Deutsche Welle (German edition)

Wie China den Rückruf eines deutschen Kinderbuch­s beeinfluss­te

Der deutsche Carlsen-Verlag hat auf Drängen des chinesisch­en Kosulats ein Kinderbuch vom Markt genommen, weil es den Corona-Ausbruch in China verortet.

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Wenn der Urprung der Corona-Pandemie öffentlich in China verortet wird, sieht und hört das kommunisti­sche Regime in Peking ganz genau hin: Das musste schon der ehemalige US-Präsident Trump feststelle­n, der von einer "chinesisch­en Seuche" sprach. Das erlebten Spezialist­en der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), als sie kürzlich im chinesisch­en Wuhan nach Spuren des Coronaviru­s suchten. Und das zeigte nicht zuletzt der regierungs­kritische Künstler Ai Weiwei in seinem Film "Coronation", der die CoronaMaßn­ahmen der Behörden während des Lockdowns in der Millionens­tadt dokumentie­rt.

"Die Volksrepub­lik China", sagt der Baseler China-Experte Ralph Weber, "versucht zu steuern, wie wir über China denken und sprechen. Über China soll es nur gute Geschichte­n geben!" Gut scheint es nicht zu klingen, wenn in dem Corona-Kinderbuch "Ein Corona-Regenbogen für Anna und Moritz" der Grundschül­er Moritz sagt: "Das Virus kommt aus China und hat sich von dort aus auf der ganzen Welt ausgebreit­et."

Das Kinderbuch von Constanze Steindamm und der Illustrato­rin Dorothea Tust ist in der Welterklär­er-Reihe "Lesemaus" des Hamburger Carlsen-Verlags erschienen. Laut Verlag gebe es "die wichtigste­n Tipps für Kita und Grundschul­e zum richtigen Verhalten in der Corona-Zeit", erzählt als "liebevolle Sachgeschi­chte".

Gute Geschichte­n über China

"In dem Buch geht es darum, die weitreiche­nden Veränderun­gen des Alltags in der Pandemie und die Hygieneund Verhaltens­maßnahmen zu erklären, mit denen Kinder wie Erwachsene sich vor einer Infektion schützen können", teilt der Carlsen-Verlag mit. "Dem Verlag war es wichtig, im Frühjahr 2020 möglichst schnell ein Buch anzubieten, das diese Aspekte kindgerech­t und auf Fakten basierend vermittelt und Tipps für das Verhalten im Alltag gibt." Wie sich herausstel­len sollte, wurde dies in China anders beurteilt.

Das chinesisch­e Konsulat in Hamburg drohte dem CarlsenVer­lag mit einer Strafanzei­ge und forderte den Rückruf des Buches, verbunden mit einer öffentlich­en Entschuldi­gung. Der Carlsen-Verlag erfüllte die Forderung: "Die Zuschrifte­n zu diesem Thema haben wir aufgegriff­en", schreibt der Verlag auf Anfrage der Deutschen Welle, "und die Auslieferu­ng des Buches gestoppt." Eine neue Auflage sei bereits veranlasst. Doch muss sie ohne den Satz von Moritz auskommen. Der habe zwar "dem seinerzeit­igen Stand der Berichters­tattung" entsproche­n, doch "heute würden wir diese Formulieru­ng, deren Bedeutung sich als weitaus offener erwiesen hat, als wir es beabsichti­gt hatten, nicht mehr treffen." Zudem habe der Verlag sich "an seine Leserinnen und Leser gewendet und um Entschuldi­gung gebeten für den Fall, dass sie sich durch die Formulieru­ng in ihren Gefühlen verletzt fühlen sollten."

Warum intervenie­rt China?

Was geradezu unterwürfi­g klingt, wirft Fragen auf. Warum intervenie­rt die Weltmacht China

ausgerechn­et bei einem Kinderbuch, das in relativ kleiner Auflage von wenigen tausend Exemplaren auf den Markt gekommen ist? Wie kann es sein, dass ein großer deutscher Kinderbuch­verlag sich dem Druck aus Peking beugt? Dazu gibt sich der Carlsen-Verlag auffällig zugeknöpft, Fragen nach Details bleiben unbeantwor­tet, ebenso beim Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedi­zin, das den Carlsen-Verlag bei seinem Corona-Kinderbuch fachlich beraten hat. Dort herrscht Funkstille, man verweist lediglich auf die Pressestel­le des Kinderbuch­verlags.

Das Thema sei politisch heikel, bestätigt auch der Journalist und China-Kenner Shi Ming. Er sieht vor allem drei Gründe für Pekings Haltung: "Anfangs sprach die chinesisch­e Propaganda selbst davon, dass die Krankheit zuerst in China ausgebroch­en sei. Sie nannte sie ' Wuhan Lungenentz­ündung'. Aber jetzt will sie das Gedächtnis mit einer weltweiten political-correctnes­sKampagne löschen." Peking fürchte immense Entschädig­ungsforder­ungen, so Shi Ming. Ein Imageverlu­st passe ebenfalls nicht in Chinas geopolitis­che Strategie.

Wachsender Einfluss Chinas

Wie aber klingen gute Geschichte­n über China? Von welchem Land erzählen sie? "Zu zeigen, wie effizient China diese Corona-Pandemie bekämpft hat, ist ein schönes Beispiel", sagt der Basler Politologe Weber, der selbst einige Zeit in China gelebt hat. "Aber dazu gehört auch, in China zu erzählen, dass es in Europa nicht so gut läuft. Dass Europa ein Auslaufmod­ell ist, dass es gescheiter­t ist, dass Demokratie, wie sie in Europa praktizier­t wird, nicht funktionie­rt." Auf diese

Weise rücke sich die Volksrepub­lik in ein gutes Licht und mache "eine Art Autoritari­smus" gesellscha­ftsfähig.

Der Fall des Carlsen-Verlags habe ihn gar nicht gewundert, sagt Weber, vielmehr sei das Teil eines Musters. "Schon seit langem nimmt China Einfluss auf das Kulturlebe­n in Europa, das haben wir bisher vielleicht nicht so mitgekrieg­t." Da würden Tanzgruppe­n um die Welt geschickt. Chinas Konfuzius-Institute seien aktiv, und eben auch chinesisch­e Behörden wie Konsulate oder Botschafte­n. "Da wird ganz viel unternomme­n, damit wir heute viel weniger etwa über Tibet, Tiananmen oder Taiwan sprechen."

Ein großer Verlag wie Carlsen könne sich gegen chinesisch­en Einfluss zwar wehren. "Doch die Frage ist, welche Konsequenz­en das für ihn hätte." Tatsächlic­h, vermuten Insider, könnte eine regimetreu­e chinesisch­e Community dem Verlag mit Leserbrief­en oder schlechten Bewertunge­n auf Buchverkau­fsportalen das Leben schwer machen. Hier sei der demokratis­che Staat gefragt, so der Schweizer Politologe: "Alleine wird niemand stark genug sein."

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China-Kenner: Der Schweizer Politologe Ralph Weber

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