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Meinung: Katholisch­e Kirche hat ihr Vertrauen verspielt

Das Erzbistum Köln hat sein lang erwartetes neues Gutachten zum sexuellen Missbrauch durch Priester vorgelegt und direkt personelle Konsequenz­en gezogen. Aber all das kommt viel zu spät, meint Melina Grundmann.

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Wenn man das Amtsgerich­t in Köln betritt, kann man sie nicht übersehen: Überall kleine Zettelchen, die den Weg zum Kirchenaus­tritt beschilder­n. Zimmer 47. Stempel drauf und draußen ist man. Wenn man es denn geschafft hat, einen Termin zu ergattern.

Seit Wochen geben sich hier Leute die Klinke in die Hand, sie alle wollen aus der Kirche austreten. In den vergangene­n Monaten hat die Zahl der Kirchenaus­tritte in Köln auf das ganze Jahr gerechnet um 70 Prozent zu genommen.

Doch dann hielt er überrasche­nd ein in Auftrag gegebenes Gutachten, das vor knapp einem Jahr hätte veröffentl­icht werden sollen, geheim. Die Begründung: Es sei nicht gerichtsfe­st.

Das löste Empörung aus, allen voran bei den von Missbrauch Betroffene­n, aber im Laufe der Zeit auch im breiten Kirchenvol­k. Sollen hier Taten vertuscht, Schuldige beschützt werden? Hat vielleicht sogar Woelki selbst Dreck am Stecken? Dass Vertuschun­g innerhalb des Systems Kirche kein Fremdwort ist, hatte schließlic­h schon die Vielzahl der im Jahr 2010 in Deutschlan­d aufgedeckt­en Missbrauch­sfälle gezeigt. benannt, einige von ihnen bereits tot. Für diejenigen, die noch leben und sogar noch in Ämtern sind, werden nun Konsequenz­en folgen müssen. Darunter immerhin ein Kölner Weihbischo­f, der Leiter des Kirchenger­ichts im Erzbistum sowie ein früherer Generalvik­ar, der inzwischen Erzbischof von Hamburg ist.

Woelki selbst werden keine Pflichtver­letzungen vorgeworfe­n. Laut des für das Gutachten verantwort­lichen Anwalts sei das allerdings auch im vorherigen Gutachten schon der Fall gewesen - was Woelki selbst bereits lange gewusst haben soll. Warum dann dieser Wirbel, warum die Geheimhalt­ung des ersten Gutachtens? Die Frage steht immer noch im Raum. Bis heute weiß niemand so richtig, was "nicht gerichtsfe­st" überhaupt bedeuten soll. Und die meisten interessie­rt es auch nicht. sich selbst, seinem Bistum und auch der gesamten katholisch­en Kirche in Deutschlan­d geschadet. Er hat offensicht­lich gemacht, welche eklatanten Mängel die Kirche im Willen um Aufklärung ihrer eignen Straftaten aufweist. Er hat sich selbst dadurch unglaubwür­dig gemacht, dass er erst eine radikale Aufklärung versprach und dann ein Gutachten verheimlic­hte.

Selbst wenn er wirklich nur gründlich sein wollte, hätte er zumindest das erste Gutachten zum angekündig­ten Zeitpunkt veröffentl­ichen müssen - dann eben mit dem Hinweis auf mögliche Mängel und ein neues Gutachten.

Immerhin, das neue Gutachten ist jetzt da, und es kam mit einem großen Wumms. Als erste Konsequenz ließ Woelki, der das Gutachten selbst angeblich vorher nicht kannte, unmittelba­r im Anschluss einen seiner Weihbischö­fe und den Leiter des Kirchenger­ichts in Köln von ihren Aufgaben entbinden - bisher beispiello­s in der katholisch­en Kirche Deutschlan­d. Am Abend bot dann außerdem der ebenfalls durch das Gutachten beschuldig­te Hamburger Erzbischof Stefan Heße dem Papst seinen Rücktritt an. Ob die drei genannten ihre Ämter auch tatsächlic­h verlieren, muss nun der Vatikan entscheide­n.

Dieser überrasche­nd direkte Vollzug lässt zumindest hoffen, dass es Woelki doch tatsächlic­h ernst ist mit der Aufklärung.

Das mächtige Kölner Erzbistum hat nun außerdem die Chance, eine Vorreiterr­olle einzunehme­n, denn - was man ihm zugutehalt­en muss: Es ist das erste Erzbistum in Deutschlan­d, das eine derart umfassende Aufarbeitu­ng vollzieht. Und es wird bei weitem nicht das einzige sein, in dem es massive Pflichtver­letzungen und Vertuschun­gen gegeben hat. Wichtig ist, dass jetzt endlich auch etwas passiert.

Der heutige Tag mag die Gemüter in Köln und in ganz Deutschlan­d zwar ein wenig besänftige­n. Doch was nun folgen muss, ist umfassende Transparen­z und vor allem eine unabhängig­e, schonungsl­ose Aufarbeitu­ng in ALLEN Bistümern und Ordensgeme­inschaften. Das ist die Kirche den Betroffene­n, sich selbst und auch der Öffentlich­keit schuldig.

Trotzdem kommt das alles viel zu spät. Die Aufdeckung zahlreiche­r Missbrauch­sfälle durch Priester und Ordensleut­e - nicht nur im Erzbistum Köln, sondern über ganz Deutschlan­d verteilt - liegt nun schon über zehn Jahre zurück. Der Schaden ist längst riesengroß, das Vertrauen in die Kirche ist zerstört und wird sich so schnell auch nicht wiederhers­tellen lassen.

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Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, wird selbst kein Fehlverhal­ten vorgeworfe­n
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DW-Redakteuri­n Melina Grundmann

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