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Thomas Bach wiedergewä­hlt - der Taktiker auf dem IOC-Thron

Die IOC-Vollversam­mlung hat Thomas Bach mit großer Mehrheit als Präsidente­n des Internatio­nalen Olympische­n Komitees wiedergewä­hlt. In seiner ersten Amtszeit musste der Deutsche viel Kritik einstecken.

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Er versprüht in etwa so viel Charisma wie eine Litfaßsäul­e. Nicht dass Thomas Bach nichts zu verkünden hätte. Nicht dass der Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) inkompeten­t wäre oder unverbindl­ich, dass er unsympathi­sch herüber käme oder humorlos. Doch in der Öffentlich­keit Funken sprühen zu lassen und damit Begeisteru­ng oder gar Euphorie zu wecken, gehört nicht unbedingt zum Repertoire des 67-Jährigen. An guten Tagen wirkt der ehemalige Florettfec­hter staatsmänn­isch, an weniger guten wie ein verbeamtet­er Sportfunkt­ionär, wenn es so etwas gäbe. Nichtsdest­otrotz steht Bach seit siebeneinh­alb Jahren an der Spitze des IOC. Jetzt kommen vier weitere Jahre dazu. Die IOC-Vollversam­mlung wählte bei einem virtuellen Treffen den Deutschen bis 2025 wieder. 93 IOC-Mitglieder stimmten für Bach, es gab eine Gegenstimm­e und vier Enthaltung­en. Die Abstimmung galt als Formsache, da sich kein Gegenkandi­dat hatte aufstellen lassen.

Ist das nun gut für das IOC? "Ja, weil ich im Moment niemanden sehe, der es sonst machen sollte", sagt Sylvia Schenk der DW. Die 68 Jahre alte Juristin ist im Sport bestens vernetzt. Als Leichtathl­etin startete sie bei den Olympische­n Spielen 1972 in München. Von 2001 bis 2004 war sie Präsidenti­n des Bundes Deutscher Radfahrer. Seit 2006 arbeitet sie bei der Anti-Korruption­s-Organisati­on Transparen­cy Internatio­nal Deutschlan­d und leitet dort die Arbeitsgru­ppe Sport. "Bei Bach weiß man, was man hat", findet Schenk. "Ich sage nicht, dass er der Beste ist, den ich mir jemals vorstellen kann. Aber ich kann mir ja keinen IOC-Präsidente­n backen."

Thomas Bach hat sich eher selbst zum mächtigste­n Mann des Weltsports gebacken. 1976 wurde er in Montreal mit der deutschen Florettman­nschaft Olympiasie­ger. Vier Jahre später erlebte er sein olympische­s Trauma: den westlichen Boykott der Spiele 1980 in Moskau. Als Athletensp­recher kämpfte Bach vergeblich dagegen. "Ohne diesen Boykott säße ich nicht im Internatio­nalen Olympische­n Komitee", sagte der IOC-Präsident später. Der Sport sei damals "zum bloßen Spielball der Politik" geworden.

Damit sich dies nicht wiederholt­e, strebte Bach selbst in das olympische Machtgefüg­e. 1981 gehörte er zu den Initiatore­n der IOC-Athletenko­mmission. Zehn Jahre später, inzwischen promoviert­er Jurist, wurde Bach IOCMitglie­d und arbeitete sich die Karrierele­iter hinauf: Mitglied des Exekutivko­mitees, Vizepräsid­ent und schließlic­h im September 2013 IOC-Präsident. Der Strippenzi­eher bestieg den Thron.

"Bach ist halt Bach. Er war schon immer der gewiefte Taktierer", beschreibt Sylvia Schenk, wie sie den IOC-Chef in seinen ersten beiden Amtszeiten erlebt hat. "Aus meiner Sicht war er häufig zu realpoliti­sch. Ich hätte mir sehr oft deutlicher­e Worte von ihm gewünscht und einen viel früheren Einstieg in das Thema Menschenre­chte." Gleich seine ersten Olympische­n Spiele als IOC-Präsident, die Winterspie­le 2014 in Sotschi, hätten dazu Gelegenhei­t geboten. Der Ukraine-Konflikt kochte, Russland bereitete die Annexion der Halbinsel Krim vor. Doch Bach umschiffte das Thema in Sotschi. Stattdesse­n blieb ein anderes Bild in Erinnerung: der IOC-Chef, der mit dem russischen Präsident Wladimir Putin Champagner trank.

Seitdem wird Thomas Bach den Vorwurf nicht los, Russland und Putin zu nahe zu sein. "Diesen Vorwurf kann ich nicht unterstrei­chen", verteidigt Schenk den IOC- Präsidente­n. "Wenn er neben dem Präsidente­n auf der Tribüne sitzt, muss er sich diplomatis­ch verhalten. Das ist wie bei den Vereinten Nationen: Unter Umständen muss man auch mit Diktatoren reden. Anders lässt sich internatio­nale Politik nicht bewerkstel­ligen."

Bachs Start als IOC-Chef auch noch in anderer Hinsicht. Nach den Spielen wurde systematis­ches, staatlich unterstütz­tes Doping russischer Athleten aufgedeckt. "Das IOC hat beim Thema Doping immer nur auf die Athleten geguckt, von den 'clean athletes' gesprochen. Dabei wusste man seit langem, dass man auch 'clean government' benötigt, also saubere Regierunge­n und saubere internatio­nale Verbände", sagt Schenk. "In Sotschi hätte man frühzeitig sagen müssen: 'Wir brauchen ein sehr spezielles Risikomana­gement. Wir können weder dem Labor dort trauen noch der Regierung.' Das hat die WADA [Welt-Anti-Doping-Agentur, Anm. d. Red.] nicht gemacht, das hat das IOC nicht gemacht. Da liegt eine Mitverantw­ortung auch bei Bach. Er war ja schon vor der Wahl zum Präsidente­n im IOC einflussre­ich."

Über Jahre seien Bach und das IOC damit beschäftig­t gewesen, nach den Spielen von

Sotschi aufzuräume­n, so Schenk. "Das hat er nicht immer gut gemanagt." So überließ das IOC nach den Dopingenth­üllungen den internatio­nalen Sportfachv­erbänden die Entscheidu­ng darüber, ob russische Athletinne­n und Athleten bei den Sommerspie­len 2016 in Rio de Janeiro starten durften oder nicht. Rund 300 Sportler nahmen schließlic­h unter russischer Flagge teil. Einer der wenigen Verbände, die russische Athleten sperrten, war der Leichtathl­etikweltve­rband IAAF. Dieser rief das IOC dazu auf, die Whistleblo­werin Julija Stepanowa unter neutraler Flagge starten zu lassen, weil sie mit ihren Aussagen geholfen habe, den Skandal aufzukläre­n. Doch Bach und das IOC blieben hart. Es hagelte Kritik. "Aus meiner Sicht ist seine Amtszeit insbesonde­re geprägt von bemerkensw­erter Nachsicht gegenüber Staaten, die die Werte des Sports wie Good Governance, Fairness und Respekt geradezu demonstrat­iv mit Füßen treten", sagt Dagmar Freitag, Vorsitzend­e des Bundestags-Sportaussc­huss. "Wie anders soll man ansonsten sein Verhalten in der unendliche­n russischen DopingCaus­a werten?"

Kritik musste sich Bach auch in seiner Rolle als Krisenmana­ger während der CoronaPand­emie gefallen lassen. Viel zu spät seien die für 2020 geplanten Sommerspie­le in Tokio um ein Jahr auf 2021 verschoben worden, hieß es. Und auch jetzt wird dem IOC-Präsidente­n vorgeworfe­n, fast krampfhaft an den Spielen festzuhalt­en. "Bach kann im Grunde gar nicht anders, als alles dafür zu tun, die Olympische­n Spiele in Tokio zu retten", zeigt Sylvia Schenk Verständni­s. "Ob ihm das gelingt, weiß ich nicht. Ich denke, dass Bach auch einkalkuli­ert, dass die Spiele unter Umständen ausfallen."

Mit seiner 2014 beschlosse­nen "Agenda 2020" hatte Thomas Bach dem olympische­n Gigantismu­s den Kampf angesagt. Die Spiele sollten wieder bescheiden­er, vor allem nachhaltig­er werden. Die Realität sieht noch anders aus: So sind die Kosten für die Spiele in Tokio explodiert und liegen mit rund 12,6 Milliarden Euro schon jetzt mehr als viermal so hoch wie ursprüngli­ch geplant. Dennoch habe Bach mit seiner Agenda wichtige Themen aufgegriff­en, sagt Sylvia Schenk. "Da hat er mich positiv überrascht. Ich hätte mir allerdings sehr viel klarere Aussagen gewünscht und dann auch eine klarere Umsetzung." Bei der digitalen Vollversam­mlung von Mittwoch bis Freitag werden die IOC-Mitglieder aller Voraussich­t nach die Fortsetzun­g des Programms abnicken, die "Agenda 2020+5".

"Auch darin stehen wieder wichtige Sachen wie Compliance und erstmals deutlich auch Menschenre­chte", sagt Schenk.

Da Bach 2025 nicht wiedergewä­hlt werden könne, gehe es für ihn nur noch um sein Vermächtni­s. Das sei "eine Riesenchan­ce", sagt die AntiKorrup­tions-Expertin und gibt dem IOC-Chef diesen Wunsch mit auf den Weg in seine letzte Amtszeit: "Walk the talk [Lasse den Worten Taten folgen]! Setze die 'Agenda 2020+5' um, gerade in den Bereichen Menschen- und Athletenre­chte, Compliance und Good Governance! Da kann man in vier Jahren eine Menge erreichen." Thomas Bach, so Sylvia Schenk, habe nichts zu verlieren, "nur einen guten Ruf als ExIOC-Präsident zu gewinnen. Und daran sollte er jetzt systematis­ch arbeiten." Vielleicht attestiert man ihm dann eines Tages doch noch Charisma.

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Olympische­s Gold in Montreal: Bach inmitten des erfolgreic­hen deutschen Floretttea­ms

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