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EU-Türkei-Abkommen: Der Deal zur Abschrecku­ng

Fünf Jahre ist es her, dass die EU mit der Türkei einen Deal über die Rücknahme von Flüchtling­en geschlosse­n hat. Doch das Abkommen sei ein "Flecken auf der Menschenre­chtsbilanz der EU", sagt Imogen Sudbury vom IRC.

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Es war im März 2016. Eines jener endlosen Gipfeltref­fen, an dessen Ende müde Regierungs­chefs einen mühsam erkämpften Kompromiss verkünden: Der EUFlüchtli­ngsdeal wurde als Erfolg europäisch­er Politik gefeiert. Ziel war es, die Anzahl der Geflohenen über die östliche Mittelmeer­route zu reduzieren, die über Griechenla­nd in die Europäisch­e Union kamen. Der politische Druck war nach dem Höhepunkt der Fluchtdeba­tte 2015 so groß geworden, dass eine Lösung um jeden Preis gesucht wurde. Bis 2015 waren nach Angaben der Europäisch­en Kommission über 850.000 Menschen in Griechenla­nd angekommen.

Angela Merkel, die als politische Triebkraft hinter dem Abkommen galt, verteidigt­e den Deal im Bundestag: "Bei maritimen, bei Seegrenzen, geht es nicht anders, als dass man mit den Nachbarn spricht, wenn man die Menschen nicht ertrinken lassen und den Schleppern nicht die Hoheit über die Geschäfte lassen will", sagte sie. "Und deshalb ist das Abkommen mit der Türkei ein Modell für weitere solche Abkommen, mit Ägypten, mit Libyen - wenn es eines Tages mal eine vernünftig­e Regierung haben sollte, mit Tunesien und anderen Ländern, wo immer das notwendig ist."

Geber des Abkommens gilt. "Und das bedeutet, dass sich im letzten Jahr auch aufgrund der Unterstütz­ung der EU vor Ort kaum Syrer auf den Weg gemacht haben, weil ihre Kinder zu Hunderttau­senden in Schulen gehen, sie Zugang zum Gesundheit- und Sozialsyst­em haben."

Viele Flüchtling­e in der Türkei leben aber weiterhin in ärmlichen Verhältnis­sen und auch nicht alle haben Zugang zu Bildung. Die Gelder aus dem Flüchtling­spakt sind vorerst aufgebrauc­ht. Hilfsorgan­isationen in der Türkei warten dringend auf neue Finanzmitt­el.

Natürlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle, warum weniger Menschen in Griechenla­nd ankommen: Zum Beispiel nutzen Flüchtling­e und Migranten aus afrikanisc­hen Ländern längst die Route über Libyen in Richtung Italien. Spanien hat teilweise Sonderabko­mmen, etwa mit Marokko, damit Flüchtling­e nicht nach Spanien kommen oder sie zurückgebr­acht werden können. Seit der Schließung der BalkanRout­e und auch mit Inkrafttre­ten des EU-Türkei-Deals beklagen Organisati­onen Menschenre­chtsverlet­zungen an den EUAußengre­nzen.

Weniger als 3000 Flüchtling­e wurden bisher nach Schätzunge­n von Griechenla­nd in die Türkei zurückgebr­acht. Das Umsiedlung­sprogramm in andere europäisch­e Länder verlief bislang schon äußerst schleppend. Die Pandemie hat es vollends zum Erliegen gebracht.

Die EU hat bislang nicht die angestrebt­e Reform der gemeinsame­n Asylpoliti­k auf den Weg gebracht, um Migration und Flucht nach Europa dauerhaft und nachhaltig zu regeln. Alle Reformentw­ürfe scheitern vor allem an der Frage nach einer möglichen Umverteilu­ng ankommende­r Flüchtling­e zwischen den Staaten - besonders am Widerstand einiger Länder Osteuropas.

Die Architekte­n des Flüchtling­sdeals hatten nicht eingeplant, dass die griechisch­en Inseln zur Endstation für Tausende von Flüchtling­en werden würden. Die Justiz des Landes schafft es nicht, die Asylanträg­e zu bearbeiten. Die Erwartung sei nicht realistisc­h gewesen, sagt Gerald Knaus, dass "ein Land, in dem pro Kopf mehr Asylanträg­e gestellt werden als in der ganzen EU, schnell entscheide­n kann, wer zurück muss".

Die schockiere­nden Zustände auf den Inseln, wo zeitweise 40.000 Menschen in Lagern lebten, die für ein paar Tausend ausgelegt waren, wurden zum Symbol einer gescheiter­ten europäisch­en Flüchtling­spolitik.

Der Brand im Lager Moria im vergangene­n Winter lenkte den Blick der Weltöffent­lichkeit auf das humanitäre Versagen. Während die neue konservati­ve Regierung in Athen den politische­n Ton und ihre Maßnahmen gegenüber den Flüchtling­en verschärft­e, zahlte Brüssel zwar mehrere hundert Millionen Euro an Hilfen, überlässt die Bewältigun­g der Krise jedoch weiterhin weitgehend Griechenla­nd.

"Das EU-Türkei Abkommen ist ein Fleck auf der Menschenre­chtsbilanz der EU", sagt Imogen Sudbury vom Internatio­nal Rescue Committee (IRC), "und Menschen, die Schutz suchen, einschließ­lich der 15.000, die noch auf den griechisch­en Inseln gefangen sind, zahlen den Preis". Die Lager seien überfüllt und unzureiche­nd versorgt, kritisiert die Nichtregie­rungsorgan­isation. Die Bewohner litten unter Depression­en und Selbstmord­gedanken. "Es wurde glasklar, dass es keine humane, nachhaltig­e oder funktionie­rende Lösung für die EU ist, das Management von Migration an Drittlände­r auszulager­n."

Die Türkei fordert schon seit längerem eine Neuauflage des Abkommens und mehr Geld. Darüber hinaus kritisiert sie, dass die politische­n Verspreche­n mit Blick auf VisaErleic­hterungen und ein neues Zollabkomm­en nicht eingehalte­n wurden. Die Europäer begründen dies mit dem anti-demokratis­chen Kurs Ankaras und zunehmende­n Menschenre­chtsverlet­zungen im Land.

Schließlic­h, im Frühjahr 2020, setzte Präsident Erdogan den Erpressung­shebel an und ließ Tausende Menschen an die Landesgren­ze zu Griechenla­nd transporti­eren. Athen verriegelt­e die Übergänge und wehrte die Menschen mit drakonisch­er Härte ab. Die brutalen Bilder zeigten das Scheitern der EU,

für die Wahrung der Menschenre­chte zu sorgen.

Beim EU-Gipfel Ende März kommt das EU-Türkei-Abkommen auf den Tisch. Das finanziell­e Hilfsprogr­amm für die syrischen Flüchtling­e in der Türkei wurde inzwischen stillschwe­igend bis zum nächsten Jahr verlängert.

Schätzunge­n zufolge leben noch bis zu 100.000 Flüchtling­e in Griechenla­nd - viele von ihnen seit Jahren. Der Wille, sie demnächst im Rest Europas aufzunehme­n, ist nirgendwo erkennbar.

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Über 860.000 Menschen sind bis Ende 2015 in Griechenla­nd angekommen
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Bundeskanz­lerin Merkel und der türkische Präsident Erdogag gelten als Triebkräft­e hinter dem EU-TürkeiAbko­mmen

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