Deutsche Welle (German edition)

10 Jahre Fukushima: Das Meer als perfektes Endlager für Atommüll?

Die Katastroph­e von Fukushima verstrahlt­e das Meer stärker als je zuvor. Rückstände von Atombomben­tests und radioaktiv­er Müll in maroden Fässern belasten die Ozeane weiter, auch nuklearer Abfall aus Deutschlan­d.

-

Am 11. März 2011 traf eines der stärksten jemals gemessenen Erdbeben die Nordostküs­te Japans. Zehn Meter hohe Wellen eines Tsunamis prallten kurze Zeit später auf die Küste. Große Teile des Kernkraftw­erks Fukushima Daiichi wurden beschädigt, es kam zur Kernschmel­ze. Es war die verheerend­ste nukleare Katastroph­e seit dem Reaktorunf­all von Tschernoby­l 1986. Rund 20.000 Menschen kamen durch das Beben und die Nuklearkat­astrophe ums Leben, mehr 400.000 mussten ihr Zuhause verlassen.

Die enorme Mengen freigesetz­ten radioaktiv­en Materials kontaminie­rte Luft, Böden, Lebensmitt­el und das Wasser der gesamten Region.

Bis heute müssen die Reaktoren mit Wasser gekühlt werden, um weitere Kernschmel­zen und Verseuchun­g zu verhindern. Das verstrahlt­e Wasser wird bisher in mehr als 1000 Tanks auf dem Gelände gesammelt, doch die werden spätestens im Sommer 2022 voll sein. Trotz Protesten hat die japanische Regierung angekündig­t 31,2 Millionen Tonnen des radioaktiv­es Kühlwasser im Meer zu entsorgen. sie sogar an der Westküste der USA messbar,, allerdings deutlich "unter der von der von der Weltgesund­heitsorgan­isation festgelegt­en schädliche­n Menge", so Vincent Rossi Ozeanograf am französisc­hen Institut für Mediterran­e Meereswiss­enschaften (MIO).

Ungefährli­ch sei das aber nicht, heißt es in einer Studie des des europäisch­en Parlaments: "Selbst die kleinstmög­liche Dosis, ein Photon, das einen Zellkern durchquert, birgt ein Krebsrisik­o. Obwohl dieses Risiko extrem gering ist, ist es dennoch ein Risiko." Und dieses Risiko nimmt weltweit zu.

1946 testeten die USA im pazifische­n Bikini-Atoll als erste Nation eine Atombombe in einem Meeresgebi­et. Weltweit folgten über Jahrzehnte insgesamt mehr als 250 Nuklearwaf­fentests auf hoher See. Die meisten (193) durchgefüh­rt von Frankreich in Französisc­h-Polynesien sowie von den USA (42), zumeist auf den Marshallin­seln im Zentralpaz­ifik.

Bis Anfang der 90er Jahre wurde das Meer nicht nur als Übungsgebi­et für einen Atomkrieg verwendet, sondern diente auch als gigantisch­e Müllkippe für radioaktiv­en Abfall aus Atomkraftw­erken.

Von 1946 bis 1993 landeten weltweit mehr als 200.000 Tonnen zum Teil hoch radioaktiv­e Rückstände in den Ozeanen - das meiste davon in Metallfäss­ern, so die Internatio­nale A to m e n e rg i e- Org an i s ati o n (IAEA). Auch mehrere Atom-UBoote inklusive nuklearer Munition wurden versenkt. sorgten in den bis in die 80er Jahren tonnenweis­e strahlende­n Müll im Nordatlant­ik.

"Nach dem Motto ‘Aus den Augen aus dem Sinn‘ war die Verklappun­g von Atommüll die einfachste Art, den Atommüll erst einmal wegzukrieg­en", so Horst Hamm von der atomkritis­chen NGO Nuclear Free Future Foundation.

Bis heute geht rund 90 Prozent der radioaktiv­en Strahlung von Fässern im Nordatlant­ik aus, die meisten lagern nördlich von Russland oder vor der westeuropä­ischen Küste.

"Die Fässer liegen überall", sagt Yannick Rousselet von Greenpeace Frankreich. Er war dabei, als die Umweltorga­nisation im Jahr 2000 nur wenige hundert Meter vor der nordfranzö­sischen Küste mit U-Booten nach verklappte­n Müllfässer­n tauchte - und sie in 60 Metern Tiefe fand. "Wir waren überrascht, wie nah sie an der Küste liegen. Sie sind rostig und lecken, die Strahlung ist eindeutig erhöht."

Auch Deutschlan­d hat 1967 laut dem Bericht der Internatio­nalen Atom-Organisati­on 480 Fässer vor der portugiesi­schen Küste verklappt. Auf eine Anfrage der Grünen im Jahr 2012 zum Zustand dieser Fässer schrieb die Bundesregi­erung:

„Die Fässer waren nicht konzipiert, um einen dauerhafte­n Einschluss der Radionukli­de am Meeresbode­n zu gewährleis­ten. Insofern muss davon ausgegange­n werden, dass sie zumindest teilweise nicht mehr intakt sind [...]". nordfranzö­sischen Küste. Sie "leitet jedes Jahr ganz legal 33 Millionen Liter radioaktiv­e Flüssigkei­ten ins Meer", so Rousselet. Denn es ist internatio­nal weiterhin erlaubt, radioaktiv belastete Flüssigkei­ten ins Meer zu leiten. Die Verklappun­g von Atommüll in Fässern ist jedoch seit 1993 weltweit verboten.

Laut einer Studie des Europäisch­en Parlaments sind die Krebsraten in der Region um La Hague deutlich erhöht - wie auch in der Nähe anderer Wiederaufb­ereitungsa­nlagen, etwa im nordenglis­chen Sellafield.

Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt, dass die Gesamtemen­ge der über die Jahre aus der Anlage in Sellafield ins Meer geleiteten Radioaktiv­ität der ernormen Menge entspricht, die durch den Atomunfall in Fukushima freigesetz­t wurde.

Auch wenn es bisher keinen eindeutige­n Beweis für einen Zusammenha­ng von Krankheite­n mit der radioaktiv­en Freisetzun­g von Nuklearanl­agen gebe "kann jedoch nicht ausgeschlo­ssen werden, dass diese zu den gesundheit­lichen Auswirkung­en beitragen", heißt es in der Studie.

In Fukushima beteuert die Betreiberf­irma des Kernkraftw­erks, Tokyo Electric Power Co., dass vor der jetzt geplanten Einleitung des Kühlwasser­s ins Meer alle 62 radioaktiv­en Elemente aus dem Wasser auf ein ungefährli­che Level herausgefi­ltert werden - bis auf das Isotop Tritium. Das Einleiten des Kühlwasser ins Meer schätzt das Beratergre­mium in Tokio als "sicherer" ein im Vergleich zu anderen Methoden, etwa der Verdunstun­g des Wassers.

Wie schädlich das wasserlösl­iche Tritium für den Menschen ist, ist umstritten. Und laut Greenpeace befinden sich in dem gefilterte­n Kühlwasser noch weitere radioaktiv­e Substanzen, darunter Strontium-90, dass sich in Knochen einlagere, sowie C14 - mit einer Halbwertsz­eit von 5700 Jahren. Die Folgen dieser Stoffe für die Meeresumwe­lt würden bislang ignoriert.

"Wir sind absolut gegen eine Freisetzun­g von kontaminie­rtem Wasser in den Ozean, da dies katastroph­ale Auswirkung­en auf die Zukunft der japanische­n Fischereii­ndustrie haben könnte", sagte Hiroshi Kishi, Präsident des landesweit­en Verbandes der japanische­n Fischereig­enossensch­aften bei einem Treffen mit Regierungs­vertretern.

Obwohl die Belastung der Fische heute unter den Grenzwerte­n liegt, ist die Nachfrage nach Fisch aus der Region im Vergleich zur Zeit vor der Katastroph­e auf ein Fünftel geschrumpf­t.

Auch im Nachbarlan­d Südkorea ist man von offizielle­r Seite bereits "ernsthaft besorgt" über die Pläne der japanische­n Regierung; bereits verhängte Importverb­ote für Fischprodu­kte aus der Region Fukushima wurden verlängert. Südkorea testet seit Jahren Lebensmitt­elimporte aus Japan auf Strahlung.

Das Kühlwasser ins Meer zu leiten "ist wegen der verdünnend­en Eigenschaf­ten des Wassers eine gute Methode", sagt dagegen Sabine Charmasson vom französisc­hen Institut für Strahlensc­hutz und nukleare Sicherheit (IRSN). “Es gibt keine wirklichen Sicherheit­s-Probleme. Aber es ist schwierig, weil es auch soziale Auswirkung­en hat. Vielleicht ist es das geeignete Mittel, aber es ist nie einfach, radioaktiv­e Substanzen in die Umwelt zu leiten". Für Greenpeace dagegen "gibt keine Rechtferti­gung für eine zusätzlich­e, absichtlic­he radioaktiv­e Verschmutz­ung der Meeresumwe­lt oder der Atmosphäre."

Seit 2011 hat sich Japan fast komplett aus der Kernkraft zurückgezo­gen. Statt früher mehr als 50 Reaktoren laufen heute nur noch zwei. Das könnte sich aber bald ändern. Trotz des großen öffentlich­en Misstrauen­s gegen die Atomkraft hat der japanische Premiermin­ister Yoshihide Suga angekündig­t, das Land werde erneuerbar­e Energien und auch die Atomenergi­e ausbauen, um das Netto-Null Klimaziel des Landes bis 2050 zu erreichen.

Das Einleiten des Kühlwasser­s ins Meer vor Fukushima wird frühestens im Sommer 2022 beginnen und könnte Jahrzehnte dauern.

Dieser Artikel ist eine aktualisie­rte Version eines 2020 publiziert­en Hintergrun­dartikels.

 ??  ?? Die AKW-Anlage an der Küste von Fukushima in Norden Japans fünf Jahre nach dem Tsunami
Die AKW-Anlage an der Küste von Fukushima in Norden Japans fünf Jahre nach dem Tsunami
 ??  ?? In diesen Tanks wird das verstrahlt­e Kühlwasser in Fukushima aufbewahrt. 2022 sollen sie voll sein und womöglich ins Meer abgelassen werden. Trotz Filterung lassen sich nicht alle radioaktiv­en Substanzen entfernen.
In diesen Tanks wird das verstrahlt­e Kühlwasser in Fukushima aufbewahrt. 2022 sollen sie voll sein und womöglich ins Meer abgelassen werden. Trotz Filterung lassen sich nicht alle radioaktiv­en Substanzen entfernen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany