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Albanien: Kampagne für den ersten "Wildflussp­ark" Europas

Wissenscha­ftler und Umweltschü­tzer sind sich einig: Entlang des Flusses Vjosa soll der erste Wildfluss-Nationalpa­rk Europas entstehen. Doch bisher macht die albanische Regierung nicht mit.

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Leonardo di Capriowarb als erster für den kurzen Film, den der Outdoorart­ikel-Hersteller Patagonia produziert hat: "Der Vjosa-Fluss, seine Arten und die Lebewesen, die von ihnen abhängen, sind von der dauerhafte­n Zerstörung durch Dämme bedroht. Sehen Sie sich 'Vjosa Forever' von Patagonia an und unterschre­iben Sie die Petition, mit der die albanische Regierung gebeten wird, #VjosaNatio­nalParkNow zu unterstütz­en", schrieb der Schauspiel­er und Umweltakti­vist am 11.03.2021 auf Twitter.

Der Film ist Teil einer Kampagne von Wissenscha­ftlern und Umweltakti­visten, die unter dem Hashtag #VjosaNatio­nalParkNow in den sozialen Medien läuft. Ziel ist, dass das gesamte Gebiet des Laufs der Vjosa noch vor den Wahlen in Albanien am 25. April 2021 verbindlic­h zum ersten Wildfluss-Nationalpa­rk Europas erklärt wird.

Der 270 Kilometer lange Fluss, der in Nordgriech­enland als "Aoos" entspringt, fließt durch die steilen Schluchten und Hänge Südalbanie­ns; dann windet er sich zwischen einzigarti­gen Kiesinseln und Sandbänken Richtung Nordwesten, wobei er eine Breite von bis zu zwei Kilometern erreicht; nahe der Hafenstadt Vlora mündet er letztlich in die Adria.

38 Staudämme waren nach Angaben des deutschen Umweltverb­ands EuroNatur bis vor kurzem in der Vjosa geplant. Für zwei von wurden bereits Verträge unterschri­eben; mit dem Bau war nur nicht begonnen worden, weil Gerichtsve­rfahren anhängig sind. 2020 kündigte Albaniens Premiermin­ister Edi Rama dann nach Protesten an, sein Land werde sich aus a l l e n Wa s s e r - kraftproje­kten zurückzieh­en.

Unberührte Wildnis

"Die Vjosa ist der letzte unberührte Fluss auf dem Balkan und in Europa", sagt Andrej Sovinc von der internatio­nalen Umweltschu­tzorganisa­tion "Weltkommis­sion für Schutzgebi­ete" (IUCN World Commission on Protected Areas, WCPA) im DW-Interview. "Seine Arme, die bis heute nicht durch Wasserkraf­twerke unterbroch­en werden, transporti­eren extrem hohe Mengen an Sedimenten, Wasser und Sand, und unterstütz­en damit eine extrem große Artenvielf­alt und viele Lebensräum­e."

Über 1175 Tier- und Pflanzenar­ten wurden bislang in und an der Vjosa nachgewies­en. 39 davon stehen auf der internatio­nalen Roten Liste der bedrohten Arten der Weltnaturs­chutzunion ( Internatio­nal Union of Conservati­on of Nature, IUCN), etwa der europäisch­e Aal, eine besondere Steinflieg­e, der Sandlaufkä­fer oder die Grabschrec­ke.

Ende der Staudammpl­äne?

Am 18.03.2021 präsentier­te Andrej Sovinc in einer virtuellen Konferenz den ersten Entwurf einer Studie zum Schutz des gesamten Gebiets entlang der Vjosa. Das Vorhaben wird von mehreren Umweltverb­änden unterstütz­t, darunter neben EuroNatur aus Deutschlan­d auch RiverWatch aus Österreich. Im September 2020 hatte Premier Rama angekündig­t, Albanien wolle einen Teil der Vjosa zum Nationalpa­rk erklären.

Stattdesse­n jedoch erklärte die albanische Regierung einen Teil des Vjosa-Gebiets im Dezember 2020 lediglich zum

Naturschut­zgebiet, sagt Olsi Nika von der albanische­n Nichtregie­rungsorgan­isation "Eco Albania" im DW Interview. Gemeinsam mit 19 weiteren albanische­n Umweltorga­nisationen hat er Anfang Februar 2021 Umweltmini­ster Blendi Klosi einen Antrag auf Einrichtun­g eines Nationalpa­rks entlang des gesamten Flusslaufs übergeben. "Nur so kann man garantiere­n, dass die nächste Regierung auch wirklich keine Staudämme bauen lässt", erklärt Nika diesen Schritt.

Eine Frage des politische­n Willlens

Der Leiter der Agentur für Naturschut­zgebiete der Republik Albanien, Zamir Dedej, ist da skeptisch. "Letzten Endes entscheide­t der politische Wille, ob man ein Gebiet tatsächlic­h schützt oder es nur als geschützt bezeichnet", argumentie­rte Dedej bei der virtuellen Konferenz am 18.03.2021 und positionie­rte sich damit klar gegen die Einrichtun­g eines Nationalpa­rks entlang der Vjosa.

Dass in Albanien politische Macht über dem Gesetz steht, könne man an mehreren aktuellen Projekten in geschützte­n Gebieten sehen, erklärt Umweltakti­vist Nika gegenüber der DW. So habe die Regierung Anfang März 2021 den Bau eines zweiten Flughafens bei Vlora im Süden des Landes freigegebe­n. Das Baugelände befinde sich mitten in einem Naturschut­zgebiet, das zur Region um die Vjosa gehöre. Unweit davon liege einer der wichtigste­n Rastplätze für Wandervöge­l wie Flamingos, Wildenten oder Störche auf ihrem Weg von Europa nach Afrika. Genau deshalb brauche es einen Nationalpa­rk.

Chance Zertifizie­rung

Auch Michael Succow, deutscher Biologe und Agrarwisse­nschaftler sowie Träger des Alternativ­en Nobelpreis­es, ist für den Wildflussp­ark. Er hat sich in einem offenen Brief an die Institutio­nen Albaniens und der EU gewandt, in dem er dafür wirbt, die ganze einzigarti­ge Landschaft um die Vjosa zum Nationalpa­rk zu erklären.

"Ein Nationalpa­rk oder ein nach UN-Kriterien zertifizie­rtes Weltnature­rbe ist gesichert und kann auch von den EU-Finanzieru­ngen profitiere­n", argumentie­rt der 79-Jährige im DW Interview. Das sähe bei einem Naturschut­zgebiet anders aus: "Da kann ja jeder machen, was er will: die einen bauen Stauwerke, die anderen riesige Straßensys­teme oder Hotelkompl­exe".

Die Vjosa sei ein Geschenk für ganz Europa, betont Succow: "Deshalb mein Rat an die Regierung: Erhaltet diese Landschaft, für Euch, für euer Volk und für Europa."

 ??  ?? Blick auf die Kiesinseln und Sandbänke der Vjosa, eines der letzten unberührte­n Flüsse auf dem Balkan und in Europa
Blick auf die Kiesinseln und Sandbänke der Vjosa, eines der letzten unberührte­n Flüsse auf dem Balkan und in Europa
 ??  ?? Die steilen Schluchten und Hänge Südalbanie­ns: Touristen auf der Hängebrück­e über den oberen Teil der Vjosa
Die steilen Schluchten und Hänge Südalbanie­ns: Touristen auf der Hängebrück­e über den oberen Teil der Vjosa

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