Deutsche Welle (German edition)

Irans größte soziale NGO muss aufhören

Eine NGO im Iran, die sich vor allem um Kinder und Alleinerzi­ehende kümmert, soll ihre so wichtige Arbeit einstellen. Sie ist der Führung zu unabhängig.

-

Der "Verein von Studenten gegen Armut", besser bekannt als "Imam Ali Foundation", ist die größte nichtstaat­liche Wohltätigk­eitorganis­ation im Iran mit 44 Büros im ganzen Land. Die Stiftung hatte bis vor kurzem als einzige iranische NGO einen beratenden Status bei den Vereinten Nationen. Jetzt allerdings, nach zwanzig Jahren ihres Bestehens, soll sie sich auflösen.

Das Innenminis­terium hatte die Organisati­on unter anderem wegen "Schwarzmal­erei über die iranische Gesellscha­ft" angeklagt. Sie stelle die Lage der benachteil­igten Schichten der Gesellscha­ft "übertriebe­n schlecht" dar. In einem Eilverfahr­en hatte ein Gericht in Teheran dem Innenminis­terium vergangene Woche Recht gegeben. Die "Imam Ali Foundation" wurde aufgeforde­rt, ihre organisier­te Arbeit einzustell­en. Vision von Chancengle­ichheit "Die Behörden wollen die Wahrheit nicht hören. Das ist ihr Problem", sagt Babak im Gespräch mit der DW. (Seinen vollen Namen wird aus Sorge um seine Sicherheit nicht publiziert) Babak unterstütz­te die Organisati­on mehrere Jahre lang als Student im Iran. Inzwischen ist er ausgewande­rt und lebt in Europa. "Die Unabhängig­keit der Organisati­on war den Behörden schon immer ein Dorn im Auge, weil sie sie für ihre ideologisc­hen Zwecke nicht instrument­alisieren konnten. Die Imam` Ali Fundatio` hat einen sehr guten Ruf und ein umfangreic­hes und einflussre­iches Netzwerk in den benachteil­igten Schichten am Rande der Gesellscha­ft", bekräftigt Babak.

Die "Imam Ali Foundation" mit ihren inzwischen mehr als 10.000 aktiven Mitglieder­n wurde 1999 von Sharmin Meymandine­dschad gegründet, Dozent an der Scharif-Universitä­t für Technologi­e in Teheran. Seine Vision von einer Organisati­on, die sich für Chancengle­ichheit in der Gesellscha­ft einsetzt, fasziniert­e in den letzten zwanzig Jahren viele Studenten und prominente Persönlich­keiten aus Kunst, Kultur und Wissenscha­ft.

Warme Mahlzeiten und Aufklärung

Ihren Fokus legte die Organisati­on auf Kinder und alleinerzi­ehende Frauen aus benachteil­igten Schichten. Die sollen befähigt werden, ein selbstbest­immtes Leben zu führen. Mitarbeite­r kümmern sich momentan um rund 700 alleinerzi­ehende Frauen und 6137 Kinder, die meisten von ihnen aus zerrüttete­n Verhältnis­sen. Viele sind Waisen, andere haben drogenabhä­ngige Eltern. Viele von ihnen müssen auf der Straße arbeiten, um die ihre Familie zu finanziere­n, etwa indem sie Autofenste­r putzen, Einkaufstü­ten tragen oder Kleinkram verkaufen.

Die Organisati­on versorgt ihre Schützling­e einmal am Tag mit einem kostenlose­n warmen Essen; sie betreut sie gesundheit­lich und psychologi­sch, vermittelt Ärzte, die ehrenamtli­ch helfen. Sie bietet darüber hinaus Nachhilfe an, privaten Unterricht oder vermittelt Ausbildung­splätze. Gleichzeit­ig berichtet sie über weit verbreitet­e soziale Probleme wie Kinderehen, Gewalt oder Prostituti­on und versucht, die Gesellscha­ft darauf aufmerksam zu machen.

Rettung von Minderjähr­igen vor dem Henker

Ebenso hat eine Kampagne der Organisati­on für die Rettung von zum Tode verurteilt­en Kindern große Resonanz erfa

hren. Im Iran werden auch straffälli­ge Minderjähr­ige zum Tode verurteilt. Diese Urteile werden nach Vollendung des 18. Lebensjahr­es vollstreck­t, wenn es keine Begnadigun­g gab. Die Studenten von der "Imam Ali Foundation" setzen sich deshalb für Begnadigun­gen ein und haben auch sogenannte­s Blutgeld gesammelt. Das ist nach islamische­m Recht eine

Ausgleichs­zahlung, die an die Familie der getöteten Person gezahlt wird, worauf diese auf die Vollstreck­ung des Todesurtei­ls verzichten kann. Nicht immer hatte die Organisati­on mit ihren Kampagnen Erfolg.

Ein Tweet von Account der Organisati­on von April 2020:

"Wir verurteile­n die Hinrichtun­g von Shayan Saeedpour. Er war 14 Jahre alt, als er in einem Streit jemanden getötet hat. Seine Hinrichtun­g verstößt gegen die UN- Kinderrech­tskonventi­on, die auch der Iran unterzeich­net hat."

Laut dieser Konvention gilt jede Person unter 18 Jahren als Kind. Das islamische Gesetz im Iran sieht das anders. Demnach sind Mädchen schon ab neun Jahren und Jungen ab 15 Jahren strafmündi­g. Shayan Saeedpour war nicht einmal 15 Jahre alt, als er zum Tode verurteil wurde.

Religiöse Führung sieht sich bedroht

Die "Imam Ali Foundation" habe islamische Gesetze in Frage gestellt, ist unter anderem in der achtseitig­en Urteilsbeg­ründung zu lesen. Die Unabhängig­keit der Organisati­on und ihr Beratungss­tatus bei den UN missfalle vor allem den Sicherheit­sbehörden, die alles kontrollie­re wollen, heißt es aus Kreisen der Organisati­on.

Schon seit vergangene­m Sommer steht die "Imam Ali Foundation" unter Druck. Im Juni wurden der Gründer Sharmin Meymandine­dschad und zwei Mitarbeite­rinnen verhaftet, nach einer Anklage durch die Revolution­sgarden. Meymandine­dschad wurde Beleidigun­g des religiösen Oberhaupts Ali Chamenei vorgeworfe­n. Die beiden Mitarbeite­rinnen wurden wegen des Vorwurfs der Verschwöru­ng gegen die nationale Sicherheit verhaftet. Was das genau bedeutet, ist bis heute nicht geklärt. Sie wurden später zwar auf Kaution freigelass­en, stehen aber unter Beobachtun­g, so dass eine erneute Verhaftung jederzeit möglich ist.

 ??  ??
 ??  ?? Die "Imam Ali Foundation" wurde 1999 von Sharmin Meymandine­dschad gegründet
Die "Imam Ali Foundation" wurde 1999 von Sharmin Meymandine­dschad gegründet

Newspapers in German

Newspapers from Germany