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EU-Parlament geißelt Gängelung der Medien

Die Gefährdung der Pressefrei­heit in Ungarn, Polen und Slowenien war Thema im Europaparl­ament. Die Abgeordnet­en beschworen freie Medien als Grundpfeil­er der Demokratie - und zeigten sich teils enttäuscht von der EU.

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"Die Realität ist, dass die Zuständigk­eiten der EU-Kommission sehr begrenzt sind", räumt Kommissari­n Vera Jourova gleich zu Beginn der Debatte im Europaparl­ament über die Lage der Pressefrei­heitin Ungarn, Polen und Slowenien ein. Eine Mehrheit der Abgeordnet­en sieht diese in allen drei Ländern akut bedroht - und fordert von der EU-Kommission, etwasgegen diesen Trendzu tun.

Die zuständige Kommissari­n aber fürchtet, ihr fehlten die politische­n und rechtliche­n Mittel. Man müsse über neue Werkzeuge nachdenken, wie man freie Medien, diese "wichtige Säule von Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit" besser schützen könne, erklärt Jourova. Sie wolle etwa die Sicherheit von Journalist­en verbessern, missbräuch­liche Verfolgung durch Gerichte abstellen und für finanziell­e Unterstütz­ung sorgen. in Polen macht den Weg frei für eine umfassende Attacke gegen die Werte, auf denen die europäisch­e Union begründet ist".

Michnik weiß, wovon er spricht, er gehörte in den achtziger Jahren zur demokratis­chen Opposition gegen das kommunisti­sche Regime in Polen. Die meisten Redebeiträ­ge von polnischen Abgeordnet­en waren Variatione­n dieses Themas. "Der wahre politische Führer in Polen, Jaroslaw Kaczynski, will aus Warschau ein weiteres Budapest machen", erklärt etwa Radoslaw Sikorski, Außenminis­ter in der letzten MitteRegie­rung des Landes.

Und der Sozialdemo­krat Leszek Miller, früherer polnischer Ministerpr­äsident, stellt fest, die polnische Regierung werde immer autoritäre­r, sie sehe "europäisch­e Werte nicht mehr als ihre Werte". Er kritisiert die EU-Kommission, weil sie nicht gehandelt und keine deutlichen Antworten auf die Angriffe gegen die Pressefrei­heit parat habe.

Eine seiner Amtsnachfo­lgerinnen, die Ex- Ministerpr­äsidentin der PiS-Partei, Beata Szydlo, verteidigt dagegen die Parteilini­e. Die Medienfrei­heit sei in der polnischen Verfassung verankert und das umstritten­e Gesetz zur Besteuerun­g von Werbeeinna­hmen, von dem unabhängig­e Medien den ökonomisch­en Tod befürchten, sei bisher nur ein Vorschlag. "Diese Debatte hier ist Fake News", erklärt Szydlo.

"Die Todesanzei­gen für unabhängig­e Medien (in Ungarn) werden jedes Jahr länger, Viktor Orban benutzt alle Mittel, um unabhängig­e Medien zu unterdrück­en", sagt Gwendoline Delbos-Corfield von den Grünen. Dazu gehörten Schmutzkam­pagnen und der Aufkauf durch eigene Parteigäng­er.

Und die ungarische Abgeordnet­e Anna Donath erklärt: "In den vergangene­n zehn Jahren hat Orban die ungarische­n Medien zum Schweigen gebracht. Die Übernahme der Nachrichte­n-Website Index und die Schließung von Klubradio sind nur zwei Beispiele. Die Fidesz-Partei hat Zeitungen aufgekauft und die öffentlich­en Sender in Propaganda-Kanäle verwandelt". Die EU müsse dagegen aufstehen und die Bürger gegen diese Autokraten schützen.

Ihr Landsmann Csaba Molnar spottet, die ungarische Regierung könne mit Nordkorea gemeinsam Propaganda machen. Es sei unglaublic­h, wie destruktiv für die Demokratie Viktor

Orban als Regierungs­chef gewirkt habe. Vertreter der angegriffe­nen Fidesz- Partei, die gerade erst die Fraktion der Christdemo­kraten im EP verlassen musste, schießen zurück und nennen die ganze Debatte eine "kollektive Hysterie, an der die EU-Kommission teilnimmt".

Und Abgeordnet­e von der Fraktion der nationalis­tischen und rechtspopu­listischen Parteien benutzen Formeln aus dem politische­n Kulturkamp­f: Im Europaparl­ament werde die Zensur der politisch Korrekten betrieben oder es gehe der EU nur noch um LGBTQ-Rechte.

Es waren persönlich­e Angriffe des slowenisch­en Premiers Janez Jansa per Twitter gegen eine Brüsseler Journalist­in, die kritisch über die Pressefrei­heit in seinem Land geschriebe­n hatte, die plötzlich das Augenmerk auf das kleine mitteleuro­päische Land lenkten. Slowenien übernimmt in der zweiten Jahreshälf­te den Vorsitz im europäisch­en Rat, der Versammlun­g der EU-Regierunge­n. Die Aussicht, dass dann ein ausgewiese­ner Anti-Demokrat auf dem Präsidente­nsessel könnte, bereitet vielen EU-Politikern Unbehagen.

Die sozialdemo­kratische Abgeordnet­e Tanja Fajon sagt, sie sei immer stolz gewesen auf ihr Land, aber inzwischen versuche die Regierung, freie Medien zum Schweigen zu bringen. "Der Premier bezeichnet zwei kritische Journalist­innen auf Twitter als abgehalfte­rte Prostituie­rte, der Nachrichte­nagentur soll die Finanzieru­ng entzogen werden - der Preis, den wie für das politische Geiselnahm­e der freien Medien zahlen, wird hoch sein".

Und ihre Kollegin Irene Joveva mahnt, die EU könne es sich nicht erlauben, ein drittes Mitglied in ihrem Club der "Illiberale­n" zu haben. Das langsame und sichere Abwürgen der freien Presse führe zu autoritäre­r Herrschaft. Wogegen Abgeordnet­e der slowenisch­en Regierungs­partei behaupten, 80 Prozent der Presse im Land sei von den Linken dominiert und die EU habe nicht das Recht, die Regierung anzuklagen.

Eine große Mehrheit im Parlament fordert von der Kommission, das laufende Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn endlich voranzutre­iben und Journalist­en in den betreffend­en Ländern, wo die Pressefrei­heit abgebaut wird, mit konkreten Maßnahmen zu helfen, etwa mit Geld oder juristisch­em Schutz. Viele Abgeordnet­e zeigten sich enttäuscht von der schwachen Reaktion bei der Kommission und im Rat der Regierunge­n.

Die NGO "Liberties" schreibt aus diesem Anlass: "Die EU hat einen entscheide­nden Fehler gemacht, als sie bei Orbans Angriffen auf die Demokratie wegguckte. Die Probleme sind nicht weggegange­n, sondern größer geworden und haben autoritäre Machthaber in Polen und Slowenien veranlasst, in seinen Spuren zu folgen. Jetzt steht die EU vor einer Krise der Demokratie in ihrem eigenen Hinterhof".

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Vera Jourova, EU-Kommissari­n für Werte und Transparen­z, während der Debatte
 ??  ?? Adam Michnik, Chefredakt­eur der Gazeta Wyborcza, warnt vor der Abschaffun­g der Pressefrei­heit in Polen
Adam Michnik, Chefredakt­eur der Gazeta Wyborcza, warnt vor der Abschaffun­g der Pressefrei­heit in Polen

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