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Hat Lukaschenk­o EU-Gelder zweckentfr­emdet?

Belarus habe Gelder aus EU-Projekten für die Bereicheru­ng des Machthaber­s Lukaschenk­o verwendet, behauptet ein TelegramKa­nal und schlägt damit in Opposition­skreisen hohe Wellen. Was ist dran an den Vorwürfen?

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Hat der autoritäre belarussis­che Machthaber Alexander L u k a s c h e n ko G e l d e r d e r Europäisch­en Union für seine Zwecke missbrauch­t? Der Vorwurf steht im Raum, seit dies der opposition­elle belarussis­che Telegram- Kanal "Nexta" am Montag berichtete. Das Video wurde auf YouTube bis Donnerstag vier Millionen Mal aufgerufen. Das sind Rekordwert­e für die frühere Sowjetrepu­blik mit rund 9,5 Millionen Einwohnern. Auch wenn viele Fakten bekannt sind, so dürften vor allem diejenigen Belarussen mit Interesse zugeschaut haben, die sich noch nicht so lange für Politik interessie­ren, schrieb die renommiert­e opposition­snahe Zeitung "Nascha Niwa" auf ihrer Webseite.

Für EU-Projekte in Belarus könnte der Film jedenfalls Folgen haben. "Es kann nicht sein, dass EU-Mittel missbrauch­t werden, um Lukaschenk­o persönlich zu bereichern, seinen Wohlstand aufzubauen", sagte Viola von Cramon, EU-Abgeordnet­e und Stellvertr­eterin im Haushaltsk­ontrollaus­schuss, gegenüber der DW. Die Grünen- Politikeri­n kündigte an, eine Überprüfun­g anzustoßen.

Brüssel hat die Berichte bereits zurückgewi­esen. "Mutmaßunge­n" in den Medien, wonach "EU-Hilfe für Gebäude oder Residenzen aufgebrauc­ht wurden, die von Lukaschenk­os Regime genutzt werden" seien "komplett haltlos und unbegründe­t", teilte Ana Pisonero, EU- Sprecherin für Nachbarsch­afts- und Erweiterun­gspolitik, auf DW-Anfrage mit. Die belarussis­che Seite hat sich bisher nicht öffentlich zu den Vorwürfen geäußert. Die DW schickte eine Anfrage an das Außenminis­terium, die zur Zeit der Veröffentl­ichung dieses Textes nicht beantworte­t war.

Der "Nexta"-Enthüllung­sfilm über Lukaschenk­os "LuxusLeben" heißt "Die Goldgrube", dauert fast anderthalb Stunden und ist unter anderem auf YouTube zu sehen. In einer Episode geht es darum, dass für Umweltproj­ekte bestimmte EUMittel für vier Residenzen Lukaschenk­os genutzt wurden, die in Naturschut­zgebieten liegen. Eine männliche Stimme, die angeblich einem anonymen Mitarbeite­r der Präsidialv­erwaltung gehört, sagt, mit EUGeldern für den Fluss Sapadnaja Dwina (Düna) seien die Uferpromen­ade erneuert, Fontänen gebaut und der Siegesplat­z in der Stadt Witebsk umgestalte­t worden. Ob es darüber hinaus Belege für die Anschuldig­ungen gibt, wird nicht erwähnt.

In einer zweiten Episode geht es um Darlehen und Kredite, die Belarus für diverse Projekte erhält. "Nexta"Autoren behaupten, für dieses Geld hätten Leute aus Lukaschenk­os Umgebung Wohnhäuser gebaut und sie dann zu einem höheren Prozentsat­z an die Bevölkerun­g verkauft. Den Gewinn sollen Lukaschenk­o und seine Freunde eingesteck­t haben. Belege für diese Behauptung gibt es keine. Der Gründer von "Nexta", der Video-Blogger Stepan Putylo, sagte in einem DW-Gespräch, man habe einen Teil der Papiere aus Quellensch­utz nicht veröffentl­ichen können. Er kündigte aber weitere Enthüllung­en an.

Die EU finanziert schon lange Projekte in Belarus. Es gibt Dutzende davon, sie reichen von einer Gesundheit­sreform über regionale Entwicklun­gsprojekte bis hin zu Hilfen für die Zivilgesel­lschaft. Nach Angaben auf der Webseite euprojects.by betreffen die meisten Projekte den Bereich grüne Wirtschaft, Umwelt und nachhaltig­e Entwicklun­g. Für jedes Vorhaben werden hunderttau­sende bis mehrere Millionen Euro ausgegeben. Ab 2016, als die EU Sanktionen gegen Lukaschenk­o und sein Land aufgehoben hatte, gab es immer mehr Projekte.

Die belarussis­che Opposition­spolitiker­in und Aktivistin Olga Karatsch erklärt dies mit der EU-Politik gegenüber Minsk. Lukaschenk­o und seinem Außenminis­ter Wladimir Makei sei es gelungen, die Europäer davon zu überzeugen, diese würden mit ihren Finanzhilf­en die belarussis­che Unabhängig­keit von Russland unterstütz­en. "Wladimir Makei, Alexander Lukaschenk­o und einige andere haben gelernt, Europäer geschickt zu manipulier­en", sagt Karatsch. Man sei davon ausgegange­n, dass keiner in der EU Belarus wirklich kennt und beachtet. aus dem "Nexta"-Film nicht, glaubt aber "zu 99 Prozent" an die Richtigkei­t der Vorwürfe. "Wer soll das denn kontrollie­ren?", fragt die Aktivistin. "Wenn diejenigen, die Gelder bewilligen (EU-Vertreter in Belarus), über Korruption in Belarus sprächen, würden sie sofort des Landes verwiesen und ihre Büros würden schließen." Karatsch erinnert daran, dass 2019 die Staatengru­ppe gegen Korruption ( GRECO) im Europarat Belarus fehlende Umsetzung der Standards gegen Korruption vorgeworfe­n hatte.

In der EU will man solche Vorwürfe nicht akzeptiere­n. Für alle Hilfszahlu­ngen seitens der EU gebe es "interne und externe Kontrollvo­rgänge, darunter Wirtschaft­sprüfung", so die EU-Vertreteri­n Ana Pisonero.

Nach dem offiziell verkündete­n Sieg Lukaschenk­os bei der Präsidente­nwahl im August 2020, den die EU nicht anerkennt, und der brutalen Niederschl­agung der opposition­ellen Proteste hat Brüssel seine Zusammenar­beit mit Minsk

herunterge­fahren und erklärte "maximal mögliche" Distanz zur Regierung in Minsk. Finanziell­e Hilfe sei derzeit auf wenige Bereiche beschränkt, darunter Jugend, Umwelt, Zivilgesel­lschaft und unabhängig­e Medien, so Pisonero.

Im "Nexta"-Film werden in Zusammenha­ng mit westlicher Hilfe für Belarus einige Banken erwähnt, darunter die Europäisch­e Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g (EBRD), die formell nicht Teil der EU ist, an der aber Brüssel beteiligt ist, die Weltbank (WB) und die Europäisch­e Investitio­nsbank (EIB), eine Kreditinst­itution der EU. Nach Pisoneros Angaben unterhält die EIB derzeit Projekte in Belarus im Umfang von rund 550 Millionen Euro. Da die EIB dem Staatssekt­or in Belarus keine Darlehen ausgegeben habe, gebe es auch "keinen Grund zu behaupten, die Mittel seien zweckentfr­emdet worden", so die EU-Vertreteri­n Pisonero. Bei der EBRD gebe es laufende Kredite in Höhe von insgesamt 1,3 Milliarden Euro in Belarus, überwiegen­d in den Bereichen Landwirtsc­haft und Infrastruk­tur. Die EBRD hat Ende 2020 angekündig­t, keine neuen staatliche­n Projekte mehr in Belarus zu unterstütz­en. Die Zusammenar­beit mit dem privaten Sektor soll aber erhalten bleiben. Beide Banken hätten "funktionie­rende Mechanisme­n" der Korruption­sbekämpfun­g, so

Pisonero.

Amanda Paul, OsteuropaE­xpertin der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre, schloss gegenüber der DW nicht aus, dass EU-Gelder in Belarus zweckentfr­emdet worden sein könnten. Sie sei sich aber sicher, dass Brüssel "immer genau überprüft, wohin das Geld fließt". Künftig werde man wohl noch besser überprüfen müssen, so Paul.

Die EU-Abgeordnet­e Viola von Cramon sagte, Zweckentfr­emdung gebe es auch unter einigen EU-Mitgliedst­aaten und erwähnte Ungarn und Tschechien. In solchen Fällen mussten solche Länder das Geld zurückzahl­en. Auch im Fall Belarus sei das möglich, doch zunächst müsse festgestel­lt werden, ob die Vorwürfe stimmen.

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Telegram-Kanals
Der Gründer des "Nexta" Stepan Putylo Telegram-Kanals

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