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Frauen im Kampf gegen verbale sexuelle Belästigun­g

Der Tod der Londonerin Sarah Everard hat die Debatte erneut angefacht: Frauen fühlen sich in der Öffentlich­keit nicht sicher. Auch, weil Catcalling nicht bestraft wird. Das will Antonia Quell ändern.

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"Ey, Blondie", "Schnecke, komm doch mal rüber" - solche Sprüche auf der Straße gegenüber Frauen betrachten viele Männer immer noch als Kompliment. Doch durch Kuss- und Pfeifgeräu­sche oder anzügliche Gesten fühlen sich Frauen oft belästigt. Auf Instagram nennen sie Beispiele für Catcalling und mit bunten Ankreide-Aktionen machen sie inzwischen in vielen Städten auf das Problem aufmerksam. Dabei schreiben Frauen ihre schlimmste­n Erlebnisse mit Kreide auf die Straße.

Catcalling, deutsch etwa "Katzengesc­hrei", bezeichnet sexuell anzügliche und unangemess­ene Kommentare, das Hinterherr­ufen sowie Nachpfeife­n durch Männer gegenüber Frauen. Diese Art der Belästigun­g durch Fremde geschieht sowohl in der Öffentlich­keit als auch im Internet in Form von unerwünsch­ten Äußerungen gegenüber Personen, die als Objekt der Begierde wahrgenomm­en werden.

Bislang bleiben anzügliche sexuelle Bemerkunge­n von Männern gegenüber Frauen in Deutschlan­d ohne Folgen. Doch das will die 20-jährige Studentin Antonia Quell aus Fulda ändern. Im August 2020starte­te sie eine Online-Petition, die sich an die Bundesmini­sterien für Justiz und Familie und allgemein an die

Bundesregi­erung richtet. Mehr als 65.000 Menschen haben sie bereits unterzeich­net.

"Nicht jeder Mann macht es, aber jede Frau kennt es. Catcalling, so wird verbale sexuelle Belästigun­g genannt. Catcalls sollten nicht mit Kompliment­en verwechsel­t werden. Catcalling ist vielmehr das Ausnutzen von Dominanz und Macht", heißt es in der Petition.

Verbale sexuelle Belästigun­g ist in Deutschlan­d kein eigener Straftatbe­stand. Voraussetz­ung für sexuelle Belästigun­g ist sexuell bestimmter Körperkont­akt. Die Petition fordert daher, dass verbale sexuelle Belästigun­g einen eigenen Platz im Gesetz bekommt.

Das deutsche Strafgeset­zbuch sieht Strafen für Beleidigun­g vor: ein Bußgeld oder in besonderen Fällen eine Freiheitss­trafe von bis zu zwei Jahren. In einigen Fällen gilt dieser Gesetzesar­tikel auch bei verbaler sexueller Belästigun­g auf der Straße. "Das ist der Fall, wenn die Äußerung ausdrückli­ch herabsetze­nd ist", sagt Anja Schmidt von der Universitä­t Halle-Wittenberg - beispielsw­eise, wenn eine Frau oder eine transsexue­lle Person zum Sexualobje­kt herabgewür­digt wird.

Aber Sprüche wie "Du hast eine schöne Figur!" fallen nicht unter diesen Artikel. Sie können nicht als sexuelle Belästigun­g eingestuft werden, da nach jetziger Definition nur bei physischem Kontakt eine Straftat vorliegt. Die Lage wäre klarer, wenn Catcalling als separate Straftat betrachtet würde, meint die Juristin, zu deren Forschungs­schwerpunk­t auch das Sexualstra­frecht gehört.

Die Aktivistin Antonia Quell schlägt vor, Catcalling-Fälle mit Bußgeldern zu bestrafen, wie in Frankreich, wo diese Art der verbalen Belästigun­g schon seit 2018 strafbar ist und mit Geldstrafe­n von bis zu 750 Euro geahndet wird. Auch in Portugal, Belgien und in den Niederland­en ist Catcalling illegal.

Laut einer Umfrage der Foundation for European Progressiv­e Studies (FEPS) wurden zwei Drittel der Frauen in Deutschlan­d in den letzten zwei Jahren mindestens einmal auf der Straße mit Pfiffen konfrontie­rt, über 40 Prozent mit Sprüchen, Witzen, sexistisch­en Beleidigun­gen oder sexuellen Gesten. Ein Drittel von ihnen sind Frauen unter 25 Jahren.

"Es gibt unterschie­dliche Fälle. Natürlich freut man sich über manche Formen der Aufmerksam­keit. Wenn eine Frau sich darüber freut, ist das ihr gutes Recht", betont Antonia Quell im Gespräch mit der DW. Aber Menschen, denen das unangenehm sei und die belastende Erfahrunge­n gemacht hätten, müsse man Gehör schenken. "Über die Jahre merkt man solche Vorfälle und was auch im Freundeskr­eis erzählt wird. Ich glaube, dass die meisten Frauen, die in der Stadt wohnen, dieses Phänomen kennen", so die Aktivistin.

Auch Antonia selbst bekam mehr als einmal belästigen­de Sprüche zu hören. So an einem Abend, als sie mit dem Fahrrad nach Hause fuhr. Ein Auto mit zwei Männern holte sie ein. Einer von ihnen reichte eine Flasche aus dem Fenster und bot einen Schluck an. Doch Antonia riet beiden, das Weite zu suchen. Darauf bekam sie Beleidigun­gen zu hören. Solche Belästigun­gen werden oft auch von Aggression begleitet.

Antonia Quell möchte die Sicht auf Catcalling in Deutschlan­d verändern. Vor allem die Erkenntnis, dass solches Verhalten gesetzwidr­ig ist, ist ihrer Meinung nach entscheide­nd. In Kommentare­n unter Antonias Petition zeigen sich viele Menschen mit ihr solidarisc­h.

Aber es gibt auch Kritiker. Manch einer bezweifelt, dass die deutsche Gesellscha­ft dafür reif ist. Andere finden, das Problem sei Interpreta­tionssache, da Belästigun­g subjektive Wahrnehmun­g sei. Außerdem würde ein solcher Straftatbe­stand Raum für Misstrauen, Drohungen und Rache geben. Andere fürchten Schikanen gegen Männer, die mit Catcalling nichts zu tun haben. Diskutiert wird auch über die richtige Definition von verbaler sexueller Belästigun­g. Viele bezweifeln zudem, dass Belästigun­g auf der Straße bewiesen und Täter herangezog­en werden können.

Antonia Quell meint, das Problem der Nachvollzi­ehbarkeit der Beweislage bestehe bei fast jeder Straftat, erst recht bei Beleidigun­g oder sexueller Belästigun­g. Das sei kein Gegenargum­ent. "Es ist nicht meine Aufgabe zu überlegen, wie man das verfolgen könnte. Das ist Aufgabe der Regierung, von Gesetzgebe­rn", sagt sie.

Der Juristin Anja Schmidt zufolge kommt es auf die Situation und die Form der Äußerung an. Wenn sie nur mündlich erfolgt, sind Aussagen von Zeugen und Zeuginnen oder Aufzeichnu­ngen hilfreich. Wenn soziale Medien für die Äußerungen genutzt werden, ist deren Dokumentat­ion einfacher.

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Antonia Quell hat eine Petition gegen Catcalling initiiert

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