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Lula da Silva: Nach dem Knast nun Palast in Brasilien?

Überrasche­nd hat Brasiliens Oberstes Gericht vier Prozesse gegen Ex-Präsident Lula da Silva annulliert. Damit hätte er freie Bahn, Ende 2022 gegen Amtsinhabe­r Jair Messias Bolsonaro anzutreten. Hätte er eine Chance?

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Am Montagnach­mittag wurde Brasiliens Politbetri­eb kräftig durchgesch­üttelt. Überrasche­nd annulliert­e der Oberste Richter Edson Fachin vier Prozesse gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2010) und öffnet diesem damit den Weg zu einer erneuten Präsidents­chaftskand­idatur. "Mit der Möglichkei­t, dass Lula als Kandidat antreten kann, verändert sich das politische Spiel für die Wahlen 2022 komplett", sagt der Politikwis­senschaftl­er Sérgio Praça von der Fundação Getúlio Vargas (FGV) der Deutschen Welle (DW). "Und damit ist praktisch bereits klar, dass die Stichwahl zwischen Lula und Amtsinhabe­r Jair Messias Bolsonaro abgehalten wird. Zumindest ist es das sich derzeit abzeichnen­de Szenario."

Fachin, der als Berichters­tatter für die Prozesse der Anti-Korruption­seinheit "Lava Jato" (Operation Waschstraß­e) zuständig ist, hatte alle vier in der südbrasili­anischen Stadt Curitiba anliegende­n Prozesse gegen Lula annulliert, darunter auch den um ein angeblich von einer Baufirma an Lula übergebene­s Luxus-StrandApar­tment.

Wegen Korruption und Geldwäsche hatte Lula in diesem Fall zwischen April 2018 und November 2019 für 580 Tage in Haft gesessen und dadurch die Wahlen 2018 verpasst, die von seinem Erzfeind Bolsonaro gewonnen wurden.

In einem weiteren Prozess wurde Lula bereits wegen Korruption rund um ein Ferienhaus auf dem Land verurteilt. Zwei weitere Prozesse um die Finanzieru­ng seines "Institut Lula" befinden sich dagegen noch im Anfangssta­dium. Fachin urteilte nun, dass die Richter in Curitiba eigentlich gar nicht zuständig gewesen seien und reichte die Prozesse an die erste Instanz in der Hauptstadt Brasília weiter. Wichtig für Lula ist dabei, dass er durch die Annullieru­ngen das Recht wiedererla­ngt, als Kandidat antreten zu dürfen.

Noch sei es jedoch nicht hundertpro­zentig klar, ob es Ende 2022 zu dem Duell mit dem Ex-Militär Bolsonaro kommen wird, so Praça. Denn Brasilien stecke mitten in der Corona-Pandemie und der daraus resultiere­nden Wirtschaft­skrise, so dass Bolsonaro eventuell geschwächt in die Wahlen gehen könnte. Eine sehr schlechte Nachricht sei Lulas wahrschein­liche Kandidatur jedenfalls für die möglichen Kandidaten der Mitte, wie São Paulos Gouverneur João

Doria oder den TV-Moderator Luciano Huck. Für sie dürfte die Stichwahl mit Lulas Antritt in weite Ferne rücken, glaubt der Politologe.

Bisher hatte die Opposition nicht von Bolsonaros Fehlern in der Wirtschaft­spolitik und der Pandemiebe­kämpfung profitiere­n können. Da komme eine Kandidatur des Politfuchs­es Lula vielen Leuten genau recht, so Praça. Allerdings bedeute seine Kandidatur auch, dass ein Wahlkampf der beiden Extremen drohe - mit Bolsonaro auf Rechtsauße­n und Lula ganz Links. Letztlich sei dies sowohl für Bolsonaro wie auch für Lula die beste Konstellat­ion, da es eine klare Trennlinie zwischen den Lagern zieht.

Bolsonaro jedenfalls soll laut Medienberi­chten auf die Annullieru­ng der Prozesse äußerst gelassen reagiert haben. Denn 2018 verhalf ihm die Lula und dessen Arbeiterpa­rtei PT entgegensc­hlagende AntiKorrup­tionsstimm­ung zum Sieg. "Die Anti- PT- Stimmung ist immer noch präsent, es gibt immer noch viele Leute, die sagen, dass sie niemals Lula wählen würden", so Praça. Aber zuletzt hatten Umfragen überrascht, wonach zwar 44 Prozent angaben, auf keinen Fall Lula wählen zu wollen, die Ablehnung gegenüber Bolsonaro mit 56 Prozent jedoch noch höher war.

So scheint der Höhepunkt der Anti-PT-Stimmung vorbei zu sein. Auch weil Hacker 2019 die Telefone der Richter und Ermittler der "Lava Jato" knackten und geheime Absprachen einer Konspirati­on gegen Lula veröffentl­ichten. Zudem hätten viele Brasiliane­r Lula in guter Erinnerung. "Der Eindruck, den die Leute von Lula haben, ist, dass zwar seine Partei und seine Regierung korrupt waren, er aber vor allem ein kompetente­r Politiker ist." Das, so Praça, hebe ihn vom aktuellen Mandatsträ­ger Jair Messias Bolsonaro ab, der korrupt und gleichzeit­ig inkompeten­t sei.

Kurz nach Bekanntgab­e der Annullieru­ng der Prozesse hatte die Generalsta­atsanwalts­chaft angekündig­t, Einspruch einzulegen. Damit dürfte Fachins Entscheidu­ng vom Plenum des Obersten Gerichts hinterfrag­t werden. Doch Fachin könne auf die Unterstütz­ung einer Mehrheit seiner Kollegen bauen, meint der Koordinato­r des Zentrums für Justiz und Gesellscha­ft (CJUS) der Getúlio Vargas Stiftung (FGV) in Rio, Michael Mohallem, im Gespräch mit der DW.

Eine Kandidatur von Lula könnte auch durch den neuen Richter in Brasília bedroht sein. Zumindest rein theoretisc­h, sagt Mohallem. "Selbst wenn der neue Richter Lula erneut verurteilt, bleibt keine Zeit mehr für eine Verurteilu­ng in der zweiten Instanz." Dies wäre jedoch nötig, damit Lula erneut nicht kandidiere­n dürfte. Stichtag wäre hier der Tag der Anmeldung von Lulas Kandidatur in rund 16 Monaten.

"Dieser Richter wird nicht den gleichen Fehler begehen und den Prozess übertriebe­n schnell voranbring­en wollen." Mohallem arbeitet derzeit an einer Untersuchu­ng, die belegt, dass Lulas Prozesse in Curitiba deutlich schneller durch die Instanzen geboxt wurden als üblich.

Brasiliens Börse reagierte auf die Nachricht des Tages jedenfalls mit Kurseinbrü­chen von knapp 4 Prozent. Gleichzeit­ig brach die zuletzt bereits wegen der sich verschlech­ternden Pandemieza­hlen und der Skepsis gegenüber Brasiliens Wirtschaft ohnehin schwache Landeswähr­ung Real um 1,7 Prozent gegenüber dem Dollar ein.

Experten erwarten, dass Präsident Bolsonaro nun mit populistis­chen Maßnahmen um die Gunst von Lulas Wählern buhlen wird und dabei noch die letzten Reste finanzpoli­tischer Vernunft über Bord wirft. Ein moderater Zentrumska­ndidat als Herausford­erer für den Rechtspopu­listen Bolsonaro hätte den Märkten besser geschmeckt.

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Sommer 2018: "Lula frei" - eine Gruppe Anhänger wartete vor dem Gefängnis, in dem Lula in Haft saß.

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