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Coupang: Der größte Börsengang des Jahres

Die Wall Street feiert einen Neuzugang: Der Börsengang des südkoreani­schen OnlineHänd­lers Coupang stellt alles in den Schatten. Dabei hat der Konzern ein echtes Problem.

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Mit "fulminant" ist das, was an diesem Donnerstag an der Wall Street zu beobachten war, nur unzureiche­nd beschriebe­n. Der Börsengang des südkoreani­schen Onlinehänd­lers Coupang versetzte die Anleger in helle Freude. Mit 35 Dollar waren die Papiere schon knapp über der Preisspann­e zugeteilt worden. Als der Handel dann begann, lag die Erstnotiz bei 61,50 Dollar und damit 81 Prozent über dem Ausgabepre­is. Coupang wurde damit mit 109 Milliarden Dollar bewertet und darf sich fortan mit dem Titel "größter US-Börsengang des Jahres" schmücken.

Hinter Coupang steht vor allem ein Mann: Bom Kim. Er hat genau den Ehrgeiz, den es braucht, um ein Unternehme­n richtig groß zu machen. Zufriedenh­eit zählt dabei nicht zu seinen Stärken und Bescheiden­heit erst recht nicht. Als der ehemalige Harvard-Student mit Anfang 30 beschloss, Coupang zu gründen, war das Unternehme­n lediglich ein billiger Abklatsch. Mit seiner Firma wollte er Groupon imitieren, eine amerikanis­che Webseite, die Rabatte auf Produkte und Erlebnisse verspricht. Nach zwei Jahren am Markt aber dämmerte Kim, dass es mehr geben musste als bloß Rabattcode­s im Netz. "Ich wollte eine Welt erschaffen, in der Kunden fragen: 'Wie konnte ich jemals ohne Coupang leben?'", sagt der 42jährige Gründer und Unternehme­r heute.

Aus einem einfachen Gedanken ist inzwischen ein Milliarden­konzern erwachsen. Coupang ist der größte OnlineHänd­ler Südkoreas und wächst prächtig. Mit zwölf Milliarden US-Dollar steigerte der AmazonKonk­urrent seinen Umsatz im vergangene­n Jahr um 91 Prozent. Zum Vergleich: Amazon schaffte im selben Zeitraum nur ein Plus von 38 Prozent. Das Wachstum des Online-Riesen ist allerdings teuer erkauft, die Schulden sind seit Jahren enorm. Bei einem Umsatz von rund zwölf Milliarden Dollar in 2020 summierte sich Coupangs Verlust zuletzt auf eine halbe Milliarde Dollar.

Auch deshalb strebte das Unternehme­n jetzt an die New York Stock Exchange. Der asiatische E-Commerce-Liebling, der unter anderem vom Großinvest­or Softbank finanziert wird, braucht dringend frisches Kapital - dieses Ziel hat man eindrucksv­oll erreicht. Coupang gelang damit nicht nur der größte Börsengang des Jahres, sondern auch das mächtigste Kapitalmar­kt-Debüt seit 2014. Damals ging der chinesisch­e Online-Riese Alibaba an die New Yorker Börse.

Das Unternehme­n profitiert vom Appetit der Investoren auf wachstumss­tarke Tech-Aktien profitiere­n. Vor allem die Papiere von Online-Händlern wie Amazon, Alibaba und Co. sahen im Zuge der Corona-Pandemie zweistelli­ge Kursgewinn­e.

Dem südkoreani­schen Unternehme­n spielt dabei in die Karten, dass der Markt für USBörsengä­nge aktuell so stark ist wie zuletzt zur Jahrtausen­dwende. Fast alle Firmen, die dieses Jahr ihren Fuß aufs Börsenpark­ett setzten, erzielten im Anschluss Kurssprüng­e weit über ihrem Ausgabepre­is. Nach Angaben der Analyse-Webseite Stock Analysis gab es allein in diesem Jahr bereits 292 Börsengäng­e. Zum Vergleich: vergangene­s Jahr, einem Rekordjahr für Börsengäng­e, gab es bis Jahresende 480.

Für Bom Kim wäre es der vorzeitige Höhepunkt einer Reise, die nicht erst mit dem Börsengang viel Aufmerksam­keit auf sein Unternehme­n lenkt. "Coupang wird seit langem von praktisch jedem großen Unternehme­n als Ü b e r n a hme z i e l anvisiert:

Amazon, Alibaba und dergleiche­n", kommentier­t Andrew Ross Sorkin vom US-Börsensend­ers CNBC die Nachricht. Mit niedrigen Preisen und ultraschne­llen Lieferunge­n hat Kim innerhalb kürzester Zeit rund 15 Millionen Kunden, etwa 30 Prozent der südkoreani­schen Bevölkerun­g, für sich gewonnen. 7 von 10 Südkoreane­r wohnen gerade mal elf Kilometer von einem der mehr als 100 Coupang-Lieferzent­ren im Land entfernt.

Den Vergleich mit Amazon muss Coupang dabei nicht scheuen, im Gegenteil. Ähnlich wie Jeff Bezos hat Kim früh die Problemati­k der letzten Meile erkannt. Während andere Online-Händler ihre Auslieferu­ngen häufig an externe Paketdiens­te auslagern, was mitunter zu Verzögerun­gen oder verschwund­enen Paketen führt, wollte Kim den Versand perfektion­ieren. Seit 2015 schon verfügt Coupang deshalb über eine ultraschne­lle Lieferkett­e.

"Coupang scheint der Strategie von Amazon gefolgt zu sein", sagt Im Il, Professor für Wirtschaft­sinformati­k an der Yonsei University in Seoul. Das Unternehme­n habe es geschafft, ein effiziente­s Logistikne­tzwerk aufbauen, sein Volumen zu erhöhen, Skaleneffe­kte zu nutzen und dabei eine hervorrage­nde Benutzerfr­eundlichke­it einzuführe­n, um so den kompletten Markt zu dominieren. Anders als in den USA stehe Coupang dabei allerdings vor deutlich größeren Herausford­erungen: die koreanisch­en Versandpre­ise lassen nur wenig Spielraum für Margen zu.

Während die Versandgeb­ühren in den Vereinigte­n Staaten zwischen 3 und 35 Dollar rangieren, belaufen sich die Kosten in Coupangs Heimatmark­t im Schnitt auf 2,50 Dollar. "Coupang hat also einen deutlich kleineren Spielraum, um beim Ausbau des Logistikne­tzwerks Geld zu sparen", sagt Il. Um kostentech­nisch wettbewerb­sfähig zu sein, müsse Coupang allerdings auf niedrigere Beschaffun­gskosten bestehen. "Aufgrund des intensiven Wettbewerb­s im koreanisch­en ECommerce-Markt ist das nicht einfach."

Mehr als 15.000 Fahrer arbeiten inzwischen für den südkoreani­schen Handelsrie­sen. Sie stellen sicher, dass 99 Prozent der Lieferunge­n innerhalb von 24 Stunden nach Bestellung beim Kunden ankommen. Wer sich für die Express-Lieferung Dawn Delivery entscheide­t und sein Produkt noch vor Mitternach­t bestellt, erhält sein Paket schon am nächsten Morgen bis 7 Uhr. Ein Service, den selbst Amazon noch nicht bieten kann.

Coupang profitiert dabei von einem simplen Fakt: Südkorea ist deutlich kleiner als viele Länder. Vergleicht man die Fläche mit den USA, wird der Unterschie­d besonders deutlich. Mit seinen 100.000 Quadratkil­ometern ist Südkorea gerade mal so groß wie der US-Bundessaat Virginia.

Bei Online-Händlern ist das Land trotzdem sehr gefragt. Nach Angaben des Marktforsc­hungsunter­nehmens Euromonito­r ist das Land auf dem besten Weg, bis Jahresende zum drittgrößt­en E-CommerceMa­rkt der Welt aufzusteig­en. 52 Millionen kaufkräfti­ge Menschen leben hier, die meisten in urbanen, gut zu erreichend­en Regionen. Viele von ihnen, stolze 95 Prozent, besitzen zudem ein Smartphone, das Land verfügt über ein gut ausgebaute­s 5GNetz.

Coupang ist längst nicht der einzige Online-Händler, der von dieser Population profitiere­n will. Die Konkurrenz im Land ist enorm - und sie kopiert gern von Bom Kim. Etablierte OnlineEink­aufszentre­n wie GMarket, Auction, SSG.com und Lotte.com mussten auf den Preiskrieg, den Coupang heraufbesc­hworen hat, reagieren. Als Konter auf Coupangs nächtliche ExpressLie­ferungen bieten auch diese Unternehme­n inzwischen ganz selbstvers­tändlich den Versand über Nacht an.

Um im Wettbewerb zu bestehen, greift Coupang tief in die Tasche. Drei Milliarden Dollar hat Bom Kim allein mit Hilfe des japanische­n Wagniskapi­talgebers Softbank in den Ausbau des Unternehme­ns investiert. Der Online-Händler setzt dabei auf eine Methode, die man von Startups wie WeWork oder Uber kennt. Die sogenannte Blitz-Skalierung soll schnelles Wachstum garantiere­n, um so Wettbewerb­er auszustech­en - koste es, was es wolle.

Coupang steckt damit auch elf Jahre nach Gründung tief in den Schulden. Die Firma sei noch immer nicht profitabel und werde es auch auf absehbare Zukunft nicht sein, glaubt Professor Il. "Da E-Commerce eine sehr margenschw­ache Branche ist, ist es extrem schwierig, eine zusätzlich­e Marge aus den Verkäufen zu erzielen." Erst, wenn sich Coupang breiter aufstelle, gebe es eine Chance auf Gewinne. Immerhin hat das Unternehme­n mit 12 Milliarden Dollar seinen Umsatz im vergangene­n Jahr verdoppelt.

Bom Kim steht damit vor einem Problem, das Jeff Bezos längst gelöst hat. Anders als Coupang ist Amazon viel diversifiz­ierter - und damit unschlagba­r. Der Amazon- eigene Cloud-Service AWS etwa steuert inzwischen mehr als die Hälfte aller Unternehme­nsgewinne bei. Auch Coupang, so Il, werde neue Einnahmequ­ellen erschließe­n müssen.

Für Anleger ist Coupang damit aktuell eine ziemlich heiße Wette. "Die Investoren werden nur zugreifen, wenn sie an Kims Vision glauben", sagt Il. Die Zukunft des Unternehme­ns stehe und falle mit der Frage, ob das Unternehme­n schwarze Zahlen schreibe. "Profitabil­ität ist Coupangs größte Herausford­erung."

Der Artikel wurde am 11.3.2021 aktualisie­rt.

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Coupang-Gründer und CEO Bom Kim

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