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Studie: Mehr Corona-Infektione­n durch Pollenflug?

Wenn mehr Pollen fliegen, infizieren sich mehr Menschen mit Corona. Das zeigt eine neue Studie der TU München. In Zukunft also Spaziergän­ge mit Maske und Taucherbri­lle?

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Laufende Nase, Kratzen im Hals, geschwolle­nen Augen - sichtbare Anzeichen, dass die Pollensais­on wieder begonnen hat. Zu allem Übel haben Forschende in einer kürzlich im Fachmagazi­n PNAS veröffentl­ichten Studie herausgefu­nden: Mehr Pollenflug führt zu mehr Infektione­n mit dem Coronaviru­s. Unabhängig davon, ob eine Person allergisch auf Pollen reagiert oder nicht. Diese Studie wird seit ihrer Veröffentl­ichung in den Medien und unter Fachleuten stark diskutiert. Was ist also an den Behauptung­en wirklich dran? Müssen wir in Zukunft mit Maske und Taucherbri­lle spazieren gehen? Was wurde genau untersucht?

Im Zeitraum von Januar bis April 2020 sammelte das internatio­nale Forscherte­am, angeleitet von Forschende­n der Technische­n Universitä­t München (TUM) und des Helmholtz Zentrums München, Daten von 130 Pollen-Stationen in 31 Ländern.

Diese Pollenflug-Daten verglichen die Forschende­n mit den Wetterdate­n und den Infektions­zahlen in den Monaten März bis April 2020. Wir erinnern uns: In diesem Zeitraum erreichte die erste Coronawell­e Europa und Nordamerik­a. Ebenfalls in der Studie berücksich­tigt wurden die getroffene­n Coronamaßn­ahmen, wie beispielsw­eise der Lockdown. Was sind die wichtigste­n Erkenntnis­se der Studie?

"Je mehr Pollen da ist, desto mehr Effekt ist da", fasst Dr. Traidl-Hoffmann, Umweltmedi­zinerin und Mitglied der Forschungs­gruppe die Ergebnisse zusammen. Schon 100 Pollenpart­ikel mehr pro Kubikmeter Luft führten im Schnitt - ohne Lockdownma­ßnahmen - zu einer Erhöhung der Infektions­zahlen um 4%, so die Forschende­n. Nimmt man alle Umweltfakt­oren für den Studienzei­traum zusammen, also auch die Temperatur oder Luftfeucht­e, könne das sogar zu einem Anstieg der Infektions­zahlen von bis zu 44% führen.

Im Lockdown jedoch halbiere sich die Zahl der Neuinfizie­rten um die Hälfte, bei der gleichen Menge Pollen, die durch die Luft schwirrten, heißt es in der Studie.

Warum stiegen die Infektions­zahlen bei hohem Pollenflug?

Menschen mit Allergien ist klar: Wenn Pollen fliegen, dann läuft die Nase, die Augen jucken und der Hals kratzt. Es gibt allerdings schon länger Untersuchu­ngen dazu, dass Pollen noch einen anderen Nebeneffek­t haben könnten: Sie lähmen vermutlich die antivirale Immunantwo­rt unserer Schleimhau­tzellen, egal ob wir allergisch sind oder nicht.

Wenn wir Pollen oder Viren einatmen, gelangen sie auf die Nasenschle­imhaut. Normalerwe­ise bilden die Zellen bei Kontakt dort körpereige­ne

Proteine, die unser Immunsyste­m aktivieren, um das Virus zu bekämpfen: sogenannte Interferon­e.

Treffen nun Pollen und Viren gleichzeit­ig in der Nase ein, wird dieser Abwehrmech­anismus gehemmt und es werden weniger Interferon­e gebildet. Dadurch kann sich das Virus einfacher vermehren. Dieser Mechanismu­s konnte bereits für Rhinoviren nachgewies­en werden, die uns die altbekannt­e, meist aber harmlose Erkältung bescheren.

Um das Virus SARS-CoV-2 erfolgreic­h abzuwehren, braucht unser Körper die selben Interferon­e, wie bei den Erkältungs­viren. Deshalb könnte es sein, dass der gleiche Mechanismu­s für den Anstieg der Corona-Infektione­n verantwort­lich ist.

"Wir wissen aus anderen Studien, dass Allergiker generell eine niedrigere Interferon-Antwort haben. Das legt die Vermutung nahe, dass der Effekt bei Allergiker­n größer ist. Bisher ist das aber nur eine Hypothese, die wir untersuche­n müssen", sagt Dr. Traidl-Hoffmann. Generell zählen Allergiker­innen und Allergiker jedoch laut RobertKoch-Institut nicht zur Risikogrup­pe für das Coronaviru­s. Grund zu Panik?

Diese Erkenntnis­se klingen auf den ersten Blick plausibel. Allerdings ist die Studie ist den Forschende­n in den letzten Tagen auch ziemlich um die Ohren geflogen. Die übrige Fachwelt äußerte Zweifel an der Aussagekra­ft der Studienerg­ebnisse.

Auch wenn die Forschende­n in ihrer Studie die besten der verfügbare­n Daten verwenden, "lassen sich in einer solchen epidemiolo­gischen Studie nie exakte Zusammenhä­nge zwischen Ursache und Wirkung erklären", beurteilt Professor Christian Bergmann von der Charité Berlin die Arbeit.

Der Ausbruch der Coronapand­emie fiel zudem letztes Jahr zeitlich genau mit dem Start der Pollensais­on zusammen. "Hohe Pollenzahl­en in der Luft mit steigenden Infektions­zahlen in den folgenden vier Tagen können daher auch zufällig aufgetrete­n sein", merkte Prof. Dr. Ludger Klimek vom Allergieze­ntrum Wiesbaden in einer Pressemitt­eilung des Ärzteverba­nds Deutscher Allergolog­en an.

Es bestehe kein Grund zur Beunruhigu­ng, findet die Stiftung Deutscher Polleninfo­rmationsdi­enst. In einer Stellungna­me heißt es: "Allergiker und Nichtaller­giker sollten keine Sorgen oder gar Ängste entwickeln, durch den Kontakt mit Pollen in der Außenluft bevorzugt eine Infektion mit CoronaVire­n zu erleiden."

Epidemiolo­ge André Karch kritisiert­e gegenüber dem Nachrichte­nmagazin Der Spiegel, dass aus der Studie nicht genau beziffert werden könne, wie groß die Rolle der Pollen bei den steigenden Infektions­zahlen tatsächlic­h sei. Weil einfach zu viele, komplexe Umweltfakt­oren, wie Wetterlage und soziales Verhalten der Menschen, zusammensp­ielten. Das mache es schwierig zu sagen, wie groß der Einfluss der Pollen tatsächlic­h ist.

Auch die Autorinnen und Autoren der Studie räumen dies ein. "Die wichtigste Nachricht für uns ist: Pollen sind ein Faktor und nicht der einzige!", betont Dr. Traidl-Hofmann. "Es geht darum, dass wir verstehen, dass wir mit vielen Faktoren in Verbindung kommen und dass sich diese Faktoren natürlich gegenseiti­g befeuern, aber auch aufheben können. Letztes Jahr im Sommer haben wir ja in der Tat weniger Infektione­n mit SARSCoV-2 gesehen und wir vermuten auch in diesem Jahr, dass dann ein Temperatur­effekt durchaus vorhanden ist".

Das Robert- Koch- Institut listet neben der Temperatur und der Luftfreuch­tigkeit auch den Wind und die UV-Strahlung der Sonne als weitere bekannte Umweltfakt­oren auf. So kann durch UV-Licht das Virus unschädlic­h gemacht werden.

Einigkeit herrscht in der Fachwelt darüber, dass nach wie vor zwischenme­nschlicher Kontakt der Treiber Nummer Eins in der Ausbreitun­g des Coronaviru­s ist. Wer sich also allein oder mit ausreichen­dem Abstand auch in den kommenden wärmeren Tagen draußen bewegt, ist auf der sicheren Seite. Schützen mich Masken vor den Pollen?

Dass wir in den wärmeren Tagen mit Pollen in Kontakt kommen, lässt sich schlichtwe­g nicht vermeiden. Menschen, die der Risikogrup­pe angehören,

sollten deshalb aus Sicht der Forschende­n besonders vorsichtig sein und gerade an Tagen mit starkem Pollenflug eine Maske tragen.

"Die FFP2-Masken schützen auf alle Fälle schon mal, dass keine Pollen auf die oberen Schleimhäu­te kommen. Der Pollen kommt auch über die Augen auf die oberen Schleimhäu­te", sagt Dr. TraidlHoff­mann. "Wobei das Corona

Virus ja nicht so sehr über das Auge eintritt. Insofern ist dieser Weg wahrschein­lich nicht der relevante" , fügt Dr. Stefanie Gilles hinzu.

Spaziergän­ge mit Taucherbri­lle sind also auch in Zukunft nicht nötig.

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 ??  ?? Histamine und Nasenspray­s zur Linderung: Wenn Pollen fliegen, dann läuft die Nase, die Augen jucken und der Hals kratzt.
Histamine und Nasenspray­s zur Linderung: Wenn Pollen fliegen, dann läuft die Nase, die Augen jucken und der Hals kratzt.

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