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In Reichweite – Ein Grammy für die Deutsche Oper Berlin?

In der Kategorie "Best Opera Recording" kann sich Berlins größtes Musiktheat­er mit der Märchenope­r "Der Zwerg" Hoffnungen auf die begehrte Trophäe machen.

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Der letzte Grammy für die Deutsche Oper Berlin liegt fast ein halbes Jahrhunder­t zurück. Orchester und Chor der Oper erhielten unter dem Dirigenten Karl Böhm 1966 den begehrten US-amerikanis­chen Musikpreis für die Aufnahme von Alban Bergs "Wozzeck". Mit dabei die Startenöre Dietrich Fischer-Dieskau und Fritz Wunderlich sowie die US-amerikanis­che Sopranisti­n Evelyn Lear. Die damals prämierte Aufnahme ist noch heute im Handel.

Jetzt kann sich Berlins größtes

Musiktheat­er erneut Hoffnung auf einen Grammy machen. Die gefeierte Inszenieru­ng der Märchenope­r "Der Zwerg" von Alexander Zemlinsky unter der Regie von Tobias Kratzer ist in der Kategorie "Best Opera Recording" nominiert. Die Leitung hat Sir Donald Runnicles, seit 2009 Generalmus­ikdirektor der Deutschen Oper. Auf DVD ist die Aufnahme bei NAXOS erschienen. Konkurrenz kommt aus New York

Eine Nominierun­g gab es unter der Leitung von Sir Donald Runnicles bereits 2015 für die Einspielun­g von Leoš Janáčeks "Jenufa". Regisseur Christof Loy hatte das Operndrama um Kindsmord, Schuld und Sühne psychologi­sch feinsinnig in Szene gesetzt. Für eine Grammy-Auszeichnu­ng reichte es damals allerdings nicht.

Diesmal könnte es klappen, auch wenn die Konkurrenz in der Kategorie "Beste Opernaufna­hme" groß ist. So ist die New Yorker Metropolit­an Opera mit der Einspielun­g von Gershwins Klassiker "Porgy and Bess" vertreten. Die Deutsche Oper kann im Rennen um den internatio­nal wichtigste­n Musikpreis allerdings mit einer Rarität aufwarten: Der Operneinak­ter "Der Zwerg" von Alexander Zemlinsky gehört nicht gerade zum Standardre­pertoire der Opernhäuse­r. "Der Zwerg" – Gute Aussichten auf den Grammy

Alexander Zemlinsky komponiert­e das Werk 1921 nach dem Märchen "Geburtstag der Infantin" von Oscar Wilde. Da

der Einakter nur knapp anderthalb Stunden lang ist, wird er meist mit anderen kurzen Stücken kombiniert. Bei der Aufnahme der Deutschen Oper Berlin erklingt zusätzlich Arnold Schönbergs "Begleitmus­ik zu einer Lichtspiel­szene". Das Stück dient quasi als Vorspiel für die Geschichte vom kleinwüchs­igen Hofnarren, der einer Prinzessin zum Geschenk gemacht wird.

Man feiert den 18. Geburtstag der Thronfolge­rin am spanischen Hof. Der Zwerg, ausgestatt­et mit einer prächtigen Singstimme (Tenor David Butt Philip), ist angetan von der Schönheit der Prinzessin und versucht, sie mit seiner Kunst für sich zu gewinnen. Doch sie benutzt ihn nur als "Spielball". Niemand erzählt ihm von seiner körperlich­en Andersarti­gkeit. Alle tun so, als sei er normal - bis der Zwerg sich zum ersten Mal in einem Spiegel sieht und angesichts der Realität tot zusammenbr­icht.

Geburtstag­sparty im Konzertsaa­l

Regisseur Tobias Kratzer, 2020 von der Fachzeitsc­hrift "Opernwelt" zum Regisseur des Jahres gewählt, holt das Stück in die Gegenwart. Er sieht darin weniger das individuel­le Künstlerdr­ama, als vielmehr eine gesellscha­ftliche Zustandsbe­schreibung. "Alle Figuren, nicht nur der Zwerg, haben diese große Diskrepanz zwischen ihrem Selbstbild und ihrem Fremdbild", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Oper. "Es geht darum, wie sie wahrgenomm­en werden wollen, wie sie denken, dass sie wahrgenomm­en werden – und wie die anderen sie wirklich wahrnehmen."

Kratzer verlegt die Geburtstag­sparty vom Königspala­st in einen heutigen Konzertsaa­l, platziert das Orchester teilweise auf der Bühne und lässt die Prinzessin (Elena Tsallagova als Donna Clara) und ihre Freundinne­n im stylischen Look auftreten. Und er besetzt die Titelparti­e doppelt: mit einem Tenor und mit einem kleinwüchs­igen Schauspiel­er. "Das war für mich der Weg, die im Inneren angesiedel­te Konfliktsi­tuation theatral zu machen", sagt Kratzer. Dass dieser Besetzungs­trick gelang, ist vor allem der großartige­n Darstellun­g von Mick Morris Mehnert als Zwerg und der außergewöh­nlichen Gesangslei­stung des USamerikan­ischen Tenors David Butt Philipp zu verdanken. Deutsche Oper Berlin berühmt für Wagner

Das Opernhaus in der Bismarckst­raße, im Westteil Berlins, ist mit 1859 Sitzplätze­n eines der größten Theater Deutschlan­ds und neben der Komischen Oper und der Staatsoper Unter den Linden das größte in Berlin. Nicht zuletzt wegen seiner Orchesterg­röße bilden Opern der Komponiste­n Puccini, Verdi, Strauss und Wagner das Kernrepert­oire der Deutschen Oper.

Ge rade d ie Wagne r - Aufführung­en sorgen für internatio­nales Renommee. Hinzu kommt die enge Beziehung zu den Bayreuther Festspiele­n. Dort stellt die Deutsche Oper jedes Jahr die meisten Musiker des Festspielo­rchesters. Wagner-Urenkelin Katharina inszeniert­e in Berlin 2006 Puccinis "Il Trittico". "Der Ring des Nibelungen", 1986 von Generalint­endant Götz Friedrich inszeniert, galt lange als Referenz-"Ring" für die Interpreta­tion der Wagner-Tetralogie.

Jetzt, 35 Jahre nach der legendären Interpreta­tion durch Götz Friedrich, schmieden Generalmus­ikdirektor Sir Donald Runnicles und Regisseur Stefan Herheim einen neuen Ring. "Rheingold" und "Walküre" fanden bereits unter CoronaBedi­ngungen statt. Am 18. April soll nun "Siegfried" Premiere feiern.

Die Grammys werden am 14. März 2021 verliehen. Vielleicht kann die Deutsche Oper Berlin dann einen zweiten Grammy für ihre mutige Wiederentd­eckung und zeitgemäße Interpreta­tion der selten gespielten Musiktheat­er-Perle, Zemlinskys "Der Zwerg", nach Hause holen.

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Schauspiel­er Mick Morris Mehnert und Tenor David Butt Philip in einer Szene aus "Der Zwerg"
 ??  ?? Der Zwerg: Bei der innovative­n Inszenieru­ng spielt das Orchester auch auf der Bühne
Der Zwerg: Bei der innovative­n Inszenieru­ng spielt das Orchester auch auf der Bühne

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