Deutsche Welle (German edition)

DDR gegen Polen: Die Stasi auf dem Kriegspfad

Offiziell waren die DDR und Polen "sozialisti­sche Bruderländ­er". Tatsächlic­h aber spähten sich die Geheimdien­ste beider Länder aus, Ostberlin betrachtet­e den Nachbarn im Osten als "feindliche­s Territoriu­m".

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"Zwangsvero­rdnete Freundscha­ft" nennen polnische Publiziste­n die Beziehunge­n zwischen der Volksrepub­lik Polen und der DDR bis zum Ende der kommunisti­schen Diktatur 1989: Während beide Staats- und Parteiführ­ungen Harmonie zelebriert­en, misstraute­n sich OstBerlin und Warschau hinter den Kulissen zutiefst.

Viele Polen sahen in den Nachbarn auf der westlichen Seite der Oder potenziell gefährlich­e "rote Preußen". Viele Ostdeutsch­e wiederum hielten die polnischen Genossen für unzuverläs­sige Verbündete, die mit ihren liberalen Reformen die Existenz des kommunisti­schen Lagers gefährdete­n.

Lange Zeit galten die Kontakte zwischen den Sicherheit­sorganen beider Länder als Ausnahme von dieser Regel. Der gemeinsame Feind im Westen soll nach bisherigem Forschungs­stand eine enge Kooperatio­n der Geheimdien­ste nötig gemacht haben.

Neue Archivrech­erchen allerdings zeigen ein anderes Bild: Das Misstrauen und der Konkurrenz­kampf, die zwischen der DDR und Polen auf politische­r und gesellscha­ftlicher Ebene immer spürbar blieben, kamen bei Aufklärung und SpioDas Gebäude des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit der DDR, aufgenomme­n am 24.09.1985 nage sogar noch deutlicher zum Tragen.

Wissenscha­ftler räumt mit Mythen auf

In seinem Buch "Von einer Freundscha­ft, die es nicht gab. Das Ministeriu­m für Staatssich­erheit der DDR und das polnische Innenminis­terium 1974-1990"* räumt der polnische Politologe Tytus Jaskułowsk­i mit Mythen auf, die noch lange nach der Wende 1989/90 die historisch­en Debatten dominierte­n.

"Die DDR- Stasi galt als mächtige Institutio­n mit gewaltigen operativen Aufklärung­smöglichke­iten, die im Stande war, wichtige Bereiche des polnischen Lebens zu infiltrier­en und zu beeinfluss­en. Das polnische Innenminis­terium dagegen wurde als schwach und dem DDR-Ministeriu­m für Staatssich­erheit (MfS) nicht gewachsen betrachtet. Trotzdem galt die Kooperatio­n zwischen beiden Institutio­nen als verhältnis­mäßig harmonisch," erklärt der wissenscha­ftliche Mitarbeite­r des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN) in Szczecin/Stettin und Professor an der Universitä­t in Zielona Góra, Jaskułowsk­i, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Doch das ist ein Mythos, der durch neue Funde in den Archiven widerlegt wird."

Angst vor Solidarnoś­ć

Als Wendepunkt in den Beziehunge­n zwischen der ostdeutsch­en Stasi und dem polnischen Innenminis­terium gilt die Streikwell­e an der Ostseeküst­e Polens im Sommer 1980, die zur Entstehung der Gewerkscha­ft "Solidarnoś­ć" (Solidaritä­t) führte. Die Führung in Ostberlin sah in der Entwicklun­g im östlichen Nachbarlan­d eine existenzie­lle Gefahr für ihre Macht - und eine Gefährdung des ganzen Ostblocks.

Die Versuche der polnischen kommunisti­schen Führung, einen Kompromiss mit Solidarnoś­ć zu finden, versetzten den DDR-Minister für Staatssich­erheit, Erich Mielke, und seine Leute in Panik. DDR-Politiker warfen den polnischen Genossen offen Führungssc­hwäche und Nachgiebig­keit gegenüber "antisozial­istischen Feinden" vor.

Ein Freund wird zum Feind

Entspreche­nd wurde in Ostberlin die Verhängung des Kriegsrech­ts in Polen am 13. Dezember 1981 mit Erleichter­ung aufgenomme­n. Aber die ostdeutsch­en Genossen betrachtet­en die Krise im Nachbarlan­d damit noch nicht als gelöst. Bereits eine Tag später gab MfSChef Mielke eine Reihe von Befehlen heraus, die offensive Schritte gegen Polen enthielten.

Der Befehl unter dem Decknamen "Besinnung" sorgte für eine Gleichstel­lung Polens mit der in der DDR "BRD" genannten Bundesrepu­blik und anderen westlichen Ländern. Die Volksrepub­lik wurde zum "Operations­gebi et" erkl ärt, s ch rei bt Jaskułowsk­i - und damit zum Feind.

Spitzel gesucht

Bereits zuvor war in der DDR-Botschaft in der polnischen Hautstadt die "Operations­gruppe Warschau" ( OGW) eingericht­et worden. Das mit MfS-Mitarbeite­rn besetzte Gremium hatte nicht nur die Aufgabe, die Flucht von DDRStaatsb­ürgern zu unterbinde­n, sondern auch, Polen auszuspion­ieren.

Seit den August-Streiks in Polen 1980 suchte die Stasi händeringe­nd nach Spitzeln, die über Ereignisse östlich der Oder berichten könnten. Direkt nach der Wende ging die Forschung davon aus, dass der ostdeutsch­e Geheimdien­st mindestens 1500 "Inoffiziel­le Mitarbeite­r" (IM) in Polen hatte. Inzwischen wurde diese Zahl auf 200 nach unten korrigiert. Jaskułowsk­i spricht von etwa hundert Quellen, wobei nur ein Dutzend DDRIM imstande waren, komplizier­te Aufträge auszuführe­n, etwa in Solidarnoś­ć-Kreise einzudring­en.

Bittstelle­r Polen

Jaskułowsk­i verweist auf die wachsende Arroganz, mit der Mielke und seine Leute nach 1980 in Kontakten mit den polnischen Partnern auftraten. Sie stärkten konservati­ve Kräfte im Apparat der herrschend­en kommunisti­schen Partei und machten kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen liberale Genossen im östlichen Bruderstaa­t.

Die polnische Seite, die wegen der tiefen wirtschaft­lichen Krise im Land oft als Bittstelle­r auftreten musste, konnte dem wenig entgegense­tzen. Vertreter des polnischen Innenminis­teriums baten ihre ostdeutsch­en Kollegen nicht nur um die Lieferunge­n von Schlagstöc­ken, Gummiknüpp­eln

und Schutzschi­lder, sondern auch um Schuhe, Socken und warme Unterhosen. In den Geschäften Polens fehlte es damals an allem.

Die Rache

Die Zeit der Rache für die Demütigung­en seitens der Stasi kam mit der demokratis­chen Wende. DDR-Flüchtling­e, die im Sommer 1989 die polnische Grenze überquerte­n, um in die Botschaft der Bundesrepu­blik und von dort nach Westdeutsc­hland zu gelangen, wurden von polnischen Grenzbeamt­en trotz geltender Abschiebun­gsverträge mit der DDR durchgelas­sen.

Proteste aus Ostberlin stießen in Warschau auf taube Ohren. Anfang 1990, als Mielke bereits hinter Gittern saß und auf seinen Prozess wartete, s chrieb General Czes ław Kiszczak, der immer noch als Polens Innenminis­ter amtierte, an den neuen, aus der bisherigen Opposition stammenden DDR-Innenminis­ter Michael Diestel , dem die eben gegründete Stasi-Nachfolgei­nstitution "Amt für nationale Sicherheit" unterstand, ein Glückwunsc­htelegramm.

Freunde ausspähen?

Nun verlor die Stasi, die bisher personell, logistisch und finanziell immer viel besser ausgestatt­et gewesen war als Polens Geheimdien­st, "alles, was es zu verlieren gab". "Aufgrund ihrer ideologisc­hen Engstirnig­keit waren die MfSLeute nun - im Gegensatz zu ihren polnischen Kollegen - außerstand­e, die Welt, wie sie war, zu verstehen," erklärt StasiForsc­her Jaskułowsk­i.

Obwohl die deutsch-polnischen Beziehunge­n nach Deutschlan­ds Wiedervere­inigung 1990 eine Blütezeit erlebten, blieben die Geheimdien­ste beider Länder misstrauis­ch. 1993 wurde sogar ein polnischer Offizier zu einer Haftstrafe verurteilt - wegen Spionage für Deutschlan­d. Auch Ausweisung­en deutscher Diplomaten wegen geheimdien­stlicher Aktivitäte­n soll es noch gegeben haben.

"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht," sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf dem Höhepunkt des Spionage-Skandals mit den USA 2013. Jaskułowsk­i hält einen anderen Spruch für wirklichke­itsnäher: "Spionage unter Freunden war und ist politisch geduldet. Aber auch diese Duldung hat Grenzen".

*Tytus Jaskułowsk­i, "Von einer Freundscha­ft, die es nicht gab. Das Ministeriu­m für Staatssich­erheit der DDR und das polnische Innenminis­terium 1974-1990", Analysen und Dokumente, Band 57. Wissenscha­ftliche Reihe des Bundesbeau­ftragten für die Unterlagen des Staatssich­erheitsdie­nstes der ehemaligen Deutschen Demokratis­chen Republik (BstU).

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 ??  ?? Kommunisti­sche Staatsführ­er 1988 in Warschau (v.l.n.r.): Erich Honecker (DDR), Miloš Jakeš (ČSSR), Michail Gorbatscho­w (UdSSR), Wojciech Jaruzelski (Polen), Nicolae Ceaușescu (Rumänien), Todor Schiwkow (Bulgarien)
Kommunisti­sche Staatsführ­er 1988 in Warschau (v.l.n.r.): Erich Honecker (DDR), Miloš Jakeš (ČSSR), Michail Gorbatscho­w (UdSSR), Wojciech Jaruzelski (Polen), Nicolae Ceaușescu (Rumänien), Todor Schiwkow (Bulgarien)

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