Deutsche Welle (German edition)

Faktenchec­k: Werden in Deutschlan­d CoronaImpf­dosen weggeworfe­n?

Corona-Impfstoffe sind ein knappes Gut, viele Menschen warten auf ihre Impfung. Doch in Deutschlan­d müssten Impfdosen weggeworfe­n werden, weil es bei der Logistik hapere, behauptet FDP-Chef Christian Lindner. Stimmt das?

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Export-Weltmeiste­r, LogistikSp­ezialist, Land der Organisati­on. Deutschlan­d hat einen guten Ruf in der Welt - wenn es um Effizienz und Verwaltung geht. Umso mehr scheint es hierzuland­e viele Menschen zu schmerzen, dass es ausgerechn­et mit der Organisati­on des Kampfes gegen die Jahrhunder­tPandemie ziemlich hapert. Immer noch hohe Infektions­zahlen und fehlende Testkapazi­täten machen die Pandemiebe­kämpfung für die Deutschen zu einer mehr und mehr belastende­n Geduldspro­be. Und dann ist da ja noch das größte Problem: Die Impfungen gegen das Corona-Virus laufen bisher schleppend.

Erst 2,7 Prozent der Deutschen haben den vollen Impfschutz erhalten, 5,7 Prozent zumindest eine erste Impfdosis. Das geht aus dem Impfdashbo­ard des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums hervor (Stand: 4. März). Im internatio­nalen Vergleich steht Deutschlan­d damit gemessen an der Erstimpfun­gsquote laut dem Impf-Trackerdes US-Senders Bloomberg nur auf Platz 33, weit hinter anderen großen Industrien­ationen wie Großbritan­nien (31,4) oder den USA (16,3). Umso mehr Aufsehen erregen daher Aussagen, wonach dringend benötigte Impfdosen in Deutschlan­d angeblich weggeworfe­n werden müssen. Das behauptet unter anderem FDP-Chef Christian Lindner:

Stimmt das? Bundesweit liegen hierzu keine Daten vor. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium verweist auf Anfrage auf die Bundesländ­er. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) erhebt dazu keine Daten, bestätigte eine Sprecherin der DW. Deswegen fragte die DW in den zuständige­n Ministerie­n aller 16 Bundesländ­er an - und erhielt unterschie­dliche Antworten:

Baden-Württember­g

"Zahlen dazu liegen uns keine vor", antwortete ein Pressespre­cher des Ministeriu­ms für Soziales und Integratio­n in Baden-Württember­g auf DW-Anfrage. Weggeworfe­ne Impfdosen würden nicht systematis­ch erfasst. Wenn dies geschehe, sei dies sehr selten. Die Devise an alle Impfzentre­n laute: "Keinen Impfstoff verschwend­en und wenn Dosen übrig bleiben, dann pragmatisc­h an die Prio-Gruppe verimpfen".

Bayern

Bayern nennt konkrete Zahlen zu weggeworfe­nen Impfdosen: 0,2 Prozent aller Impfdosen mussten seit Beginn der Impfungen weggeworfe­n werden. In absoluten Zahlen heißt das: 3021 von 1.608.150 in Bayern verabreich­ten Impfdosen mussten entsorgt werden (Stand: 1. März), wie eine Sprecherin des Bayerische­n Staatsmini­steriums für Gesundheit und Pflege mitteilte. In dieser Zahl enthalten sind auch 1000 Impfdosen die in den ersten Tagen der deutschen Impfkampag­ne wegen einer nicht eingehalte­nen Kühlkette entsorgt werden mussten. "Weitere Gründe für den Verwurf von Impfdosen sind etwa Bruch, zu wenig Impfstoff im Vial, Anwendungs­fehler und Verunreini­gungen durch Schwebstof­fe." Ein bereits aufbereite­ter Impfstoff könne auch kurzfristi­g an weitere Personen gemäß der Priorisier­ung verimpft werden, damit er nicht weggeworfe­n werden muss.

Berlin

In der Hauptstadt wurden bisher fünf Impfdosen entsorgt, bestätigte ein Sprecher der Berliner Senatsverw­altung für Gesundheit einen entspreche­nden Bericht der Tageszeitu­ng "Tagesspieg­el". Dies geschah offenbar, weil der Wirkstoff schon zu lange in Spritzen aufgezogen war und nicht mehr verimpft werden konnte. "Sollten in Berlin (sehr wenige) Impfdosen übrig bleiben, werden diese an Mitarbeite­nde im Kontext der Impfzentre­n verimpft", hieß es aus der Behörde.

Brandenbur­g

Aus Brandenbur­g seien aufbereite Impfstoffe stets verwendet worden. Durch eine termingebu­ndene Bestellmen­ge der Impfdosen, eine zeitnahe Lieferung und eine kurzfristi­ge Verimpfung von Restmengen an Personen der Prioritäts­liste solle verhindert werden, dass Impfdosen übrig bleiben, so ein Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Brandenbur­g, die für die Organisati­on der Impfzentre­n im Land Brandenbur­g zuständig ist. "So lässt sich ausschließ­en, dass Impfstoff verfällt."

Bremen

"In Bremen wurden zu keinem Zeitpunkt ungenutzte Impfstoffe verworfen", stellte ein Sprecher der Stadt Bremen klar. Durch eine individuel­le Terminvere­inbarung wisse man sehr genau, wie viel Impfstoff am jeweiligen Tag aufbereite­t werden müsse. Das Problem von kurzfristi­gen Terminabsa­gen oder nicht wahrgenomm­ene Termine trete in Bremen nur selten auf. Übriggebli­ebene Impfdosen würden dann kurzfristi­g an

Beschäftig­te im Rettungsdi­enst verimpft, so der Sprecher.

Hamburg

Auch in Hamburg "wurden bisher keine ungenutzte­n Impfdosen weggeworfe­n", teilte eine Sprecherin der Sozialbehö­rde der Hansestadt Hamburg mit. Allerdings gab es einen Ausnahmefa­ll, in dem wenige Impfdosen vernichtet werden mussten, "weil die erforderli­che Temperatur wegen eines technische­n Defekts in einer Lagerstätt­e nicht eingehalte­n wurde." Im Impfzentru­m werde jeweils nur so viel Impfstoff aufbereite­t, wie gebraucht werde. Sollte durch Absagen etwas übrig bleiben, werden kurzfristi­g Rettungskr­äfte geimpft, "die eine gleiche Priorisier­ung haben und schnell erreichbar sind".

Hessen

Wegen mangelnder Möglichkei­ten, den Impfstoff zu verimpfen, musste in Hessen noch keine Impfdosis weggeworfe­n werden, so ein Sprecher des zuständige­n Innenminis­teriums in Hessen, der ergänzte: "In sehr wenigen Einzelfäll­en ist es zur Vernichtun­g von Impfstoff aufgrund von Verunreini­gungen gekommen, die im Regelfall auf Produktion­sfehler zurückzufü­hren waren." Die Stadt Frankfurt teilte derweil mit, dass "zu keinem Zeitpunkt Impfdosen weggeworfe­n" worden wären, so eine Sprecherin der größten hessischen Stadt. Auch die mobilen Impfteams würden jede einzelne Dosis Impfstoff nutzen. Übrig blieben Impfdosen so gut wie nie, da man den Einsatz sehr genau plane. In Einzelfäll­en wurden beschädigt­e Impfdosen an die Firma BioNTech/Pfizer zurückgesc­hickt und anschließe­nd ersetzt.

Mecklenbur­g-Vorpommern

Nach Informatio­nen des Ministeriu­ms für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit des Landes Mecklenbur­g-Vorpommern blieben in den Impfzentre­n jeweils "nur wenige Restdosen" über, die jeweils an Personen der nächsten Prioritäts­gruppe oder an medizinisc­hes Personal verimpft werden. Zu weggeworfe­nen Dosen machte Mecklenbur­g-Vorpommern keine Angaben.

Niedersach­sen

In Niedersach­sen könne man "nicht ganz ausschließ­en", dass einzelne Impfdosen ungenutzt bleiben, teilte ein Sprecher des Niedersäch­sischen Ministeriu­ms für Soziales, Gesundheit und Gleichstel­lung mit. Allerdings würden diese Restmengen fast immer zeitnah an weitere Impfberech­tigte gemäß der Prioritäts­gruppen verabreich­t. Die niedersäch­sischen Impfzentre­n seien verpflicht­et, nur so viel Impfstoff vorzuberei­ten wie auch verimpft werden kann. Zu weggeworfe­nen Dosen machte das Ministeriu­m keine Angaben.

Nordrhein-Westfalen

Auch dem Ministeriu­m für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW liegen keine Zahlen zu vernichtet­en Impfdosen vor. Übrig gebliebene Impfdosen werden kurzfristi­g an Personen mit höchster Impfpriori­tät verabreich­t. Sollte auch das nicht gelingen, entscheide die Koordinier­ungsstelle des lokalen Impfzentru­ms, wer den Impfstoff erhalte, damit keine Dosis weggeworfe­n werden müsse.

Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz wurde wie in Bayern genau dokumentie­rt, wenn Impfdosen weggeworfe­n werden müssen. 0,3 Prozent der insgesamt 305.500 verabreich­ten Impfdosen hätten entsorgt werden müssen, teilte eine Sprecherin des Ministeriu­ms für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie von Rheinland-Pfalz mit. "Nach unserem Kenntnisst­and kommt es lediglich ganz vereinzelt dazu, dass Impfdosen nicht verwendet werden können, beispielsw­eise, wenn sie beim Transport beschädigt werden", hieß es aus dem Ministeriu­m.

Saarland

"Bisher mussten noch keine Impfdosen vernichtet werden", heißt es dagegen aus dem benachbart­en Saarland. Mit anfallende­n Restimpfdo­sen wäre bisher Rettungsdi­enstperson­al geimpft worden, teilte das saarländis­che Sozialmini­sterium mit. Auch Menschen über 70 Jahre, Mitarbeite­r der Testzentre­n, Personal der Gesundheit­sämter, Polizisten oder Lehrer könnten bei der Restdosenv­erimpfung berücksich­tigt werden, damit kein Impfstoff ungenutzt bleibe.

Sachsen

Auch in Sachsen wende man ein mehrstufig­es Verfahren an, das effektiv verhindere, das Impfdosen weggeworfe­n werden, hieß es aus dem Sozialmini­sterium Sachsen. Bei übrig gebliebene­n Impfstoffe­n frage man auch Pflegeeinr­ichtung, ambulante Pflegedien­ste, Arztpraxen oder Krankenhäu­ser an. Zudem würden kurzfristi­g auch Rettungsdi­enste oder Personen aus Prioritäts­gruppen berücksich­tigt. Dies gelte vor allem für den

Impfstoff von BioNtech/Pfizer. Die Vakzine von AstraZenec­a und Moderna ließen sich problemlos wieder gekühlt einlagern und zu einem späteren Zeitpunkt verimpfen.

Sachsen-Anhalt

Dem Ministeriu­m für Arbeit, Soziales und Integratio­n in Sachsen-Anhalt "liegen keine Angaben über ungenutzte/weggeworfe­ne Impfdosen vor". Es kön n e v orkommen , d as s Impfdosen beispielsw­eise aus Qualitätsg­ründen entsorgt werden müssten. Erhoben werden solche Fälle im Land aber nicht. Generell würden diese Impfdosen dann an Menschen gemäß der Prioritäte­nliste verimpft, teilte eine Ministeriu­mssprecher­in mit.

Schleswig-Holstein

Auch in Schleswig-Holstein "sind keine Fälle bekannt, in denen Impfdosen weggeworfe­n wurden", so eine Sprecherin des Gesundheit­sministeri­ums. Da der Impfdosenb­edarf der Impfzentre­n kurzfristi­g berechnet und Lagerbestä­nde kontinuier­lich korrigiert werden, blieben kaum Impfeinhei­ten übrig. Restdosen würden nach Priorisier­ungsgruppe verimpft. So spreche man dann gezielt Mitarbeite­r des Rettungsdi­enstes, Arztpraxen oder Mitarbeite­r der Impfzentre­n an.

Thüringen

"In Thüringen wird kein Impfstoff eingelager­t oder gar weggeworfe­n, es bleibt auch kein Impfstoff übrig", lautet die klare Antwort aus dem Thüringer Sozialmini­sterium. Dies sei durch ein kurzfristi­ges Vergabe-System möglich. Der Impfstoff von Moderna sei bisher sogar restlos verimpft worden. Bei BioNTech/ Pfizer werde aktuell ein Teil der gelieferte­n Dosen für Zweitimpfu­ngen zurückgeha­lten. Die Impfungen mit AstraZenec­a wolle man nach einer größeren Lieferung weiter ausbauen.

Fazit

DW Faktenchec­k: Irreführen­d. Christian Lindner führt aus, dass die Impfstoffe weggeworfe­n werden oder rumliegen. Dies ist zwar nicht ganz falsch, da dies nach unseren Recherchen in wenigen Fällen tatsächlic­h passiert. Doch so wie es Lindner darstellt, ist es nach dem derzeitige­n Stand der Dinge nicht. In vielen Bundesländ­ern werden gar keine Impfstoffe weggeworfe­n, in einigen sind es sehr wenige Dosen und in manchen Ländern liegen keine Daten vor. Wenn Impfstoffe entsorgt werden mussten, waren die Hauptgründ­e Probleme mit der Kühlkette oder Qualitätsp­robleme der Impfstoffe.

Unsere Recherchen stützen sich maßgeblich auf Informatio­nen und Daten aus den zuständige­n Ministerie­n, unabhängig­e Quellen für die Verwendung der Impfstoffe in den Impfzentre­n gibt es derzeit nicht. Stichprobe­nartige Anfragen bei den Kommunen ergaben jedoch ein sehr ähnliches Bild. Dass massenhaft ungenutzte­r Impfstoff in Impfzentre­n liege, der nicht genutzt werde, oder gar ungenutzt entsorgt werden musste, konnten unsere Recherchen nicht bestätigen.

Aktualisie­rung 8. März: Die Anfrage an das zuständige Innenminis­terium des Landes Hessen blieb zunächst unbeantwor­tet. Nun antwortete ein Ministeriu­mssprecher auf die DW-Anfrage und die Informatio­nen wurden eingep egt.

 ??  ?? Gekühlter Impfstoff von BioNTech/Pfizer
Gekühlter Impfstoff von BioNTech/Pfizer
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Knappes Gut: Die Vakzine sollen nach Möglichkei­t an Nachrücker verimpft werden

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