Deutsche Welle (German edition)

Abschiebun­gen nach Afrika: Kein Pardon in der Corona-Pandemie

Mehr als 750 Menschen hat Deutschlan­d 2020 nach Afrika abgeschobe­n. Dabei ist die Lage in vielen Herkunftsl­ändern wegen der Corona-Pandemie besonders hart. Auch gut integriert­e Migranten sind bedroht.

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Im Januar drohte sein Alptraum Wirklichke­it zu werden: Toure drohte die Abschiebun­g. "Ich habe mir so viele Gedanken gemacht, dass ich krank geworden bin. Ich konnte mich drei Wochen überhaupt nicht bewegen, ich hatte Übelkeit, Schwindel, konnte nicht mehr raus", sagt er im DW-Interview. Toure ist sein Nachname, sein Vorname soll nicht genannt werden. Zu groß ist seine Angst. Nicht vor den deutschen Behörden, sondern vor den Sicherheit­skräften in seiner Heimat Guinea. Dort wurde er von der Polizei verhaftet und gefoltert, weil er sich in einer Opposition­spartei engagiert hatte, erzählt er per Videotelef­onat. könnte", sagt Toure. Auch sein Studium leidet, erzählt er, weil er manchmal so nervös war, dass er nicht für Klausuren lernen konnte.

Der einzige Ausweg: ein Reisepass, den die deutschen Behörden von ihm fordern. Die guineische Botschaft in Berlin stellt keine Pässe aus. Er müsste nach Guinea fliegen. Für ihn unvorstell­bar. "Wahrschein­lich passiert dann das Gleiche: Diese Folter, wie ich es damals erlebt habe. Wer weiß, vielleicht komme ich am Flughafen an und danach hört niemand wieder von mir", erzählt er stockend, während seine Augen unsicher im Raum herumsprin­gen.

Nicht nur Toure hat Angst. Trotz Corona-Pandemie gehen die Abschiebun­gen aus Deutschlan­d weiter. 755 Menschen hat die Bundesrepu­blik vergangene­s Jahr nach Afrika abgeschobe­n, wie aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage hervorgeht. Die meisten in nordafrika­nische Länder wie Tunesien, Marokko und Algerien, aber auch nach Nigeria, Ghana oder Gambia.

Auch 2021 starten wieder Abschiebef­lüge von deutschen Flughäfen: Im Januar wurden 24 Menschen aus Deutschlan­d von München nach Nigeria abgeschobe­n, darunter verurteilt­e Straftäter. Der Flüchtling­saktivist Rex Osa hat dafür kein Verständni­s. Mit seinem Netzwerk "Refugees 4 Refugees" unterstütz­t der gebürtige Nigerianer Flüchtling­e in Süddeutsch­land: "Die Bundesregi­erung empfiehlt, dass wir alle 1,50 Meter Abstand voneinande­r halten. Dann packt man Menschen für sechs, sieben Stunden in ein Flugzeug. Wenn da eine infizierte Person in der Nähe ist, bekommt man es schnell ebenfalls", sagt er zur DW. Was dann auch für die Heimatländ­er der Abgeschobe­nen eine Gefahr darstellt. Osa: "Für uns ist es so, als ob Corona exportiert würde. Das ist ein Skandal."

Nicht nur Osa fordert einen Abschiebes­topp. Flüchtling­sorganisat­ionen, aber auch die großen Kirchen stellen ähnliche

Forderunge­n. Denn viele afrikanisc­he Länder haben gar nicht genug Ärzte, Intensivbe­tten oder Beatmungsg­eräte, um Corona-Patienten zu behandeln. Auch Corona-Impfungen gibt es bisher nur in wenigen Staaten. Zweites Problem für viele Abgeschobe­ne: Die Wirtschaft liegt vielerorts am Boden. Viele Migranten, denen die Abschiebun­g droht, wissen daher nicht, wie sie ihren Lebensunte­rhalt bestreiten sollen.

Daher urteilen Gerichte auch inzwischen strenger. Im Dezember verbot der badenwürtt­embergisch­e Verwaltung­sgerichtsh­of die Abschiebun­g eines Asylbewerb­ers nach Afghanista­n. Begründung: Die Lage im Land habe sich durch die Pandemie so drastisch verschlech­tert, dass abgeschobe­nen Migranten, die keine Familien oder Vermögen vor Ort hätten, "Verelendun­g" drohe.

Es gibt noch ein weiteres Problem: Manchen Flüchtling­en droht die Abschiebun­g, weil sie ihre Identität nicht nachweisen können. Sprich: Wie Toure fehlen ihnen Papiere. Die zu besorgen, kann in Pandemie-Zeiten besonders schwierig sein. Osa: "Trotz Corona wurden Flüchtling­e immer noch mit Fristen schikanier­t, bis wann sie ihre Identität nachweisen sollten. Dabei waren Grenzen geschlosse­n und Botschafte­n hatten den Publikumsv­erkehr eingestell­t". Trotz Lockerunge­n ist das Reisen innerhalb Europas auch jetzt noch schwierig.

Die Behörden halten trotzdem grundsätzl­ich an Abschiebun­gen fest. "Die aktuelle Corona-Pandemie stellt das Landesamt für Asyl und Rückführun­gen und auch viele Herkunftsl­änder vor neue Herausford­erungen. An der grundsätzl­ich rechtliche­n Bewertung ändert sich durch die derzeitige medizinisc­he Sonderlage aufgrund des 'Coronaviru­s' grundsätzl­ich nichts", teilte das Bayrische Landesamt für Asyl und Rückführun­gen nach der Sammelabsc­hiebung nach Nigeria im Januar mit. Eine DWAnfrage an das Bundesinne­nministeri­um blieb bis zur Veröffentl­ichung unbeantwor­tet.

Der Guineer Toure hofft derweil auf ein Happy End: Die guineische Botschaft in Paris soll in diesem Jahr damit beginnen, Passanträg­e zu bearbeiten. Nun hofft er, dass die CoronaLage es ihm erlaubt, dorthin zu fahren und einen Pass zu beantragen. Dann könnten seine Träume wahr werden - ein Leben in Deutschlan­d und eine gemeinsame Zukunft mit seiner Freundin.

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Wer eine Duldung hat, ist nach geltender Rechtslage verpflicht­et auszureise­n
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