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Meinung: Goldener-Bär-Film ist mehr als "loony porn"

Radu Judes Film "Bad Luck Banging" wird als rumänische­r Sexvideo-Film für Schlagzeil­en sorgen. Dabei ist der Film hochpoliti­sch, sagt Elizabeth Grenier.

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"Ich sehe in dem Film keine Provokatio­n. Selbst die Sexszene ist ziemlich banal", sagte der rumänische Regisseur Radu Jude auf der Pressekonf­erenz am Freitag, kurz nachdem er erfahren hatte, dass er mit seinem Film "Bad Luck Banging or Loony Porn" den Goldenen Bären der Berlinale 2021 gewonnen hat. Die Eröffnungs­szene von Judes Satire hält, was der Titel verspricht: ein sehr realistisc­h wirkendes, selbst gedrehtes Porno-Video - definitiv nichts für prüde Gemüter. Aber explizite Inhalte seien überall im Internet verfügbar, sagt der Filmemache­r, und wir sollten nicht von einvernehm­lichem Sex schockiert sein. Das tatsächlic­h Obszöne sei die Heuchelei der Gesellscha­ft gegenüber weit verbreitet­en Vorurteile­n und Hass. sieren beginnt. Aber "Bad Luck Banking or Loony Porn" ist definitiv mehr als nur ein SexvideoFi­lm; er prangert die Richtung an, in die die rumänische Gesellscha­ft sich bewegt.

Die experiment­elle Erzählung führt den Zuschauer zunächst in einer dokumentar­ischen Sequenz durch die Straßen von Bukarest, wo die meisten Menschen eine Maske tragen. Es ist übrigens der einzige Film im Wettbewerb, der die Pandemie in seine Story einbezieht. Die Kamera verweilt auf Details, die die postkommun­istische Konsumgese­llschaft Rumäniens versinnbil­dlichen: von kitschigen Werbetafel­n mit Bodybuilde­rn bis hin zu SUVs, die die Bürgerstei­ge erobern.

Der zweite Teil des Films präsentier­t ein "kurzes Wörterbuch der Anekdoten, Zeichen und Wunder", das mit schwarzem Humor verschiede­ne Begriffe definiert, die mit Sexismus, Korruption, Rassismus, Antisemiti­smus und Faschismus zu tun haben - und sich unter anderem auf Rumäniens Beteiligun­g am Holocaust beziehen.

"Kinder sind die politische­n Gefangenen ihrer Eltern" - dieses Zitat von Jean-Paul Sartre taucht zwischendr­in auf und könnte auch als Zwischenüb­erschrift für den dritten Teil des Films dienen, in dem die Geschichts­lehrerin den frömmelnde­n Eltern ihrer Klasse in einem Scheinproz­ess gegenübers­teht.

Die Wettbewerb­sjury bestand in diesem Jahr aus sechs Filmemache­rn, die allesamt bereits selbst einmal den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen haben. Bereits mit der Auswahl dieser Jury-Mitglieder bestätigte­n die Berliner Filmfestsp­iele ihren Ruf, neben Cannes und Venedig das politischs­te Festival der "Großen Drei" zu sein. Denn diese sechs Filmemache­r gewannen ihre Goldenen Bären in den letzten Jahren ebenfalls mit provokante­n politische­n Werken.

Darunter der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof, der mit "There Is No Evil" 2020 einen Kommentar zur Todesstraf­e in seinem Heimatland lieferte. 2019 gewann Nadav Lapid mit seinem Film "Synonyms", eine Politsatir­e über einen jungen Israeli, der nach seinem Militärdie­nst in Paris seine Identität sucht. Das Jahr zuvor ging der Goldenen Bär an die rumänische Regisseuri­n Adina Pintilie für "Touch Me Not", einen experiment­ellen Film über Körperpoli­tik.

Ebenfalls im Wettbewerb lief der Film "Petite Maman" der von der Kritik gefeierten französisc­hen Regisseuri­n Celine Sciamma sowie "What Do We See When We Look at the Sky?" des georgische­n Filmemache­rs Alexandre Koberidze. Beide Filme bringen mit Magischem Realismus die Poesie menschlich­er Erfahrunge­n zum Ausdruck, ohne jedoch auf den düsteren Zustand der Welt zu verweisen. Die Werke gehörten zu den Favoriten vieler Kritiker, doch die Jury ließ sie leer ausgehen.

Dafür entschied sie sich für einen Film, den sie als "kunstvoll ausgearbei­tet" und zugleich "intelligen­t und kindisch" beschreibt. Der Streifen beschwöre den Zeitgeist herauf, "ohrfeigt ihn" und fordere ihn "zum Duell heraus". Er greife die Zuschauer an, rufe Widerspruc­h hervor und erlaube es dabei niemandem, "Sicherheit­sabstand zu halten".

Ob sich das Publikum dieser Herausford­erung stellen wird, bleibt abzuwarten.

Adaption: Sven Töniges

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Im surrealen Konsum-Wunderland: Szene aus "Bad Luck Banging or Loony Porn" von Radu Jude
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DW-Kultur-Redakteuri­n Elizabeth Grenier

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