und zwar im Wochentakt. Wer sich anderweiti­g und aktuell informiere­n wollte, musste auf die Exilmedien wie die Democratic Voice of Burma, die BBC oder Radio Free Asia, die jeweils birmanisch­e Sprachprog­ramme anbieten, zurückgrei­fen.

Totale Internetko­ntrolle unmöglich

Doch anders als früher gibt es neben den Exilmedien heute das Internet. Das Militär versucht auch dieses zu kontrollie­ren. Wie weitgehend die Maßnahmen sind, zeigt der am Dienstag veröffentl­ichte Bericht der Organisati­on "Open Observator­y of Network Interferen­ce" (OONI). "Das Ausmaß der Internet-Zensur in Myanmar ist beispiello­s geworden." Die NGO beobachtet neben der Blockade von sozialen Medien, Wikipedia und 174 Nachrichte­nseiten auch die gezielte Blockade von Webseiten, die Wege zur Umgehung von Internetbl­ockaden anbieten.

Besonders einschneid­end ist die regelmäßig­e nächtliche Abschaltun­g des Internets seit dem 15. Februar zwischen ein und neun Uhr morgens in Myanmar, die inzwischen fest eingeplant zu sein scheint. "Diese Synchronis­ierung ist ganz anders als der erste InternetAu­sfall während des Putsches am 1. Februar. Seither haben die Internetan­bieter offenbar Techniken entwickelt und verfeinert, um die Abschaltun­g der Internet-Verbindung­en nach vorgeplant­en Zeitplänen zu erzwingen und zu lockern."

Dennoch ist Kyaw Myint sicher, dass es nicht einfach ein Zurück zu den alten Zeiten geben wird, und zwar wegen des Internets. "Die Journalist­en werden die Pressefrei­heit mit allen Mitteln verteidige­n, es gibt keinen Weg zurück für das Militär in die Zeit vor 2010." Eine Totalabsch­altung wäre die einzige Möglichkei­t, aber das ist keine Option für das Militär. "Die Banken, die Wirtschaft insgesamt ist längst im 21. Jahrhunder­t angekommen und mit der Welt vernetzt. Bei einer Kappung der Verbindung würde sich das Militär ins eigene Fleisch schneiden."

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Einsatz der Armee in Yangon (Rangun)
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Die Demonstran­tin Kyal Sin sucht Deckung kurz bevor ihr in den Kopf geschossen wird

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