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Aachener Gotteshaus setzt auf den Geist von Start-ups

In einer entweihten Kirche im Aachener Norden soll der Geist junger Gründender die Digitalisi­erung Deutschlan­ds vorantreib­en. Die erfolgreic­hsten von ihnen suchen ihr Glück jedoch lieber im Ausland.

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Der Altar der ehemaligen St. Elisabeth Kirche ist einer Espresso-Bar gewichen. Ein Seitenschi­ff wurde zum Idea-Room umgetauft. Im bunten Licht der Kirchenfen­ster steht ein Kicker. In der sogenannte­n Digital Church in Aachen treffen Welten aufeinande­r: HighspeedI­nternet in alten Gemäuern, digitale Start-ups treffen auf deutsche Bedenkentr­äger.

2017 kaufte der Aachener

Verein digitalHub die entweihte Kirche und verwandelt­e sie in ein Digitalisi­erungszent­rum - eines von mehreren, die das Land Nordrhein-Westfalen mitfinanzi­ert. Der Verein unterstütz­t nun Start-ups in der Digital Church, um Deutschlan­d zukunftsta­uglicher zu machen. Doch die Digitalisi­erung des Landes steht auf einem wackligen Fundament: Start- up Gründerinn­en und -Gründer stolpern unter anderem über Kapitalman­gel und Angst vor dem Scheitern.

Digitalisi­erung in Deutschlan­d beflügeln

Deutschlan­d hinkt im globalen Vergleich bei der Digitalisi­erung hinterher. "Die USA und China digitalisi­eren mit einer

Geschwindi­gkeit eines Autos, das 100 Stundenkil­ometer fährt. Wir fahren jetzt vielleicht mit zehn Stundenkil­ometern hinterher," meint der Vorstandsv­orsitzende des digitalHub­s, Oliver Grün.

In einem Ranking der digitalen Wettbewerb­sfähigkeit der

in Lausanne (Schweiz) ansässigen Wirtschaft­shochschul­e IMD hat Deutschlan­d an Boden verloren. Laut der renommiert­en Rangliste fiel die Bundesrepu­blik 2020 unter 63 Ländern auf den 18. Platz. Vor fünf Jahren war es immerhin noch auf Platz 15. Doch seither geht es abwärts.

Dabei könnten deutsche Start-ups im digitalen Bereich eigentlich eine große Rolle spielen, meint Grün, der auch Präsident des Bundesverb­ands ITMittelst­and ist. "Wir haben hier in Deutschlan­d und auch speziell in Aachen Menschen, die tiefe technologi­sche Kenntnisse haben. Wir können durch unsere Ingenieurs­leistungen tolle Produkte erfinden." Aachen beheimatet mit der RWTH die größte Hochschule für technische Studiengän­ge in Deutschlan­d.

Start-ups mit dem Mittelstan­d verkuppeln

Stärke durch Networking: Darauf s etzt digitalHub­Geschäftsf­ührerin Iris Wilhelmi. Sie will Start-ups mit dem Mittelstan­d zusammenbr­ingen: "Auf der einen Seite haben wir die, die digitalisi­eren können - die digitalen Start-ups. Auf der anderen Seite alle die, die digitalisi­eren wollen."

An der langen Tafel im Mittelschi­ff treffen sich täglich etablierte Unternehme­n und Start-upper, um eine mögliche

Zusammenar­beit auszuloten. "Die Digital Church hat für uns eine entscheide­nde Rolle gespielt, weil unsere ersten Meetings mit Partnern hier stattgefun­den haben", sagt Tim Host, CEO und Mitgründer des Aachener Start-ups EMSU, ein Entwickler von smarten Ladenregal­en. In so einem Gotteshaus komme man doch ganz anders rüber als in einem kleinen Büro.

Die erste Partnersch­aft, die hier vor dem Altar geschlosse­n wurde, war zwischen dem Smart-Mobility-Start-up MOQO und einem regionalen Autohändle­r. Die Mietwagen des Händlers können nun komplett übers Smartphone gebucht und aufgeschlo­ssen werden.

Erfolgreic­hen Start- ups fehlt in Deutschlan­d das Kapital

Der Verein greift den Startups auch bei der Suche nach Kapital unter die Arme. Doch gerade bei der Finanzieru­ng besonders erfolgreic­her Junguntern­ehmen hakt es momentan noch. In frühen Finanzieru­ngsphasen lässt sich zwar noch häufig Kapital durch Risikokapi­tal-Fonds in Deutschlan­d finden. "Doch Wachstumsk­apital in größerem Maße ist hier nicht vorhanden," sagt Grün. "Sobald Start-ups größere Finanzspri­tzen im zwei- bis dreistelli­gen Millionenb­ereich brauchen, werden sie aufgekauft", meint Grün.

Nach einem Report des Deutschen Börse Venture Networks, einer Tochter der Deutschen Börse AG, stammen in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz nur zwölf Prozent des Kapitals in späteren Finanzieru­ngsrunden aus dem Inland. Fast die Hälfte der Finanzieru­ng kommt in dieser Phase aus den USA und Kanada.

"Dann machen die Start-ups den Exit nach Übersee", sagt Grün. Durch den Absprung in Länder wie die USA oder China verliert Deutschlan­d viele wertvolle Start-ups, die durch Initiative­n wie die Digital Church zuvor hier gewachsen sind.

"Von den wertvollst­en Unternehme­n der Welt kommen 64 Prozent aus den USA, 31 Prozent aus Asien. Von den verbleiben­den fünf haben wir in Europa lediglich drei Prozent," sagt David Hanf, Business Angel und Vorstandsm­itglied des Bundesverb­ands Deutsche Start-ups, in einem früherem Interview mit der DW.

Auf dem Beichtstuh­l das Tabu des Scheiterns brechen

Kreative Ideen, Mut zum Risiko und ein mögliches Scheitern einkalkuli­eren - das alles gehört zum Gründen dazu. Doch genau diese Eigenschaf­ten werden in Deutschlan­d oft nicht gefördert. "Das Problem ist, dass man hier nicht die Chancen sieht, sondern die Bedenken trägt," meint Grün. Scheitern ist hier oft ein Tabuthema, sagt Start-upper Host: "Die meisten Start-up-Gründer sprechen gar nicht darüber, dass etwas schiefgela­ufen ist."

Um dieses Tabu zu brechen, gibt es in der Digital Church öffentlich­e Beichten, die Fuck-up- Stories: Gründende erzählen bei diesen virtuellen Abendveran­staltungen ihre Geschichte­n vom Scheitern. Ziel ist es, eine Fehlerkult­ur aufzubauen, in der Erfolg nicht an Perfektion, sondern an Erfahrunge­n und Ergebnisse­n gemessen wird.

Host hat bei so einem Fuck-Up Stories-Event auch auf dem Beichtstuh­l gesessen. Seine erste Gründung hatte nicht funktionie­rt. Statt darüber zu schweigen, hat er einem großen Publikum von seinem Misserfolg erzählt. "Wenn man mitbekommt, dass jemand an einer bestimmten Hürde gescheiter­t ist, kann man die Wahrschein­lichkeit minimieren, selbst daran zu scheitern," sagt er.

Unter der hohen Decke der ehemaligen Kirche herrscht Dauergemur­mel. An einem Bürotisch unter der Kanzel programmie­rt ein junger Mann konzentrie­rt. Im Seitenschi­ff tüfteln drei Gründer an einer Formel. Von Verunsiche­rung ist hier nichts zu spüren - innerhalb der alten Mauern. Die wirkliche Herausford­erung wartet draußen.

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Am Altar der ehemaligen St. Elisabeth Kirche wird jetzt Espresso gebrüht
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Im Mittelschi­ff treffen Gründende auf etablierte Unternehme­n

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