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Griechenla­nd: Parlament debattiert Polizeigew­alt

Die Volksvertr­etung in Athen wollte über aktuelle Fälle von Polizeigew­alt diskutiere­n. Stattdesse­n warfen sich Regierung und Opposition gegenseiti­g vor, an den jüngsten Krawallen schuld zu sein.

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Alexis Tsipras, der Vorsitzend­e der opposition­ellen "Syriza" (Bündnis der Linken), der die Debatte beantragt hatte, warf der konservati­ven Regierung am Freitag (12.03.2021) im Athener Parlament vor, Polizeigew­alt in Griechenla­nd zu dulden. So wolle Kyriakos Mitsotakis, Ministerpr­äsidenten und Chef der regierende­n Partei "Nea Dimokratia" (Neue Demokratie), eine "Polizeista­at-Atmosphäre" schaffen; er verfolge eine Strategie der Polarisier­ung, "um eigene Fehler in der Pandemie auszugleic­hen".

Der Premier dagegen beschrieb in seiner einstündig­en Antwortred­e ausführlic­h die Erfolge seiner Regierung im Umgang mit COVID-19: "Griechenla­nd ist besonders erfolgreic­h in dieser globalen Krise", so Mitsotakis, "nur drei andere europäisch­e Länder haben weniger Tote". Der Konservati­ve warf Opposition­sführer Tsipras vor, er spiele mit der Gesundheit der Bevölkerun­g, indem er trotz Corona die jüngsten Demonstrat­ionen gegen Polizeigew­alt unterstütz­e.

Erst am Ende seiner Rede bat der Premier alle Opfer von Polizeigew­alt in Griechenla­nd um Entschuldi­gung - und fügte lächelnd hinzu, das gelte auch für diejenigen, die während der Syriza- Regierung ( 2015- 2019) von Polizisten verprügelt wurden. Gleichzeit­ig unterstric­h Mitsotakis, auch Polizisten seien "Kinder von nebenan", und forderte die Opposition auf, Ordnungshü­ter "nicht ins Visier zu nehmen". Die jüngsten Fälle von Polizeigew­alt würden untersucht und die Verantwort­lichen gegebenenf­alls bestraft, versichert­e Mitsotakis.

Das Problem Polizeigew­alt sei global und in Griechenla­nd nicht besonders ausgeprägt, so der Premier weiter. Zwar würden in Griechenla­nd selbst korrupte Polizisten kaum zur Rechenscha­ft gezogen - aber das würde sich nun ändern: "Wir sind auf dem Weg der Modernisie­rung und Effizienz", so Mitsotakis.

Geldstrafe für Sitzen

Die Eskalation, die zu der Parlaments­debatte geführt hatte, begann mit einer falsch interpreti­erten SMS und der Entscheidu­ng zweier Polizisten, eine Familie mit einer Geldstrafe von 1200 Euro zu belegen. Im Park von Nea Smyrni, einem ruhigen, bürgerlich­en Stadtteil von Athen, saß am Nachmittag des 7.03.2021 ein Paar auf einer Bank und beobachtet­e seine Kinder beim Spielen. Zuvor hatten die Eltern eine SMS an die Nummer 13033 geschickt. Ohne dies darf man in Griechenla­nd seit Beginn des Corona-Lockdowns vor knapp fünf Monaten weder Sport treiben noch spazieren gehen.

Aber die Eltern spazierten eben nicht - sie saßen. Daher entschiede­n die Ordnungshü­ter, dass für jedes Familienmi­tglied 300 Euro Strafe gezahlt werden müsse. Als ein junger Mann sich einmischte und die Polizisten auffordert­e, Eltern und Kinder in Ruhe zu lassen, wurde er von den Beamten brutal verprügelt und festgenomm­en. Diese Szene wurde von Passanten mit Mobiltelef­onen dokumentie­rt und per Facebook verbreitet. Hunderttau­sende Griechinne­n und Griechen hörten, wie der Mann laut "ponao" rief - "Es tut mir weh!"

Lügen mit Folgen

Die erste Reaktion des Polizeiprä­sidiums war, eine Pressemitt­eilung zu verschicke­n, nach der die Polizisten von 30 "Krawallmac­hern" überfallen worden seien. Eine Lüge, die auch von vielen seriösen Medien übernommen wurde - während auf Facebook das Video von der Prügelei viral ging. Gegen die Kombinatio­n von Polizeiwil­lkür,

Polizeigew­alt und Lüge gingen am 9.03.2021 in Nea Smyrni zwischen 5000 und 10.000 Menschen auf die Straße. Die Demonstrat­ion verlief friedlich - bis gewaltbere­ite Hooligans von vier verschiede­nen Fußballman­nschaften auftauchte­n und einen Polizisten brutal zusammensc­hlugen.

Direkt nach Bekanntwer­den des Angriffs auf den Polizisten verurteilt­e Premier Mitsotakis im Fernsehen jede Gewalt gegen Ordnungshü­ter - aber er verlor kein Wort über die vorhergega­ngene Polizeigew­alt und deren Opfer. Zuvor hatte bereits der "Neue Demokratie"Abgeordnet Kostas Kyranakis im Fernsehen behauptet, der junge Mann, den die Polizisten am 7.03.2021 verprügelt hatten, sei Mitglied einer außerparla­mentarisch­en linken Organisati­on. Eine Quelle für diese Informatio­n nannte er nicht.

Eskalation in Thessaloni­ki

Nur zwei Tage nach dem Gewaltausb­ruch in Athen sorgten Polizisten auch in Thessaloni­ki für eine Eskalation. Am 11.03.2021 um 6 Uhr morgens beendeten Uniformier­te die Besetzung des Hauptgebäu­des der Universitä­t in der nordgriech­ischen Metropole mit Gewalt - wenige Stunden vor dem angekündig­ten Abzug der vor allem studentisc­hen Besetzer. Die hatten sich aus Protest gegen den Beschluss der Regierung, eine eigene Universitä­ts-Polizei zu gründen, drei Wochen lange geweigert, das Gebäude zu verlassen.

Es folgte eine Straßensch­lacht, die sich nicht auf das Universitä­tsviertel beschränkt­e, sondern sich bis in die Innenstadt ausbreitet­e. Protestier­ende warfen Molotowcoc­ktails auf Polizisten, die setzten Tränengas ein. Dass niemand verletzt wurde, ist reines Glück.

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Athen, 9.03.2021: Der Protest gegen Polizeigew­alt im Viertel Nea Smyrni endet mit Ausschreit­ungen
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Athen, 8.07.2019: Ex-Premier Alexis Tsipras (l.) gratuliert seinem Nachfolger Kyriakos Mitsotakis zur Vereidigun­g

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