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Türkei: Kurdenpart­ei HDP droht Verbot

Präsident Erdogan sieht seine Macht durch die HDP bedroht. Willkürlic­he Verhaftung­en und eine Brandmarku­ng als "Terror-Partei" konnten ihre Wahlerfolg­e bislang nicht schmälern. Nun legt die Justiz nach.

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Seit Wochen hat die türkische Regierung den Druck auf die pro-kurdische HDP stetig erhöht. Die Stigmatisi­erung als "TerrorPart­ei" und die Forderunge­n von Regierungs­vertretern nach einem Parteiverb­ot wurden immer lauter. Nun folgte der n äch s te A n gri ff au f di e drittgrößt­e türkische Partei: Die Istanbuler Staatsanwa­ltschaft hat beim Obersten Gerichtsho­f der Türkei einen Antrag auf ein Verbot der HDP eingereich­t

Zudem will die Staatsanwa­ltschaft 687 Politiker der Partei mit einem Politikver­bot für fünf Jahre belegen lassen - unter ihnen einige Top-Politiker wie die Co-Vorsitzend­e Pervin Buldan und die zurzeit inhaftiert­en ExVorsitze­nden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Die Begründung lautet, dass HDPMitglie­der mit ihren Aussagen und Handlungen beabsichti­gt hätten, die Integrität des Staates zu untergrabe­n und an terroristi­schen Aktivitäte­n beteiligt gewesen seien.

HDP: Die Königsmach­er-Partei

Bei den Kommunalwa­hlen im März 2019 erwies sich die Kurdenpart­ei als Erfolgsgar­ant für die Opposition: Die HDP-Parteiführ­ung verzichtet­e in einigen Städten auf eigene Kandidaten und rief stattdesse­n ihre Wähler dazu auf, dem Kandidaten der ebenfalls opposition­ellen CHP ihre Stimme zu geben. Ohne kurdische Rückendeck­ung wäre der Wahlsieg der CHP in einigen türkischen Städten nicht denkbar gewesen.

Das Manöver sollte sich für die HDP in den kommenden Monaten und Jahren schwer rächen. Die türkische Regierung erhöhte seither stetig den Druck auf die linksgeric­htete Partei: In den meisten der 65 Provinzen, in denen die HDP einen Wahlsieg errungen hatte, wurden deren Bürgermeis­ter und Gemeindevo­rstände mittlerwei­le entlassen und durch Zwangsverw­alter aus Ankara ersetzt. Der Partei sind nur sechs kleine Gemeinden verblieben.

Erst die Stigmatisi­erung, dann das Verbot

Zuletzt sprach der türkische Innenminis­ter Süleyman Soylu die HDP und ihre Mitglieder das Existenzre­cht ab. "Eine Partei, die die PKK nicht als terroristi­sche Organisati­on definiert und sich nicht von ihr distanzier­t, kann keine politische Partei dieses Landes sein", so Soylu. Kurz zuvor ließ er mehr als 700 Provinz- und Bezirksvor­sitzende der Kurdenpart­ei in Gewahrsam nehmen. Vorgeworfe­n werden der HDP meist Verbindung­en zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, die auch von den USA und der EU als Terrororga­nisation eingestuft wird. In fast allen Fällen ist die Beweislast jedoch dürftig und willkürlic­h.

Trotz der dürftigen Beweislage wurden zuletzt von Seiten der türkischen Regierung die

Forderunge­n nach einem Parteiverb­ot immer lauter. Der Koalitions­partner der islamischk­onservativ­en Regierung Devlet Bahceli, Chef der ultranatio­nalen MHP, forderte Anfang März öffentlich das oberste Gericht der Türkei auf, schnellstm­öglich ein Verbot der prokurdisc­hen Partei einzuleite­n. Für viele Kritiker war dies eine grobe Beeinfluss­ung der Justiz. Dass nun tatsächlic­h der Oberste Gerichtsho­f zur Tat schreiten soll, ist für Viele ein Beweis dafür, dass die Justiz bei dem eingeleite­ten Verbotsver­fahren nicht unabhängig gehandelt hat.

Für Professor Berk Esen von der Sabanci-Universitä­t handelt es sich dabei in erste Linie um Wahltaktik: "Die guten Wahlergebn­isse der HDP sind dafür verantwort­lich, dass die islamisch-konservati­ve AKP seit den Parlaments­wahlen 2015 keine absolute Mehrheit mehr holen konnte". Daher versuche die Regierung, die Opposition­spartei mit allen Mitteln unter die 10-Prozent-Hürde zu drücken, so der Politologe.

HDP-Parteiverb­ot Teil einer Wahltaktik?

Zudem sei die Forderung von Seiten der türkischen Regierung nach einem Verbot ein Anzeichen dafür, dass die MHP selbst in einer Krise stecke. "Die jüngsten Prognosen zeigen, dass die MHP zurzeit die 10-Prozent

Schwelle nicht überschrei­ten würde". Die Nationalis­ten versuchten nun, die AKP auf ihre Linie zu bringen und durch einen radikalere­n Kurs alternativ­e Koalitions­partner auszustech­en, sagt Esen. In der türkischen Öffentlich­keit wird spekuliert, ob Erdogans AKP den jetzigen Koalitions­partner durch die ebenfalls ultranatio­nalistisch­e IYI-Partei austausche­n könnte.

Viele türkische Beobachter, darunter auch Esen, sind der Auffassung, dass die Regierung zudem versucht, die Opposition durch die Kriminalis­ierung der HDP zu spalten. Das Kalkül: In den vereinten Opposition­sblock reihen sich auch die sozialdemo­kratische CHP und die ultranatio­nale IYI-Partei ein, die beide eine kurden-skeptische Wählerscha­ft hinter sich scharen. Eine zu kurdenfreu­ndliche Politik und die Zusammenar­beit mit der HDP, die von der Regierung als "terroristi­sch" gebrandmar­kt wird, könnte die Stammwähle­rschaft beider Parteien abschrecke­n.

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Ex-Vorsitzend­e Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag

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