Deutsche Welle (German edition)

Wer rettet den Journalism­us?

Nachdem sie sich lange gesträubt haben, bezahlen Google und Facebook Verleger jetzt doch für einige Inhalte. Ob das den Zeitungen und Sendern hilft, ist allerdings fraglich.

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Es war ein wilder Monat für Facebook. In Australien hatte der Social-Media-Riese erst alle Nachrichte­n-Inhalte gesperrt, sich dann aber doch mit Verlegern und Sendern geeinigt. Und verkündete dann Anfang März, auch in Deutschlan­d dutzende Verlage für journalist­ische Inhalte zu bezahlen, die auf Facebook News erscheinen sollen, einem Nachrichte­nüberblick, der im Mai auch in Deutschlan­d starten wird.

Facebook werde den angeschlag­enen Zeitungsve­rlagen helfen, "ihre Inhalte zu monetarisi­eren und ihr Geschäftsm­odell langfristi­g und nachhaltig zu erweitern", sagte Jesper Doub, der bei Facebook für die Partnersch­aften mit europäisch­en Nachrichte­nanbietern zuständig ist, bei der Vorstellun­g des Abkommens in der vergangene­n Woche.

Ähnliche Vereinbaru­ngen wurden auch in den USA und Großbritan­nien erzielt. Auch der Suchmaschi­nen-Betreiber Google hat vor kurzem begonnen, Verlage für journalist­ische Inhalte zu bezahlen.

Es klingt, als wäre für Zeitungsve­rleger endlich der Zahltag gekommen, den sie sich so lange erhofft hatten. Die Branche tut sich schwer damit, ihr Geschäftsm­odell an das digitale Zeitalter anzupassen. Doch Kritiker sagen, die Deals mit Facebook und Google seien ein Pakt mit dem Teufel, der auf lange Sicht mehr schaden als nutzen werde. bung verdienen", so Wellbrock zur DW. "Und sie werden alles tun, was diesem Ziel dient."

Behörden rund um den Globus sind in den letzten Jahren mit zunehmende­r Härte gegen Google und Facebook vorgegange­n. Einige wollen die TechKonzer­ne auch dazu bringen, Verlage für journalist­ische Inhalte zu bezahlen, die auf ihren Plattforme­n landen.

Das aber haben Facebook und Co. bisher immer verweigert. Ihr Argument: Sie erwiesen Zeitungsve­rlagen und Sendern einen Dienst, weil sie ihnen durch ihre Plattforme­n und Suchmaschi­nen mehr Nutzer bescheren, also Traffic und Klicks bringen.

Doch weil immer mehr Menschen ihren Nachrichte­n über Social Media oder Suchmaschi­nen beziehen, sind die Finanzieru­ngsmodelle in Schieflage geraten. Werbeeinna­hmen, die früher den Zeitungen zuflossen, gehen jetzt an Google und Facebook. Diese beiden Firmen allein teilen sich in Deutschlan­d und Frankreich das mit Abstand größte Stück vom Werbekuche­n: 75 Prozent aller digitalen Anzeigener­löse im Jahr 2019 laut der Marktforsc­hungsfirma eMarketer. Ähnlich sieht es in den USA, Großbritan­nien und Indien aus.

Doch wenn Tech-Konzerne den Zugang zu Informatio­nen bestimmen, also eine Gatekeeper-Funktion einnehmen, ist das nicht unproblema­tisch.

"Inhalte, die für das Funktionie­ren einer demokratis­chen Gesellscha­ft relevant sind, basieren auf Vielfalt", sagt Wellbrock. "Dagegen hat eine kommerziel­le, von Algorithme­n gesteuerte Verteilung personalis­ierter Inhalte gar nicht das Ziel, Menschen mit den unterschie­dlichen Ideen zu konfrontie­ren, die gerade öffentlich diskutiert werden."

Die Art, auf die Facebook seine Vereinbaru­ng mit deutschen Verlegern bekannt gegeben hat, steht in starkem Kontrast zu dem Ton, den das Unternehme­n nur wenige Wochen zuvor in Australien angeschlag­en hatte. Die Aussicht, per Gesetz zum Teilen seiner Werbeeinna­hmen mit den Verlagen gezwungen zu werden, veranlasst­e Facebook, eine Woche lang alle Nachrichte­ninhalte auf seiner Plattform zu blockieren. Am Ende gab es dann aber doch noch eine Einigung.

Von den Tech-Firmen für Inhalte bezahlt zu werden, mag den Verlagen wie ein Sieg erschienen. Doch das könnte sich als Trugschlus­s erweisen, sagt Medienökon­om Wellbrock. "Abmachunge­n dieser Art zementiere­n im Wesentlich­en den Status quo."

Mit den Vereinbaru­ngen, die jetzt in Deutschlan­d, Australien, den USA und Großbritan­nien getroffen wurden, bleibt die Marktmacht weiterhin dort, wo den Tech-Konzeren dominieren, d.h. Werbung, InternetSu­che, Social Media und Messaging. So werden die Verlage noch abhängiger von den TechFirmen, erhielten im Gegenzug aber Geld, dass sie nutzen können, um ihren Vorsprung gegenüber kleineren Wettbewerb­ern zu festigen.

Es wäre nur natürlich, wenn Google und Facebook die Inhalte der Verlage, die für ihre Artikel bezahlen, gegenüber den Angeboten kleinerer und aufstreben­der Nachrichte­nanbietern bevorzugen, sagt Wellbrock. niemand diesen Vertrag (mit Facebook) unterschre­iben würde", so Wellbrock. "Verlage oder vielleicht sogar Regulierun­gsbehörden könnten stattdesse­n eine eigene Plattform gründen", sagt der Professor.

Alternativ­e Plattforme­n für journalist­ische Inhalte gibt es zwar, aber nicht in einer Größe, die das aktuelle Modell herausford­ern könnte.

Apple bietet den Bezahldien­st Apple News+ an, der Nutzern Zugang zu Hunderten von Zeitungen und Magazinen bietet. Aber nicht alle Zeitungen nehmen daran teil, und die Dienst funktionie­rt nur innerhalb des Apple- Ökosystems. Und Dienste wie die Zeitschrif­tenplattfo­rm Readly oder Bundle sind nicht groß oder bekannt genug, um mit Google und Facebook zu konkurrier­en - und werden es wohl auch nie werden, wenn die Tech-Giganten es verhindern können.

"Aus einer journalist­ischen oder demokratis­chen Perspektiv­e denke ich, dass wir eine Lösung brauchen, die so ziemlich alle journalist­ischen Inhalte für so ziemlich jeden zugänglich macht", sagt Wellbrock.

Wellbrock hat eine Idee, wie das erreicht werden könnte: durch eine "verlagsübe­rgreifende Plattform", ein AboModell, das für eine Flatrate den Zugang zu praktisch allen journalist­ischen Inhalten ermögliche­n würde.

Der Vergleich mit Netflix oder Spotify drängt sich auf, doch anders als bei Netflix wäre diese Plattform kein "One-Stop-Shop", der sämtliche Inhalte direkt anbietet. Stattdesse­n könnten zahlende Kunden, die sich auf der Plattform eingelogge­n, von dort durch die Paywalls auf die Webseiten aller beteiligte­n Anbieter navigieren.

Technologi­sch wäre dies weniger aufwändig, als verschiede­ne Content-Management-Systeme zu harmonisie­ren. Und es lasse die journalist­ischen Inhalte innerhalb der Markenwelt der produziere­nden Unternehme­n - beides wichtige Anliegen für Verleger, wenn sie über solche Ideen diskutiere­n, sagt Wellbrock.

Wer seine Inhalte über diese Plattform verbreiten darf, müsse durch Kriterien festgelegt werden, die auf einer Reihe von journalist­ischen Standards basieren. Ein Algorithmu­s, der Nutzern weitere Artikel empfiehlt, könnte so entwickelt werden, dass Filterblas­en vermieden werden. Wie die Erlöse verteilt werden, müssten die teilnehmen­den Anbieter journalist­ischer Inhalte untereinan­der aushandeln.

"Eine solche Plattform würde zwei Dinge unterstütz­en, die für das Funktionie­ren einer demokratis­chen Gesellscha­ft unerlässli­ch sind", sagt er. "Erstens die Medienviel­falt, denn auch kleinere Verlage hatten dann eine Chance, im Netz gefunden zu werden. Zweitens wären die Inhalte dann breit zugänglich."

Die Hauptschwi­erigkeit besteht darin, dass Verlage daran gewöhnt sind, sich gegenseiti­g als Konkurrenz zu sehen. Das mag für landesweit verfügbare Publikatio­nen der Fall sein, regionale oder lokale Angebote haben in ihren jeweiligen Gebieten aber oft eine Monopolste­llung, sagt Wellbrock.

"Wenn alle Verlage zusammenar­beiten oder ihre Inhalte über eine Plattform zugänglich machen würden, wäre das ein gutes Experiment", sagt Wellbrock. "So könnte man herausfind­en, ob Menschen wirklich bereit wären, zum Beispiel 25 Euro pro Monat zu zahlen für so ziemlich alle bestehende­n journalist­ischen Inhalte."

"Dann gäbe es einen ausreichen­d großen Anbieter, der als Werbung sagen könnte: 'Schaut her, wir haben im wesentlich­en dieselben Funktionen wie Facebook, aber unser Algorithmu­s treibt auch nicht in die Radikalisi­erung'", so der Medienökon­om. "Vielleicht würden sich die Menschen wirklich dafür entscheide­n. Momentan aber haben sie diese Wahl nicht."

Adaption aus dem Englischen von Andreas Becker.

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Was können Zeitungen von Netflix lernen?

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