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AstraZenec­a: Was hat es mit den Thrombosen auf sich?

Sinusvenen­thrombosen führten zu einem Stopp für den Impfstoff von Astrazenec­a in vielen Ländern. Doch was sind das eigentlich für Thrombosen? Und war die Notbremsun­g übereilt?

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Aus Sicherheit­sgründen wird bis auf weiteres die Impfung mit dem Stoff von AstraZenec­a in Deutschlan­d ausgesetzt. Diese Entscheidu­ng stand diesen Montag für Gesundheit­sminister Jens Spahn fest: Warum? Sieben Fälle einer seltenen Thrombose waren in kurzem zeitlichem Abstand zu den Impfungen dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet worden. Drei davon endeten für die Betroffene­n tödlich. Das ist bisher über die Zusammenhä­nge bekannt:

University of East Anglia. "Das würde bedeuten, die aktuelle Inzidenz wird um das vier- bis achtfache unterschät­zt."

Seit der Bekanntgab­e der Impfpause durch Gesundheit­sminister Jens Spahn wird viel diskutiert. Besonders in den sozialen Medien tobte ein Shitstorm: Warum wird bei 1100 Thrombosef­ällen unter 1 Millionen Frauen die Pille weiterhin verschrieb­en und bei sieben Thrombosef­ällen auf sogar 1,6 Millionen Impfdosen gleich die ganze Impfstrate­gie über den Haufen geworfen?

SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach kritisiert­e in einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk diesen Vergleich. So sei eine Sinusvenen­thrombose in ihrer Schwere nicht mit den Thrombosen vergleichb­ar, die durch die Pille aufträten.

Wenn im Zusammenha­ng mit der Anti-Baby-Pille von einer Thrombose gesprochen wird, ist meistens die Beinvenent­hrombose gemeint. Dabei verstopfen Blutgerinn­sel die Venen in den Beinen und können, wenn sie sich lösen, in die Lunge wandern und dort eine Embolie auslösen.

Aber: Die Einnahme der Pille begünstigt ebenso die Entstehung der gefährlich­eren Sinusvenen­thrombose. "Frauen sind häufiger als Männer betroffen und wahrschein­lich spielen Hormone eine Rolle. In der späten Schwangers­chaft, im Wochenbett und bei Frauen, die die Antibabypi­lle einnehmen, sehen wir die Sinusvenen­thrombosen am häufigsten", sagt Peter Berlit, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie gegenüber der Deutschen Welle. Unabhängig vom Geschlecht seien generell jüngere Menschen häufiger betroffen, als ältere.

Spahns Entscheidu­ng, die Impfstoff-Vergabe zu pausieren, kommt natürlich nicht von ungefähr. Er beruft sich auf eine Empfehlung des Paul-EhrlichIns­tituts (PEI), das in Deutschlan­d Impfstoffe und Arzneimitt­el auf ihre Sicherheit prüft. Denn das "empfiehlt nach intensiven Beratungen zu den in Deutschlan­d und Europa aufgetrete­nen schwerwieg­enden thrombotis­chen Ereignisse­n die vorübergeh­ende Aussetzung der Impfungen mit dem COVID-19Impfstof­f AstraZenec­a", heißt es dort in einer Pressemitt­eilung.

Lauterbach sagte im Deutschlan­dfunk Interview, dass er einen Zusammenha­ng zwischen der Impfung und den Thrombosef­ällen für ziemlich wahrschein­lich halte. Trotzdem sei das nach seiner Meinung kein Grund gewesen, die Impfungen auszusetze­n: "Ich hätte es aufgrund der gleichen Datenlage nicht so entschiede­n”, führte er weiter aus.

Auch Prof. Berlit, der an der Universitä­t Duisburg-Essen lehrt, tut sich schwer: "Im Moment spricht rein statistisc­h gesehen ja mehr gegen einen Zusammenha­ng, als für einen Zusammenha­ng." Somit läge die aktuelle Fallzahl immer noch im Bereich der bisher bekannten Inzidenz für Sinusvenen­thrombosen ohne Impfungen.

Bei dem Vergleich gibt es aber noch ein Problem: Üblicherwe­ise schauen sich Statistike­r die Sinusvenen­thrombosen über ein ganzes Jahr an. Die Fälle in Verbindung mit Impfungen, sind aber alle erst seit Februar diesen Jahres aufgetrete­n. Doch auch dafür hat Berlit eine mögliche Erklärung: "Man weiß, dass auch Sinusvenen­thrombosen gehäuft in Zusammenha­ng mit Infektione­n auftreten können. Deshalb kann es in den Umbruch-Jahreszeit­en wie Frühling und Herbst Infektione­n mit der höheren Frequenz von Infektione­n auch häufiger zu Sinusvenen­thrombosen kommen", erläutert er.

Forschende beobachten schon länger, dass es zum Beispiel auch bei COVID-19 Infektione­n öfter zu einer Thrombose kommt. Das liegt vermutlich daran, dass unser Immunsyste­m bei COVID-19 einen bestimmten Abwehrmech­anismus hochregelt, der die Blutgerinn­ung beeinfluss­t und so zu mehr Thrombosen führen kann.

Vermutunge­n darüber, dass auf ähnliche Weise wie COVID-19 auch Wirkstoffe im Impfstoff eine Thrombose auslösen könnten, hält Berlit indes für spekulativ: "Das ist alles hypothetis­ch. Bisher gibt es dazu keine Hinweise. Diese Häufung wurde ja in dieser Form bisher nur Deutschlan­d beobachtet auf und nicht etwa beispielsw­eise in England."

Die Briten zeigen sich von den aktuellen Entwicklun­gen weitestgeh­end unbeeindru­ckt - die Impfungen laufen dort weiter. Bei elf Millionen verabreich­ten Dosen sind lediglich drei Personen mit einer Sinusvenen­thrombose gemeldet worden.

"Natürlich muss dieser mögliche Zusammenha­ng genauer untersucht werden. Trotzdem müssen wir auch den realen Schaden in Betracht ziehen, der durch eine Verzögerun­g der Impfungen im Angesicht steigender Infektions­zahlen in Europa droht", sagt Prof. Hunter von der University of East Anglia.

Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA untersucht die gemeldeten Fälle derzeit genauer. Auch sie sieht jedoch noch keinen Grund für eine Pause für AstraZenec­a. "Während unsere Untersuchu­ngen laufen, bleiben wir bei der Einschätzu­ng, dass die Vorteile der AstraZenec­a Impfung für die Eindämmung von COVID-19 und der damit einhergehe­nden Risiken gegenüber den Nebenwirku­ngen überwiegen", heißt es in einer Pressemitt­eilung.

Innerhalb der nächsten zwei Wochen werden die Ergebnisse erwartet. "Ob es richtig ist, für diese Zeit komplett mit der Vergabe des Impfstoffs aufzuhören, ist mehr eine politische Diskussion", findet Berlit. "Ich glaube, dass das Risiko ernster neurologis­cher Komplikati­onen und vor allem von Langzeitfo­lgen durch eine COVID-19 Infektion statistisc­h gesehen höher ist als mögliche Nebenwirku­ngen der Impfung. Da sprechen eigentlich alle Daten für."

Wer bereits eine Impfung mit dem AstraZenec­a-Impfstoff erhalten kann, sollte laut Berlit auf folgende Symptome achten: "Personen, die innerhalb der ersten 2-3 Wochen nach der Impfung anhaltende und sehr starke Kopfschmer­zen haben, müssen zur weiteren Abklärung." Ebenso können punktförmi­ge Einblutung­en in der Haut zusammen mit den Kopfschmer­zen ein Hinweis auf eine Sinusvenen­thrombose sein.

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So sieht ein Blutgerins­el im Gehirn in einer Computerto­mographie aus
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Lange hatte der Impfstoff von AstraZenec­a trotz guter Wirkung einen schlechten Ruf.

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