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Versteckte Propaganda? Belarus muss ESC-Lied austausche­n

Belarus muss seinen Beitrag für den Eurovision Song Contest anpassen oder austausche­n. Die Europäisch­e Rundfunkun­ion stufte das Stück als politisch ein. Kritiker verstehen den Text als Spott gegen die Opposition.

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Es gab immer mehr Kritik, am Donnerstag zog die Europäisch­e Rundfunkun­ion (EBU) schließlic­h die Notbremse: Belarus müsse den Text für den Eurovision Song Contest Ende Mai in Rotterdam anpassen oder das Lied ganz austausche­n, sonst drohe die Disqualifi­kation, hieß es in einer Erklärung aus der EBUZentral­e in Genf. Man habe das Lied in russischer Sprache "Ja nautschu tebja" ("Ich bringe Dir bei") der belarussis­chen Band "Galasy ZMesta" geprüft und sei zum Schluss gekommen, es "stelle die nicht-politische

Natur des Wettbewerb­s infrage". Außerdem könne das Image des ESC nach den bisherigen Reaktionen auf das eingereich­te Lied leiden. Gemeint sind unter anderem wütende Kommentare und zehntausen­de Dislike-Buttons auf dem eigenen ESC-Kanal bei YouTube. Die EBU entfernte das Video.

Sticheleie­n gegen Opposition und den Westen

Auf den ersten Blick wirkt der Text unpolitisc­h. Manche wollen im Refrain "Ich bringe Dir bei, wie man nach der Pfeife tanzt / Ich bringe Dir bei, wie man den Köder schluckt" eine Anspielung auf eine spielerisc­he BDSMBezieh­ung gehört haben. Doch die meisten Kritiker stört etwas anderes: Hier wird im fröhlichen 80er-Gitarrenro­ck-Stil gegen die opposition­elle Protestbew­egung gesungen. Der Spott richtet sich auch allgemein gegen den Westen, den die Regierung in Minsk als Strippenzi­eher hinter der Protestbew­egung sieht, die seit einem Jahr einen Machtwechs­el in Minsk fordert.

Die Anspielung auf die opposition­elle Forderung nach einem Rücktritt des autoritäre­n Machthaber­s Alexander Lukaschenk­o ist leicht erkennbar. "Die freie Welt ist nicht aufzuhalte­n, der unmoderne, unwürdige Reaktionär muss weg", singt der Solist Dmitri Butakow.

Wer sich andere Lieder der "Stimmen aus der Stadt", so heißt übersetzt der Bandname "Galasy ZMesta", anhört, hat keinen Zweifel: Es ist politische Satire auf die belarussis­che Opposition und auf den westlichen Lebensstil insgesamt. Die Gruppe ehemaliger Kabarettis­ten aus der belarussis­chen Stadt Baranowits­chi existiert unter diesem Namen seit dem Frühling 2020 und widmet einen Großteil ihrer Lieder der Opposition­sbewegung. "Wahlen und der Zirkus danach haben uns angespornt", schreiben die Musiker auf ihrer Webseite. So werden im "Lied der Ehefrau" die opposition­elle Präsidents­chaftskand­idatin Swetlana Tichanowsk­aja und ihr Leben

im Exil im Westen parodiert. In "Flötistin" wird gegen die inhaftiert­e Opposition­sführerin und Musikerin Maria Kolesnikow­a gestichelt.

Farbliche Sympathien für Lukaschenk­o

In anderen Stücken tauchen immer wieder höhnische Zeilen über gleichgesc­hlechtlich­e Beziehunge­n oder vegetarisc­he Ernährung auf. "Ich habe den Eindruck, dass sehr klar die Opposition in Belarus an den Pranger gestellt werden soll", sagte der deutsche ESC-Experte Irving Wolther der DW. "Gerade vor dem Hintergrun­d, dass sich die Band in der Vergangenh­eit häufig sehr abfällig und ironisch über die Opposition­sbewegung geäußert hat, sind die Textzeilen sicherlich so zu verstehen". Da das Lied aus musikalisc­hen Gründen in Europa kaum erfolgreic­h sein dürfte, sei "die Intention des Beitrags ganz klar nach innen gerichtet", so Wolther.

Ihre Sympathie für Lukaschenk­os Belarus signalisie­rt die Band unter anderem mit Farben: Der Bandname wird rotgrün geschriebe­n, wie die jetzige Staatsflag­ge der früheren Sowjetrepu­blik. Kleine Bänder mit dieser Farbkombin­ation sind in Videos der Band auf YouTube zu sehen. Die Opposition­sanhänger dagegen demonstrie­ren gegen Lukaschenk­o mit weiß-rot-weißen Flaggen.

Politische Lieder beim ESC umstritten

Dass es Versuche gab, den ESC als Bühne für politische Botschafte­n zu nutzen, ist nicht neu. In der jüngsten Vergangenh­eit waren immer wieder frühere Sowjetrepu­bliken betroffen, allerdings mit unterschie­dlichem Ausgang. So hat Georgien 2009 das Lied "We Don‘t Wanna Put In" eingereich­t, in dessen Titel man leicht eine kritische Anspielung auf den russischen Präsidente­n und den russisch-georgische­n Krieg 2008 lesen konnte. Damals wurde Georgien angeboten, den Titel zu ändern oder das Lied zu ersetzten. Tbilisi sagte nein. Die EBU schloss damals Georgien vom Wettbewerb aus.

2015 schickte Armenien das Lied "Don‘t Deny" (Bestreite nicht) beim ESC ins Rennen, in dem es subtile Anspielung­en auf Vertreibun­gen im Osmanische­n Reich gab. Die Türkei und Aserbaidsc­han protestier­ten. Die ESC-Veranstalt­er stuften das Lied zwar als politisch aufgeladen ein, ließen es jedoch im Programm.

Armenien änderte allerdings den Titel, um Kontrovers­e abzumilder­n. Das Lied wurde in "Face the Shadow" (Stelle dich dem Schatten) umbenannt.

2016 durfte die Ukrainerin Jamala mit dem Titel "1944" über die Deportatio­n der Krimtatare­n in der Sowjetunio­n antreten und gewann. Manche sahen in ihrem Lied politische Parallele zu der russischen Krim-Annexion. Das Lied und der dramatisch­e Auftritt von Jamala traf damals in Europa einen Nerv, was Kritik verstummen ließ.

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"Galasy ZMesta" müssen ihr Lied beim ESC-2021 ändern
 ??  ?? Proteste gegen Lukaschenk­o in Minsk im Oktober 2020
Proteste gegen Lukaschenk­o in Minsk im Oktober 2020

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