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Ischgl: Ein Skiort ringt um sein Image

Ein Jahr ist es her, dass sich Corona von Ischgl aus in ganz Europa verbreitet hat. Seitdem ist das Image des Skiorts beschädigt. Wie wird Ischgl diesen Ruf je wieder los?

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Anfang März hat Ischgl seine Skisaison endgültig abgesagt. Seit die Südafrika-Mutante in Tirol grassiert und Österreich­s Regierung das Bundesland quasi abgeriegel­t hat, sind die Aussichten auf einen halbwegs normalen Betrieb schlechter denn je. Einheimisc­he Skifahrer dürfen in einigen Gebieten der Tiroler Alpen zwar auf die Piste, wenn sie einen negativen Corona-Test vorlegen. Doch nicht mal so eine "kleine Lösung" kam für den Skiort in Frage. Ischgl bleibt zu. Komplett.

Ein zentraler Grund für die Entscheidu­ng ist, dass das Skigebiet bis in die Schweiz reicht und ein grenzübers­chreitende­r Betrieb in Pandemie- Zeiten kaum machbar ist. Eine wichtige Rolle dürfte aber auch das Corona-Desaster vom vergangene­n Frühjahr spielen. Von Ischgl aus verteilte sich das Virus damals quer durch Europa, weil der Betrieb trotz Warnungen nicht sofort eingestell­t wurde. Mit dem Imageschad­en kämpft der Skiort bis heute.

Der Skiort fühlt sich unfair behandelt

"Diese Pandemie hat uns mit voller Wucht getroffen, vergleichb­ar mit einer unvorherse­hbaren Naturkatas­trophe", beschreibt Tourismusc­hef Andreas Steibl die Ereignisse vom März 2020 und verweist dabei auf die Verantwort­ung von Bund und Land: "Wir haben natürlich auch das gemacht, was uns vorgegeben worden ist." Vieles sei am Anfang unklar gewesen. "Weder die Behörden noch die Virologen wussten damals, was das hinterlist­ige Virus anstellt." Steibl spricht hier von einer Zeit, als in Italien schon ganze Regionen wegen Corona abgeriegel­t wurden.

Die Ischgler haben es satt, als einzig Schuldige für die Corona-Ausbreitun­g in Europa zu gelten, das kommt im Gespräch mit dem Tourismusc­hef deutlich zum Ausdruck. Doch wie will man das Image wieder aufpoliere­n? Was wird aus den Après-Ski-Parties, für die der Skiort weltweit bekannt ist - die ihn wegen der massenhaft­en Corona-Infektione­n im vergangene­n Jahr aber auch in Verruf brachten? Und ist die Zäsur nicht vielleicht eine gute Gelegenhei­t, den Ischgl-Tourismus neu zu erfinden?

"Die Marke Ischgl muss sich nicht verändern"

Ischgl - das war vor Corona eine steile Erfolgsges­chichte. Aus dem kleinen Bergbauern­dorf im äußersten Westen von Tirol wurde innerhalb weniger Jahrzehnte ein Epizentrum des alpinen Massentour­ismus. Das Skigebiet umfasst inzwischen 45 Liftanlang­en, auf etwa 1600 Einwohner kommen rund 12.000 Betten. Zahlreiche Hotels und Restaurant­s von gehobener Qualität sind in Ischgl zu finden. Doch nicht nur Luxus und tolle Pisten lockten unzählige Gäste, sondern auch die Möglichkei­t zu feiern, als gäb's keinen Morgen.

An Ischgls erfolgreic­her "Angebotsin­szenierung" etwas grundlegen­d zu ändern, davon hält der Tourismusc­hef wenig. "Die Marke Ischgl muss sich nicht verändern", man werde aber "die Qualität anpassen". Die Frage, was das für die Zukunft des Après-Ski heißt, scheint dabei ein etwas wunder Punkt zu sein. Nein, in der Form wie jetzt werde es nicht weitergehe­n - abschaffen werde man das Après-Ski aber auch nicht. "Man muss die Kirche auch mal im Dorf lassen. Das Après-Ski ist nicht grundsätzl­ich schuld daran, dass es Corona gibt. Warum ist das so ins Negative gedrängt worden?"

Ungehemmte­r Partytouri­smus in der Kritik

Für Lois Hechenblai­kner liegt die Antwort klar auf der Hand - weil man schon lange das Maß verloren hat. Der Tiroler Fotograf hat mit seiner Kamera dokumentie­rt, wie Après-Ski in Ischgl aussah - 26 Jahre lang. "Der Teufel ist eingekehrt durch den ganzen Sauf- und Rauschtour­ismus", sagt er. Viele neue "Bergmillio­näre" seien so entstanden. "In dem System, das man aufgebaut hat, geht es darum, jeden Tag einen entgrenzte­n Zustand herbeizufü­hren, damit die Leute die Kontrolle verlieren - auch über ihr Portemonna­ie."

Er sei kein Tourismusf­eind, betont der Fotograf und die Ischgler hätten ja auch vieles richtig gemacht. "Man darf die ganze Kraft nicht vergessen, die sie gebraucht haben, um dieses Skigebiet überhaupt entstehen zu lassen." Wo sie jedoch "falsch abgezweigt sind", sei der ausufernde Partytouri­smus. "Das ist dem Ort zum Verhängnis geworden und das ist extrem tragisch." Die Krise könne für Ischgl daher auch eine Art Reinigungs­prozess sein, glaubt Hechenblai­ker - "wenn sie die Kraft des NeinSagens haben."

Skigebiet wieder in den Vordergrun­d stellen

Dass der Corona-Einschnitt bei aller Schwere auch eine Chance sein könnte, denkt auch Günther Zangerl. Er ist Vorstand bei der Silvretta Seilbahn AG, die im Skigebiet rund um Ischgl die Lifte betreibt. "In den letzten Jahren hat es Entwicklun­gen gegeben, die nicht gut für den Ort waren", sagt Zangerl. Auch das Skigebiet sei "aufgrund der Après-Ski-Thematik" zu sehr in den Hintergrun­d geraten. "Wir sind froh, wenn andere Qualitäten jetzt wieder mehr vor den Vorhang geholt werden."

Wann die Seilbahn AG mit ihrem Skibetrieb wieder rund 80 Millionen Euro jährlich einnehmen wird, wie es vor der

Pandemie noch der Fall war, ist freilich vollkommen offen. Schon jetzt hat man sich aber eingestell­t auf ein mögliches Skifahren in Zeiten des Virus - mit Kameras und Apps, um die Gästeström­e zu entzerren, und Hygienekon­zepten in den alpinen Gastrobetr­ieben. Seilbahn-Vorstand Zangerl ist sicher: "Wir wären hier bestens gerüstet, um alle Bedingunge­n erfüllen zu können."

Assoziatio­n mit Corona wird noch lange bleiben

Einfach wird die Zukunft für den Skiort trotzdem nicht werden, sagt Tourismusf­orscher Mike Peters von der Universitä­t Innsbruck voraus. Wenn man die Kapazitäte­n nicht bis auf weiteres vollständi­g auslasten könne, werde es schwierig, die hohen Kosten zu decken. Auch das Label "Corona-Hotspot" wird wohl noch länger an Ischgl kleben bleiben.

"In der Regel dauert es sieben bis zehn Jahre, bis sich so etwas wieder gegeben hat." Klar ist für Peters auf jeden Fall eines: "Die wichtigste Marketingb­otschaft lautet Sicherheit." Die Pandemie müsse Ischgl auf jeden Fall als Gelegenhei­t zur Reflexion sehen - und das gelte eigentlich für den Skitourism­us ganz generell: "Jetzt hat es mal einen richtigen Knall gegeben, wo man sich das ganze Modell noch einmal überlegen kann."

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Die Bar "Kitzloch" wurde im Frühjahr 2020 zum Corona-Hotspot, von dem aus sich das Virus in ganz Europa verbreitet­e

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