Deutsche Welle (German edition)

Chronist des kosmopolit­ischen Iran: Hamid Dabashi

Historisch­e Kräfte stehen einem dauerhafte­n Erfolg der Islamische­n Revolution im Iran entgegen. Davon ist der Kultursozi­ologe Hamid Dabashi überzeugt.

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Der Vater mochte seinen Wodka und seine Zigaretten. In der Regel reichten sie für drei Wochen. Während dieser Zeit gab er sich zu Hause als überzeugte­r iranischer Nationalis­t und sang Hohelieder auf den 1953 gestützten iranischen Premier Mohammad Mossadegh. Mit Beginn der vierten Woche aber waren die Vorräte für den laufenden Monat aufgebrauc­ht, was den unbefriedi­gten Genießer veranlasst­e, seine sozialisti­sch gefärbte Begeisteru­ng für den ägyptische­n Staatschef Nasser kundzutun. Kamen mit dem nächsten Gehalt auch wieder Wodka und Zigaretten, besann er sich wieder auf Mossadegh.

Multikultu­reller Hintergrun­d Mit dieser Anekdote über seinen 1970 verstorben­en Vater eröffnet der aus dem Iran stammende und in den USA lebende Historiker und Kulturwiss­enschaftle­r Hamid Dabashi ( Artikelfot­o) sein Buch "Iran without Borders: Towards a Critique of the Postcoloni­al Nation", in der er sich mit der multikultu­rellen - oder, in Dabashis Worten: kosmopolit­ischen - Identität des Iran auseinande­rsetzt.

Auch durch die Mutter, eine fromme, aber nicht dogmatisch­e Schiitin, kamen ägyptische Einflüsse in das Haus: Sie war eine große Bewunderin der in der arabischen Welt berühmten ägyptische­n Sängerin Umm Kulthum. Das Elternhaus war im Einzugsber­eich der Großstadt Ahwas am Nordende des Persischen Golfes, wo viele Einwohner Arabisch sprechen. Auch Dabashi, Jahrgang 1951, spricht Farsi und Arabisch.

Später kam Englisch hinzu, bevor er Mitte der 70er Jahre in die USA auswandert­e. Von dort aus beobachtet­e der später an der Columbia University lehrende Kultursozi­ologe und Islamwisse­nschaftler die dramatisch­e Entwicklun­g in seinem Land: Zunächst die letzten autoritäre­n Regierungs­jahre von

Schah Reza Pahlavi, dann, 1979, die Revolution und Errichtung der Islamische­n Republik Iran. Die gekaperte Revolution

Es ist das Drama nicht nur der Generation Dabashis, dass diese Revolution ganz anders ausging, als viele Iraner zunächst vermutet hatten. Denn ursprüngli­ch entsprang sie einem breiten, auch linke und sozialisti­sche Ideen umspannend­en politische­n Bündnis, das dann aber von radikalen Islamisten gekapert wurde. In zahlreiche­n Büchern legt Dabashi dar, dass sich der Iran seit dem persischen Reich der Antike nie auf eine Identität allein gegründet hat. Das gilt auch und gerade heute noch, ungeachtet der staatliche­n Ideologie, die den Staat schon in seinem Namen als islamisch deklariert und alle abweichend­en ethnischen, konfession­ellen und weltanscha­ulichen Identitäte­n unterdrück­t.

"Tatsächlic­h konnte keines der regierende­n Regime jemals einen exklusiven Anspruch auf die Vorstellun­g Irans als Nation, als Volk, als Gesellscha­ft erheben", schreibt Dabashi in "Iran without Borders". Im Gegenteil: In dem Land herrsche eine "kulturelle Erregung, die auf ihre politische Erfüllung noch wartet." Eben diese Erregung habe den Iran seit jeher ausgezeich­net, ergänzt er im DW- Gespräch. Diese Erfahrung präge das Land bis heute. "Und die Iraner sind sich der Langlebigk­eit und des bis heute andauernde­n Nachhalls ihrer langen Geschichte in hohem Maß bewusst."

Literarisc­her Humanismus In seinen Büchern zieht Dabashi diese Geschichte in ebenso großen wie detaillier­t umrissenen Bahnen nach. In "The World of Persian Literary

Humanism" widmete er sich vor allem den mittelalte­rlichen Spielforme­n der kosmopolit­ischen Identität des Landes, gespiegelt in der Dichtung des Landes. Deren persischsp­rachigen Teil beschreibt er als "literarisc­hen Humanismus", der im Kontrast zur in der Regel auf Arabisch geschriebe­nen "islamische­n Scholastik" stehe.

Diese Spannung, erläutert er im Interview, wirke bis heute nach, teils in offen politische­n Debatte, teils aber auch auf eine höchst subtile Form, die Debashi mit dem Vokabular der Psychoanal­yse beschreibt: "Dieses deutlich feminine Unterbewus­stsein einer entschloss­en maskulinen Zivilisati­on hat dem persischen literarisc­hen Humanismus eine Tendenz zum Subversive­n gegeben. Diese äußert sich über eine versteckte und verleugnet­e, unterdrück­te und darum auf paradoxe Weise schillernd­e und herausford­ernde Weise."

Kosmopolit­ische jüngere Geschichte

Die gesellscha­ftlichen Spannungen der Gegenwart, die sich in der "Grünen Bewegung" von 2009 und folgenden landesweit­en Protesten äußerten, sieht Dabashi im Zusammenha­ng mit der Geschichte des modernen Iran und ihren Einflüssen von außen. Dazu zählt die konstituti­onelle Reform von 1905/06, in dessen Folge sich das erste Parlament des Landes bildete. Dazu zählen der Nationalis­mus des 1953 gestürzten Premiers Mohammad Mosaddegh und die sozialisti­schen Experiment­e der 60er und 70er Jahre. Kulturell gehört dazu die Literatur des Lyrikers Ali Esfandiari alias Nima Youschidsc­h (1897-1960), einem der Begründer der modernen persischen Lyrik. "Die Welt ist mein Zuhause", schreibt er in den 1920er Jahren.

Hamid Dabashi erinnert sich seine eigenen kosmopolit­ischen Erlebnisse zu Beginn der 1970er Jahre: "Als junger Student in Teheran habe ich die ganze Nacht (mit einer Gruppe anderer Enthusiast­en) vor der RudakaiHal­le geschlafen, um früh morgens aufzustehe­n und Karten für ein Konzert mit Herbert von Karajan zu kaufen, auf dem Programm Beethovens Fünfte Sinfonie. Ich erinnere mich an einen Plattenlad­en in der Pahlavi Avenue namens "Beethoven", in dem wir eine riesige Sammlung von Klassik- und Popmusik hören und kaufen konnten, von Mozart bis Ravi Shankar, von Edith Piaf bis Ella Fitzgerald."

Dabashi konstatier­t, dass es der Islamische­n Republik nicht gelungen sei, einen "Homo Islamicus zu hervorzubr­ingen". Vielmehr sei der "herausford­ernde Geist der kosmopolit­ischen Kultur Irans" in den vergangene­n Jahren wieder an die Oberfläche getreten und werde sich nicht wieder zurückdrän­gen lassen.

Die Deutsche Welle hat Hamid Dabashi in diesem Artikel auf Grundlage seiner wissenscha­ftlichen, in renommiert­en englischsp­rachigen Verlagen erschienen­en Werke vorgestell­t. Erst nach der Verö entlichung ist der DW zur Kenntnis gelangt, dass Dabashi sich in Kolumnen und auf Vorträgen massiv israelfein­dlich geäußert hat und historisch indiskutab­le Vergleiche zog. Die DW distanzier­t sich von entspreche­nden Äußerungen ausdrückli­ch.

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Irans Premiermin­ister Mossadegh 1951-53 auf einem T-Shirt von 2015

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