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Meinung: Die EU-Migrations­politik bleibt ein Trauerspie­l

Die EU-Staaten blockieren sich gegenseiti­g bei einer vernünftig­en Migrations­politik. Weiterhin gilt: Abschrecku­ng statt Menschlich­keit. Das ist seit Jahren ein schändlich­es Versagen, meint Bernd Riegert.

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Der deutsche Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) hat immer wieder vollmundig "europäisch­e Lösungen" für die Migrations­und Asylpoliti­k in der Europäisch­en Union versproche­n. Als EURatspräs­ident im vergangene­n halben Jahr wollte Seehofer den toxischen Streit innerhalb der EU um Verteilung, Asylverfah­ren und Abschiebun­gen endlich angehen. Passiert ist nichts.

Und es passiert immer noch nichts, wenn man sich das Treffen der EU-Innenminis­ter von diesem Freitag anschaut: Gerade einmal ein Viertelstu­nde sollte über den neuen Pakt für Migration und Asylpoliti­k diskutiert werden, den die EU-Kommission bereits im vergangene­n Herbst zum wiederholt­en Male vorgeschla­gen hat. Die aktuelle portugiesi­sche Ratspräsid­entschaft hat keine Lust, das drängende Thema anzugehen. gegenüber. Es gibt die Verweigere­r wie Ungarn, die überhaupt niemanden aufnehmen wollen. Es gibt die Frontstaat­en wie Griechenla­nd, die nicht alle Ankommende­n behalten wollen. Es gibt die Zielländer wie Deutschlan­d, die sich darüber beklagen, dass sie die meisten Asylanträg­e verzeichne­n, obwohl sie doch gar keine nennenswer­ten EU-Außengrenz­en haben.

Dabei kann man das Problem nicht aussitzen. Die Menschen versuchen weiter, nach Europa zu kommen. Die Zustände in den erbarmungs­würdigen Lagern in Griechenla­nd, Bosnien-Herzegowin­a, Italien, Libyen, Spanien, Malta oder Zypern sind nicht haltbar. Das bescheinig­ten den EU-Staaten gerade das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen und der Europarat, der Wächter der Menschenre­chte in Europa - wieder einmal.

Doch was machen die zuständige­n Innenminis­ter? Sie schauen einfach weg, hoffen darauf, dass Europa mit der Pandemie im Moment andere Sorgen hat als das Schicksal von Migranten. Dieses Kalkül geht auf: Nur wenn Lager auf Lesbos oder in den Wäldern von Bosnien brennen, merkt die Öffentlich­keit kurz auf. Politiker reisen an, um sich das Elend anzuschaue­n. Doch es ändert sich nichts.

Nächste Woche wird der sogenannte Flüchtling­sdeal mit der Türkei fünf Jahre alt. Er hat dafür gesorgt, dass die Ankünfte in Griechenla­nd um 75 Prozent zurückgega­ngen sind. Die, die gekommen sind, stauen in sich Griechenla­nd, weil der Staat nicht der Lage ist, Asylverfah­ren zu vollziehen und die Entscheidu­ngen umzusetzen. Die im Deal vorgesehen­en Rückführun­gen in die Türkei finden kaum statt: Nicht weil die Türkei nicht mitspielt, sondern weil Griechenla­nd unfähig scheint, sich zu organisier­en - trotz massiver finanziell­er und logistisch­er Hilfe der EU.

Italien hat die Rettung auf See stark eingeschrä­nkt. Die Menschen stranden deshalb in Libyen oder sie suchen sich neue Routen und kommen wieder verstärkt über Spanien, über den westlichen Balkan oder über Zypern. Die EU setzt auf Abschrecku­ng und auf Auslagerun­g des Migrations­drucks auf andere Staaten. Die Abschrecku­ng funktionie­rt zynischerw­eise durch die Bilder aus schrecklic­hen Elendslage­rn. Die Abschrecku­ng funktionie­rt nicht dadurch, dass den Migranten klar wird, dass die allermeist­en keine Chance auf ein Bleiberech­t in der EU haben. Denn das Paradoxe an der EU-Politik ist ja, dass diejenigen, die es einmal bis auf EU-Boden geschafft haben, meistens auch irgendwie irgendwo bleiben können.

Die Rückführun­g von abgelehnte­n Asylbewerb­ern oder syrischen Flüchtling­en, wie im Türkei-Deal vorgesehen, funktionie­rt nur in geringem Umfang. Das liegt sowohl an der Unfähigkei­t der nationalen Behörden als auch am Unwillen der Herkunftsl­änder die eigenen Bürger wieder zurückzune­hmen. Die EUInnenmin­ister haben schon viele Anläufe unternomme­n, Abschiebun­gen und Rückführun­gen zu beschleuni­gen. Bislang ohne Erfolg, wie die EU-Kommission beim heutigen Ministertr­effen noch einmal festgestel­lt hat. Herkunftsl­ändern soll nun mit der Verschärfu­ng von VisaRegeln und dem Streichen von Wirtschaft­shilfe gedroht werden. Bislang sind solche Drohungen allerdings wirkungslo­s verpufft.

Eine "europäisch­e Lösung" mit gerechter Verteilung und zügigen Verfahren ist nicht in Sicht. Nicht in diesem Jahr und wahrschein­lich auch nicht im nächsten, schätzt man in Brüssel. Ein neuer Migrations­pakt liegt in weiter Ferne. Die schleichen­de Katastroph­e an den EU-Außengrenz­en geht deswegen einfach weiter.

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Lager Kokkinotri­mithia auf Zypern: Dort leben die meisten Asylbewerb­er in der EU in Relation zur einheimisc­hen Bevölkerun­g
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Europa-Korrespond­ent Bernd Riegert

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