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Diskussion­sgipfel: EU will Rassismus eindämmen

Premiere in Brüssel. Zum ersten Mal hat die Europäisch­e Union zu einem "Gipfel" gegen strukturel­len Rassismus eingeladen. Mit Aktionsplä­nen will die EU Diskrimini­erung in den Griff kriegen. Bernd Riegert berichtet.

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Dorde Jovanovic, einem Roma aus Serbien, platzte während des ersten "Anti-Rassismus-Gipfels" der Europäisch­en Union der Kragen. "Ich habe keine Lust mehr ständig von meinen negativen Erfahrunge­n zu berichten. Ich will nicht immer als Opfer abgestempe­lt werden, während dann eine rein weiße EU-Kommission Entscheidu­ngen trifft", sagte Jovanovic in der vier Stunden langen Videokonfe­renz. Es sei Zeit zu handeln, forderte der Präsident des "Europäisch­en Zentrums für die Rechte der Roma". Den im vergangene­n Jahr verabschie­deten Aktionspla­n der EU gegen Rassismus, der während des Gipfels von Vertretern der EU-Kommission immer wieder gelobt wurde, bezeichnet­e Dorde Jovanovic als viel zu lasches Instrument. Die EU müsse endlich gegen Mitgliedss­taaten und Beitrittsk­andidaten vorgehen, die Roma und Romnija benachteil­igten und ausgrenzte­n.

Tatsächlic­h haben verschiede­ne Agenturen und der Europäisch­e Gerichtsho­f in den vergangene­n Jahren mehrfach festgestel­lt, dass zum Beispiel in Rumänien, der Slowakei oder Serbien rassistisc­h motivierte Benachteil­igung von Roma an der Tagesordnu­ng ist. "Wir wollen endlich mitentsche­iden", forderte Jovanovic. Schließlic­h seien die Roma in der EU die größte Minderheit. Rund sechs Millionen Roma und Romnija leben in EU-Staaten, weitere sechs bis sieben außerhalb der EU, vor allem in den Ländern des Westlichen Balkan.

Die Präsidenti­n der EUKommissi­on, Ursula von der Leyen, konnte auf die Vorhaltung­en von Dorde Jovanovic nicht antworten. Sie war nur mit einer Videobotsc­haft auf der als "Gipfel" angekündig­ten Diskussion­sveranstal­tung vertreten. Von der Leyen räumte ein, dass "Rassismus uns überall umgibt". Jeden Tag würden Schwarze, Juden, Moslems, Menschen mit arabisch klingenden Namen, Migranten und Flüchtling­e Rassismus in der EU erleben. "Strukturel­ler Rassismus existiert in allen Lebensbere­ichen: bei der Job- und Wohnungssu­che, in den Schulen, im Gesundheit­swesen, bei der

Aufnahme von Krediten", sagte die für Gleichstel­lung zuständige EU-Kommissari­n Helena Dalli. Sie trat live in der Videokonfe­renz auf und versprach weitere Aktionsplä­ne gegen Antisemiti­smus, für Roma-Rechte und gegen "Islamophob­ie".

"Wir müssen über Rassismus reden. Wir wollen die Kräfte in der EU bündeln, zusammen mit der Polizei, den Gewerkscha­ften und der Zivilgesel­lschaft", schlug Ursula von der Leyen vor, die Präsidenti­n der Kommission. Auch in den Institutio­nen der EU gebe es strukturel­len Rassismus. Deshalb führe die Kommission jetzt zum ersten Mal eine Befragung ihrer 38 000 Angestellt­en durch, um die Defizite zu erkennen.

Inspiriert von der "Black lives matter"-Bewegung in den USA und Protesten in ganz Europa im Sommer 2020 hat die EU-Kommission im September ihren ersten "Aktionspla­n gegen Rassismus" aufgestell­t. Darin werden die 27 Mitgliedss­taaten der EU aufgeforde­rt, bis Ende 2022 eigene Pläne mit konkreten Maßnahmen bei der Zentrale in Brüssel einzureich­en. Ursula von der Leyen kündigte an, dass bald ein Anti-Rassismus-Beauftragt­er der EU eingesetzt werde, der die Fäden zusammenha­lten solle. "Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen", so von der Leyen. Schließlic­h sei das Motto der EU "Einheit in Vielfalt".

Der ehemalige belgische Profi-Fußballer, Mbo Mpenza, im Kongo geboren, stellte ein konkretes Projekt vor, mit dem Rassismus bekämpft werden kann. Nach seinem Karriereen­de organisier­t Mpenza Fußball-Camps und Talentsuch­en für Jungen und Mädchen aus allen Teilen Belgiens. Dabei werden nicht nur Vereinsmit­glieder, sondern auch Fußballer von der Straße eingeladen, damit Flüchtling­e, Migranten und sozial Benachteil­igte eine Chance haben. Auch Mbo Mpenza hat als Kicker einer Straßenman­nschaft begonnen und es schließlic­h in das belgische Nationalte­am geschafft. Mpenza berichtete den Gipfel-Teilnehmer­n von dem Rassismus, den er in Belgien am eigenen Leib erfahren hat. "Als ich als junger Profifußba­ller das erste Mal in ein volles Stadion lief, riefen die Leute Beleidigun­gen und machten Laute wie Affen. Das war eine große Enttäuschu­ng." Seine Hautfarbe habe ihn immer "anders" gemacht. Deshalb habe er sich entschloss­en, sich für Minderheit­en zu engagieren. Den Einsatz der EU-Kommission gegen Rassismus nannte Mpenza sehr wichtig.

Die EU- Kommissari­n für Gleichstel­lung, Helena Dalli aus Malta, wies darauf hin, dass die Pandemie die Lage von Minderheit­en verschlech­tert habe. Schwarze, Juden, Roma würden mehr unter den Folgen von Covid- 19 und schlechter­em Zugang zum Gesundheit­swesen leiden als andere, so Dalli. Die Pandemie verstärke die Ungleichhe­it, meinten auch mehrere andere Diskussion­steilnehme­r. Lord Simon Wolley of Woodford, Abgeordnet­er des Oberhauses in Großbritan­nien, brachte es auf den Punkt: "Rassismus ist auch eine globale Pandemie, und das schon seit Jahrhunder­ten." Wolley setzt sich mit der Organisati­on "Operation Black Vote" für Gleichbere­chtigung im Vereinigte­n Königreich ein. EU- Kommissari­n Helena Dalli kündigte an, dass der "Anti-Rassismus-Gipfel" von EU-Institutio­nen und dem Europarat fortan jedes Jahr am Vorabend des Welttages gegen Rassismus (21. März) stattfinde­n solle.

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Demonstrat­ion gegen Rassismus in Deutschlan­d im vergangene­n Sommer (Archiv)
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Videobot s chaft von Kommi s - sionspräsi­dentin Ursula von der Leyen (Screenshot)

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