Deutsche Welle (German edition)
Erntehelfer: Spargelstechen unter Corona-Bedingungen
Bald beginnt in Deutschland die Spargelsaison. Die meisten Erntehelfer kommen aus Osteuropa. In der Corona-Pandemie müssen sie unter strengen Hygienevorschriften leben und arbeiten. Eine Reportage von Sabine Kinkartz.
Noch ist es ruhig auf dem Spargelhof Hensgens in Selfkant, kurz vor der niederländischen Grenze. Der Wind zerrt an den schwarzen Folien, die auf den Spargelfeldern in langen Bahnen über die Erdhügel gespannt sind, um die Sonnenwärme einzufangen. Gleich nebenan wogt heller Vliesstoff als nächtlicher Frostschutz über den Erdbeerpflanzen und lässt die Felder wie eine endlose Wasserfläche aussehen.
Vor einer Halle türmen ein paar Arbeiter mit Erde gefüllte Pflanzkübel auf. "Wir sind im Moment erst 15 Leute hier", sagt Landwirt Chris Hensgens, der den Familienbetrieb zusammen mit seinem Bruder Arne und ihrem Vater führt, "aber in Spitzenzeiten haben wir 150 Arbeitskräfte gleichzeitig auf dem Hof." Je nach Wetterlage beginnt die Spargelernte Ende März oder Anfang April. Es folgen Erdbeeren, Heidelbeeren, Zwiebeln, Kartoffeln, Zuckerrüben, Weizen und Mais.
Selfkant liegt im Kreis Heinsberg, dem ersten Corona-Hotspot in Deutschland. Als der Ausbruch bekannt wurde, seien von den zehn Arbeitern, die zu der Zeit schon auf dem Hof waren, drei sofort ins Auto gestiegen und aus Angst nach Rumänien zurückgefahren.
Im anschließenden Lockdown sollten zunächst gar keine Erntehelfer nach Deutschland einreisen dürfen, dann wurde den Landwirten erlaubt, Arbeitskräfte auf eigene Kosten einfliegen lassen. Auch die Hensgens kauften für 10.000 Euro Tickets. "Einige sind verfallen, weil unsere rumänischen Arbeiter nicht wussten, wo der Flughafen ist und wie sie dahin kommen. Normalerweise werden sie mit Kleinbussen bei ihnen zuhause abgeholt und zu uns gebracht", so Chris Hensgens. auch etwas erleben zu können.
"Vor der Corona-Pandemie fuhren die Studenten am Wochenende gerne nach Aachen, Köln oder Amsterdam", erzählt Chris Hensgens. "Wir können sie nicht einsperren, aber jetzt sollen sie möglichst auf dem Hof bleiben und auch voneinander Abstand halten." Das sei oft nur schwer zu vermitteln. "Manchmal sieht es so aus, als wären die auf einer Klassenfahrt. Nach Feierabend wird gerne etwas getrunken, und nach zwei Bier wird es dann schwierig mit den Corona-Regeln."
Die strengen Hygieneauflagen einzuhalten ist für alle auf dem Hof eine logistische Herausforderung. In den langgestreckten Wohngebäuden, die mit Vierbettzimmern, großen Gemeinschaftsküchen, Aufenthalts- und Sanitärbereichen ausgestattet sind, kann nur noch ein Teil der Erntehelfer untergebracht werden. Für die anderen werden Wohncontainer mit zusätzlichen Sanitärräumen gemietet und aufgestellt. 30.000 Euro kostet das. Weitere 9000 Euro müssen für die Putzkräfte ausgegeben werden, die regelmäßig die Waschräume, Gänge und Küchen desinfizieren.
Da die Erntehelfer aus Infektionsschutzgründen nicht mehr selbst zum Einkaufen fahren sollen und sich in den Küchen nur noch sieben Personen gleichzeitig aufhalten dürfen, haben die Hensgens das Mittagessen zentralisiert. "Unser Koch, der im Hof-Restaurant arbeitet, hat d u rc h die Schließung nichts zu tun und kocht daher für die ganze Mannschaft", berichtet Arne Hensgens. Gegessen werden muss auf den Zimmern.
Auch in diesem Jahr sollen die Arbeiter wieder in feste Gruppen eingeteilt werden, die zusammen arbeiten und wohnen. Es gibt einen Plan, der regelt, wann welche Gruppe auf die Felder geht, wann sie zurückkommt, und es gibt Absperrgitter für die Wegführung. "Wenn sich auch in den Fluren möglichst wenige Leute begegnen, hilft das ja auch ein wenig", sagt der 25-jährige Agraringenieur. Bei der Einreise nach Deutschland müssen die Arbeiter einen negativen Corona-Test vorweisen, ein paar Tage später werden sie auf dem Hof noch einmal getestet.
Die Brüder gehen fest davon aus, dass sie ihre Helfer in diesem Jahr regelmäßig testen lassen müssen. Möglicherweise auch auf eigene Kosten. Als im vergangenen Jahr in Bayern auf Erdbeerhöfen Infektionen bekannt wurden, haben sie alle ihre Arbeiter einmal testen lassen. 7000 Euro hat das gekostet. "Dabei ist eine unserer Helferinnen positiv getestet worden", erzählt Chris Hensgens. Zum Glück habe sie allein in einem Container-Zimmer gewohnt und dort 14 Tage in Quarantäne bleiben können. "Sie wurde von uns durchbezahlt, die Kosten sollen wir vom Staat ersetzt bekommen", berichtet der Landwirt. "Aber auf das Geld warten wir bis heute."
Was wäre passiert, wenn die Erntehelferin ernsthaft erkrankt wäre? "Dann wäre sie ins Krankenhaus gekommen, denn wir haben für alle unsere Arbeitskräfte eine private Krankenversicherung abgeschlossen", sagt Arne Hensgens. Selbstverständlich ist das nicht. In Deutschland sind Erntehelfer, die nicht länger als 70 Tage pro Jahr im Einsatz sind, von der Sozialversicherungspflicht befreit. Weder die Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber müssen in dieser Zeit Beiträge zur ansonsten gesetzlich vorgeschriebenen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bezahlen.
2020 galt die Befreiung sogar für 115 Tage, damit die Helfer weniger häufig wechseln mussten. Eine Regelung, die viele landwirtschaftliche Betriebe auch in diesem Jahr fordern. Doch das sozialdemokratisch geführte Bundesarbeitsministerium sperrt sich. "Jede auch nur zeitweise geltende Erweiterung der Zeitgrenzen ist mit dem notwendigen sozialen Schutz der Beschäftigten abzuwägen", heißt es auf Nachfrage der DW.