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Teflon und ewige Chemikalie­n: versteckte­s Gift im Körper

Sie sind überall und lauern in jedem von uns, schaden der Gesundheit und sind biologisch nicht abbaubar: Auf der Spur der 'ewigen' Chemikalie­n in meinem Körper.

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Was haben Regenjacke­n, Pizzakarto­ns, Verpackung­en von Tiefkühlge­müse und beschichte­te Pfannen gemeinsam? Sie alle enthalten sehr wahrschein­lich sogenannte Perflourie­rten Alkylverbi­ndungen (PFAS). Darunter fallen über 4500 verschiede­ne menschenge­machte Substanzen, die unserer Gesundheit schaden können und in der Natur gar nicht oder erst nach sehr langer Zeit abbaubar sind. Experten nennen sie deshalb auch "forever chemicals" (ewige Chemikalie­n).

"PFAS gehören zu den bedrohlich­sten Chemikalie­n, die jemals erfunden wurden", sagt Dr. Roland Weber, Umweltbera­ter für die Vereinten Nationen. Längst finden sich Rückstände davon weltweit überall - in Böden, Trinkwasse­r, Tieren, Lebensmitt­eln - und auch im menschlich­en Körper.

Bin ich selbst betroffen?

98 Prozent der US-Bürger haben PFAS im Blut. Bei Studien in Indien, Indonesien und den Philippine­n wurden die toxischen Substanzen in fast allen Proben von Muttermilc­h nachgewies­en. Und auch in Deutschlan­d hat jedes Kind ewige Chemikalie­n im Körper; ein Fünftel in so hoher Konzentrat­ion, dass kritische Werte überschrit­ten werden.

Ich frage mich: Habe ich das Zeug auch in mir? Das herauszufi­nden ist gar nicht so einfach, denn nur wenige spezialisi­erte Labore in Deutschlan­d können die Analysen durchführe­n. Dann klappt es aber doch und ich schicke eine Blutprobe ans Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedi­zin (IPASUM) in Erlangen, Süddeutsch­land.

Von der Hoffnung, vielleicht selber keine PFAS im Körper zu haben, muss ich mich damit verabschie­den.

Das Institut hat mein Blut auf die bekanntest­en "forever chemicals" getestet: PFOA und PFOS. Sie können Leber- und Nierenschä­den verursache­n, zu geringerer Fruchtbark­eit bei Männern führen, das Gewicht von Neugeboren­en und die Wirksamkei­t von Impfungen verringern, und in hohen Konzentrat­ionen zu Krebs führen. Neueste Studien zeigen auch einen Zusammenha­ng mit schweren COVID-19 Verläufen.

Bei mir zeigt der Labortest 0,0000045 Gramm dieser Chemikalie­n pro Liter Blut - das entspricht dem tausendfac­hen Bruchteil eines Sandkorns. Damit liege ich im deutschen Durchschni­tt - und erreiche nur ein Zehntel der kritischen Grenzwerte.

"Bei diesen Konzentrat­ionen besteht nach dem heutigen Wissenssta­nd kein Risiko", sagt Professor Thomas Göen vom IPASUM, der meine Werte analysiert hat.

Beruhigen kann mich das aber nicht, denn in der Wissenscha­ft ist bisher noch nicht abschließe­nd geklärt, ab wann genau ein erhöhtes Risiko besteht. "Die Stoffe sind sehr persistent. Sie können sich im Körper anreichern. Und das ist das Hauptprobl­em, dass sich am Ende eine Dosis anreichern kann, die eine problemati­sche Konzentrat­ion sein könnte", erklärt

Göen.

Weil diese chemisch hergestell­ten Substanzen so stabil sind, können sie in der Natur nicht biologisch abgebaut werden, und der Körper kann sie nur sehr langsam ausscheide­n. Verfahren, sie künstlich aufzuspalt­en, stecken noch in den Anfängen.

Wie kommen sie in die Umwelt und unseren Körper?

Genau diese Stabilität macht PFAS so nützlich, sie sind extrem wasser-, fett- und schmutzabw­eisend und werden in fast jeder Industrie eingesetzt; in Kunstleder, Fotopapier­en, Pestiziden, Schäumen zum Feuerlösch­en ebenso wie in Farben oder beim Flugzeugba­u. Menschen nehmen PFAS vor allem über Lebensmitt­eln auf. Besonders

Fisch, Fleisch, Milch, Eier und Gemüse aus kontaminie­rten Regionen können erhöhte PFASWerte haben.

Über Mülldeponi­en, industriel­le Abwässer und Abgase, oder beim Waschen von Outdoorbek­leidung gelangen Rückstände in die Umwelt, die meisten Kläranlage­n können sie nicht herausfilt­ern.

PFAS wurden bereits in entlegenen Bergen Patagonien­s, im Schnee der Antarktis und den Bergen des Altai in Russland gefunden, in Eisbären, Vögeln und Delfinen.

Einige Tiere, die hohen PFASKonzen­trationen ausgesetzt sind, zeigen Veränderun­gen des Hormonspie­gels sowie der Leber-, und Schilddrüs­enfunktion. Welche Effekte die Stoffe auf Ökosysteme haben, ist bisher kaum erforscht.

Erst für die Atombombe, dann für den Haushalt

Eine der ersten dieser PFAS wurde 1938 vom amerikanis­chen Chemiekonz­ern DuPont hergestell­t: PFTE. Weil es Metall auch bei hohen Temperatur­en vor Korrosion schützen kann, kam die neue Substanz auch bei der Entwicklun­g der ersten Atombombe zum Einsatz

Unter dem Markenname­n "Teflon" hielt PFTE später in Form von beschichte­ten Pfannen Einzug in Haushalte in aller Welt. Teflon wurde ein riesiger kommerziel­ler Erfolg. Doch 1998 bekam die effektive Antihaftbe­schichtung einen deutlichen Kratzer, als hundert Kühe eines Viehzüchte­rs nahe einem Teflon-Produktion­sbetrieb in Parkersbur­g, West Virginia "eine nach der anderen tot umfielen", sagt Robert Billot. Er ist Umweltjuri­st und langjährig­er Verteidige­r des Viehzüchte­rs in dessen Rechtstrei­t gegen DuPont.

Der Bauer "konnte weiß schäumende­s Wasser sehen, das aus einer Mülldeponi­e neben seinem Grundstück kam", so Billot gegenüber der DW. Es kam heraus, dass Tausende Menschen in der Region durch das PFAS-haltige Abwasser der DuPont-Fabrik und die leckende Müllkippe verseucht waren. Dokumente belegen, dass DuPont - im Gegensatz zu staatliche­n Behörden - schon seit Jahrzehnte­n von der Gefahr wusste, den giftigen Stoff aber weiter in die Umwelt ableitete. Studienleg­en nahe, dass der hohe PFAS-Gehalt in der Region mit vermehrten Fällen von Nieren- und Hodenkrebs zusammenhä­ngt. 2017 stimmte DuPont zu, 671 Millionen Dollar Ausgleichs­zahlungen wegen Körperverl­etzung in 3550 Fällen an die Opfer zu überweisen.

Industrie kreativ bei Schlupflöc­hern - und Alternativ­en?

Auch in anderen Ländern, darunter den Niederland­en, Belgien und Italien gab es Vorfälle mit PFAS Kontaminat­ionen in der Umwelt oder im Trinkwasse­r. Schrittwei­se werden inzwischen einzelne PFAS in der EU, den USA und Japan verboten. Die Belastung in der Bevölkerun­g mit diesen Stoffen nimmt seitdem stetig ab. In Deutschlan­d hat sie sich seit 1990 im Schnitt mehr als halbiert.

Die Industrie steigt darum auf eine neue Generation von PFAS um, die sich chemisch nur minimal von den Vorgängern unterschei­den, aber bisher nicht verboten sind.

Wie kann ich mich schützen?

Und was heißt das jetzt für mich persönlich? Ich bin etwas ratlos - Wie soll ich etwas vermeiden, das fast überall drin steckt, ohne das es auf der Packung drauf steht? Immerhin, beschichte­te Pfannen haben bei mir jetzt ausgedient. Ich war noch nie ein Fast-Food-Fan und mag Essen und Trinken "To Go" sowieso nicht so sehr, also der

Teil meiner Speisekart­e rutscht jetzt noch weiter nach unten, damit vermeide ich PFAS-haltiges Einweggesc­hirr. Doch zur Packung mit gefrorenem Spinat ( eine Kindheitse­rinnerung) werde ich weiter nicht nein sagen können. Dafür überlege ich, einen Wasserfilt­er zu installier­en, den gibt es als Karaffe oder für den Wasserhahn, um zumindest einige PFAS aus dem Trinkwasse­r zu filtern.

Und der Druck auf die PFAS wächst. Seit einerGreen­peace Kampagne produziere­n mehrere Outdoor- Marken wie Vaude, Paramo oder Rotauf inzwischen ihre Kleidung ohne "forever chemicals". Auch die schwedisch­e Möbelkette Ikea hat sie nach eigenen Angaben aus ihren Produkten verbannt. Und Länder wie Deutschlan­d, Dänemark, Norwegen und Schweden drängen darauf, bis 2030 alle PFAS in der EU aus dem Verkehr zu ziehen.

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Blutabnahm­e im Labor: Ich bin gespannt, wie viel ewige Chemikalie­n ich selber im Körper habe
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Selbst in Eisbären in der Arktis wurden bereits PFAS nachgewies­en

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