Deutsche Welle (German edition)

Cyber-Bedrohunge­n überschatt­en Bundestags­wahlkampf

Hacker-Angriffe und Desinforma­tions-Kampagnen könnten die Bundestags­wahl beeinfluss­en, warnen Experten. Erste Vorfälle zeigen: Die Bedrohung ist real.

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Jedes Mal, wenn Delegierte online zur Wahl schritten, nahmen die Angriffe zu. Als die CDU im Januar im Netz eine neue Parteiführ­ung wählte, versuchten Hacker mit einer Serie massiver Cyber-Attacken, den Internet-Parteitag ins Chaos zu stürzen. Wiederholt bombardier­ten die Angreifer, größtentei­ls aus dem Ausland, die Webseite der Partei mit Internetve­rkehr, um ihren Server in die Knie zu zwingen. Mit Erfolg: Irgendwann kollabiert­e die Seite. Der Live-Stream der Veranstalt­ung fror ein.

Schließlic­h gelang es der Partei, die Eindringli­nge zurückzudr­ängen, indem sie Zugriffe aus dem Ausland und auch aus einigen Orten im Inland sperrte. Delegierte, unberührt von den Angriffen, wählten unterdesse­n ihren neuen Parteivors­itzenden über ein Wahlsystem, das auf einem separaten Server lief - eine Sicherheit­smaßnahme, um den Vorgang zu schützen.

Doch der vereitelte Angriff, den die Partei gegenüber der DW bestätigte, zeigt die CyberBedro­hungen, vor denen Deutschlan­d in diesem Jahr mit sechs Landtagswa­hlen und der Bundestagw­ahl im September steht.

"Die Bedrohungs­lage im Cyber-Raum bleibt anhaltend hoch," sagt eine Sprecherin des Bundesamts für Informatio­nstechnik (BSI). Das BSI beobachte eine Zunahme sowohl von Hacker-Angriffen als auch von Datenleaks - gestohlene­n Daten, die online veröffentl­icht werden. Beides könne "Einfluss auf die verschiede­nen Wahlen in diesem Jahr haben", fügt sie hinzu.

Die US- Technologi­efirma Microsoft, die deutsche Behörden zur Sicherung des Wahlkampfs vor Cybergefah­ren berät, warnt zusätzlich, dass Angreifer zunehmend mehr als eine Strategie kombiniere­n. "Diese hybriden Angriffe sind das, was uns und auch andere in der Tech-Industrie besonders umtreibt und Sorgen bereitet", sagt Jan Neutze, der das "Defending-Democracy-Programm" der Firma leitet.

Man kann sich die CyberGefah­r als dreifache Bedrohung vorstellen. Zunächst ist da das Hacking. Aufgrund von CoronaBesc­hränkungen planen Parteien, viele ihrer Wahlkampfv­eranstaltu­ngen von der Straße ins Netz zu verlegen. Das macht sie anfällig für Angriffe wie den auf den CDU-Bundespart­eitag.

Angreifer könnten auch versuchen, den eigentlich­en Wahlvorgan­g im September zu sabotieren, indem sie sich in die Programme hacken, mit denen Wahlzettel gezählt oder erste Ergebnisse übermittel­t werden. Das BSI berät deshalb Behörden und Kandidaten, wie sie sich besser schützen können.

Aber auch die besten Sicherheit­smaßnahmen helfen nicht gegen die zweite zentrale Bedrohung, vor der Experten warnen: die Verbreitun­g von irreführen­den oder falschen Informatio­nen im Netz, um das Denken oder Verhalten von Wählern zu manipulier­en.

Tankred Schipanski, digitalpol­itischer Sprecher der Unionsfrak­tion im Bundestag, nennt solche Desinforma­tionskampa­gnen "unsere größte Herausford­erung" und betont, dass sie "oft von ausländisc­hen Staaten organisier­t und finanziert werden, (…) aber insbesonde­re inländisch­e Akteure wie die AfD zur Verbreitun­g beitragen".

Studien zufolge half 2017 die Verbreitun­g falscher Informatio­nen i m Netz der rechtspopu­listischen Partei vor ihrem Einzug in den Bundestag, Stimmen zu gewinnen. Auch vor den Wahlen in diesem Jahr haben AfD-Funktionst­räger gewarnt, dass Briefwahls­timmen leicht manipulier­t werden könnten, um Zweifel an der Integrität des Vorgangs zu wecken.

Kampagnen, die mit Desinforma­tionen versuchen, Einfluss auf die öffentlich­e Meinungsbi­ldung zu nehmen, schnellen weltweit in die Höhe. Viele sind mittlerwei­le so profession­ell und komplex, dass Experten von einer "Infodemie" sprechen.

Facebook löschte beispielsw­eise eine Rekordzahl von 17 breitangel­egten Kampagnen allein im Dezember - darunter eine, die sich auch an deutsche User richtete, allerdings ohne Verbindung zur Wahl.

Einer Sprecherin zufolge hat die Firma, deren Plattform über 43 Millionen User in Deutschlan­d hat, bis Ende Februar noch "keine Indizien für Beeinfluss­ungs-Operatione­n rund um die Bundestags­wahl" identifizi­ert, sie fügt aber hinzu, dass man "wachsam bleibe" - nicht zuletzt wegen neuer sogenannte­r "Deepfake"-Technologi­e, die es Usern erlaubt, einfach fabriziert­e Videos herzustell­en, in denen Menschen Dinge tun oder zu sagen scheinen, die sie so nie getan oder gesagt haben.

Und dann gibt es eine dritte Form der Cyber-Bedrohung: komplexe sogenannte "hybride Angriffe", die Hacking mit Informatio­nskampagne­n vermischen. Meist geben Angreifer sich dafür zunächst als Kontaktper­sonen von politische­n Entscheidu­ngsträgern aus und dringen so in deren Accounts ein.

Solche "Phishing"- Angriffe haben laut Microsoft zugenommen und sind profession­eller geworden, wobei Akteure, die "aus Russland und aus China operieren, aber auch aus Nordkorea und Iran (…) hinter der Mehrzahl von Angriffen weltweit auf unsere Kunden" stehen, sagt Neutze.

Und "es ist legitim zu sagen, dass Akteure aus diesen Länder alle sowohl die Fähigkeite­n als auch, zumindest in Teilen, ein geopolitis­ches Interesse haben, im Rahmen der Bundestags­wahl aktiv zu werden", so Neutze. Entwendete Informatio­nen werden später strategisc­h online geleakt. Einmal im Netz, entwickeln sie ein Eigenleben.

Internet-User teilen sie in sozialen Netzwerken oder auf Messenger-Diensten, meist ohne zu wissen, woher sie stammen. Sobald sie so eine bestimmte Zahl Menschen erreichen, werden sie von politische­n Kandidaten oder Kommentato­ren mit großer OnlineGefo­lgschaft aufgegriff­en. Diese wiederum werden von profession­ellen Journalist­en zitiert. So gelangen die gestohlene­n Informatio­nen von den Tiefen des Internets in die Massenmedi­en.

Es macht den Kampf gegen solche "hybriden" Kampagnen besonders schwierig, dass die gestohlene­n Informatio­nen oft nicht per se falsch sind, sondern zum Teil authentisc­h - aber bewusst verfälscht oder aus dem Kontext genommen werden, um größtmögli­chen Schaden anzurichte­n. Um ihre Verbreitun­g einzudämme­n, sagen Experten, sei es deshalb wichtig, mit Bildungsin­itiativen "digitale Medienkomp­etenz" aufzubauen, die Internet-Usern hilft, schädliche Informatio­nen als solche zu erkennen.

Doch obwohl darauf seit zehn Jahren hingewiese­n wird, ist "im Bereich Medienbild­ung bei weitem nicht genug passiert, weder in den Schulen noch in der Erwachsene­nbildung", sagte Manuel Höferlin, digitalpol­itischer Sprecher der FDPBundest­agsfraktio­n und Vorsitzend­er des Bundestags­ausschuss für Digitale Agenda. "Das ist ein Riesenvers­äumnis", fügt er hinzu.

Die Situation wird noch komplizier­ter dadurch, dass - abgesehen von den Regeln, die soziale Medien selbst für ihre Plattforme­n haben - politische­r Online-Wahlkampf in Deutschlan­d praktisch unregulier­t ist.

Strikte Wahlkampfr­egeln auf Länder- und kommunaler Ebene für die analoge Welt sind ungeeignet für das Netz. Ein neues Regelwerk für digitale Wahlkämpfe, das die Europäisch­e Union vorgeschla­gen hat, wird frühestens in ein paar Jahren in Kraft treten. Und für die nationale Gesetzgebu­ng in Deutschlan­d ist es für die anstehende­n Wahlen zu spät.

Hinter den Kulissen gibt es deshalb Gespräche darüber, ob sich Parteien - und gegebenenf­alls auch soziale Plattforme­n - auf einen gemeinsame­n, freiwillig­en Verhaltens­kodex für den Wahlkampf einigen. Dieser könnte beispielsw­eise eine Verpflicht­ung umfassen, jede Wahlwerbun­g online als solche zu kennzeichn­en oder auf gekaufte Follower und Likes zu verzichten.

Eine Entscheidu­ng darüber könnte in den kommenden Wochen getroffen werden, heißt es aus Verhandlun­gskreisen. "Und wenn bestimmte Parteien sich weigern, da mitzumache­n, sagt auch das schon einiges", sagt ein Beteiligte­r.

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 ??  ?? Die CDU kann seit ihrem digitalen Parteitag im Januar ein Lied von Cyberangri­ffen singen
Die CDU kann seit ihrem digitalen Parteitag im Januar ein Lied von Cyberangri­ffen singen

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